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OSTTIROLER
NUMMER 5/2012
3
HEIMATBLÄTTER
Eybn, it(em) mer vngenärlich bey ii^ct
[Anm. d. Verf.: als CC zu lesen?]
polzn,
it(em) i zilladt zu pölzn, it(em) iiii Her-
paugkhn, it(em) mer ii Säbl, it(em) i alt
lang messer, it(em) viiii alte armbrost,
it(em) i väsl dareyn ist ein hülzerner steig-
zewg it(em) i handtpuchse in ain fuetral,
it(em) i Alspieß, it(em) in ainer truhen auf
dem Sal i prechzewg und ain steigzewg ligt
auch bey dem anderen zewg, it(em) aber
ain prechzewg ligt bey dem anderen zewg,
it(em) ii gemalte Raisspieß, it(em) in dem
gwolblein i väßl pfeyl schaft, it(em) i eysern
hagknpuchsn, it(em) i lagl darin ist swebl,
it(em) ii väsl darin ist puchsepulfer aber
kains vol, it(em) ettlich puxn mödl“.
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Der „
fryauler spiess“
(auch Spetum ge-
nannt) ist eine Stangenwaffe mit zwei an
der Tülle unterhalb der Spitze angebrachten
Haken auf Seiten der Schneiden
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, die zum
Aufreißen der Deckung des Gegners ver-
wendet werden können, denkbar ist, ähn-
lich wie mit einer Hellebarde oder einem
Rossschinder, auch ein Angriff gegen die
Beine von Pferden. „
Vangkhnuss“
oder
„vanckhnus“
ist ein mittelhochdeutscher
Begriff für Gefängnis, es handelt sich bei
den erwähnten Eisen und Ketten also um
Fesseln für Gefangene. Das „
Brechzewg“
sind wohl die unter anderem bei Turnier-
lanzen als Handschutz verwendeten Brech-
scheiben
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(die von den Reitern im Kampf
verwendeten mehrere Meter langen „
Rais-
spieße“
verfügten nicht immer über eine
solche
24
), auch an den sogenannten „
al-
spießen“,
Stangenwaffen mit langer und
schmaler, fast stilettartiger Klinge, waren
diese angebracht, wenn auch in wesentlich
kleinerer Ausführung.
25
Unter „
Sabl“
dürfte
hier wohl ein Falchion oder Craquemarte
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zu verstehen sein, eine einschneidige euro-
päische Hiebwaffe, die kürzer und weitaus
kräftiger als die orientalischen oder die be-
kannten jüngeren österreichisch-ungari-
schen Reitersäbel ausgeführt war.
Vor etwas größere Probleme stellt uns
die im Originaltext nebeneinander ge-
schriebene Passage „
it(em) i stachl, i
Eybn“
; „
Stachel
schütze“ ist laut Martin P.
Schennach ein Synonym für Armbrust-
schütze
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, ohne jedoch anzugeben, ob sich
diese Bezeichnung nun vom Schießgerät
oder dem Geschoss ableitet. Das vorlie-
gende Inventar zeigt aber: Bolzen werden
als „
polz[n]
“, seltener „
pfeyl“
bezeichnet,
auch wird mehrfach der Begriff „
arm-
brost“
verwendet; daneben scheint jedoch
besagter „
stachl“
auf, was den Schluss na-
helegt, dass es sich hier um eine besondere
Form der Armbrust, etwa eine schwere
Standarmbrust wie auf Heinfels, gehandelt
haben mag. Eventuell könnte es sich bei
der „
i Eybn“
um eine zweite Standarm-
brust mit Eibenbogen (im Gegensatz zum
üblichen Stahlbogen) gehandelt haben.
Auffallend sind daneben vor allem die
große Zahl der Stangenwaffen („
helmpartn,
alspieß, fryauler spiess, Raisspieß, swein-
spieß“
) und die hohe Anzahl – wenn man
das Fassungsvermögen des „
i väßl pfeyl
schaft“
auf etwa 200 schätzt, so kommt
man auf knapp vierhundertfünfzig – sowie
die begriffliche Vielfalt von Bolzen und Bol-
zenteilen („
Zylpolz, schrotpolzn und stäl,
polzn, pölzn, pfeyl schaft“
). Eventuell sind
unter den „
Zylpolz“
Bolzen mit nadelför-
miger Spitze und unter den „
schrotpolzn“
solche mit schwerer, vierkantiger Spitze zu
verstehen. Zu bemerken ist weiters der
Turkisch kocher(ly)“,
der auf wie auch
immer geartete Kontakte mit den islami-
schen Heeren hinweist, sowie die „
ettlich
puxn mödl“
, ein klares Indiz für lokale Mu-
nitionsherstellung. Diese „
mödl“
müssen
nicht zwingend Gussformen gewesen sein,
denn der Kugelguss erfolgte meist in Ein-
wegformen aus Keramik, Sand oder Gips;
vielmehr ist anzunehmen, dass es sich um
Modelle oder auch ringförmige Kugelleh-
ren
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mit zu den vorhandenen Schusswaffen
passenden Normgrößen gehandelt hat.
Dass über das in den Inventaren er-
wähnte Material hinaus noch das Vorhan-
densein von Waffen anzunehmen ist, und
das auch in Händen von Reservisten und
Zivilisten, zeigt etwa das Einberufungs-
inventar der Görzer aus dem Jahr 1380,
das beispielsweise die Meldung des
„Mayers“ vom Reschgut in Tristach mit
persönlicher Bewaffnung von Panzer,
Joppen
(hier umgangssprachlich für den
Gambeson, eine wattierte, mehrlagige
Steppjacke aus Leinen, die in Kombination
mit weiterem Rüstzeug oder auch alleine
getragen, Schläge milderte und begrenzt
auch vor Stichen schützte), Handschuh
und Armbrust
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vermerkt. Es scheint
auch, dass die Angehörigen des Landstur-
mes zumindest bis zu den Bauernkriegen
von 1525/26
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über eigene Waffen verfü-
gen konnten, ja sogar mussten.
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
in Schloss Bruck und im Görzer Haus sowie
in Burg Heinfels bei Sillian die wohl
größten Ansammlungen an mittelalter-
lichen Waffen im Bereich Osttirols lager-
ten. Besonders die beiden Übergangs-
inventare von 1500 sind sehr detailliert, vor
allem was die unterschiedlichen Gattungen
der Stangenwaffen anbelangt, und vermit-
teln so einen guten Eindruck über das da-
mals gebräuchliche Waffenarsenal. In bei-
den Inventaren werden wiederholt dieselben
Waffengattungen in unterschiedlichen An-
zahlen aufgezählt; aufgrund dessen kann
man sich wohl getrost lebhaft vorstellen,
wie der ehrwürdige Sekretär Ulrich Mut-
scheller durch die weitläufigen Gänge der
Ausschnitt
aus einem
Kataster-
plan der
Stadt Lienz,
1833, mit
dem sog.
Görzer
Haus, dem
Pürgel-
oder Kärnt-
ner Tor und
der Kirche
St. Anto-
nius.
(Innsbruck,
Tiroler Lan-
desmuseum
Ferdinan-
deum)
Nordöstlicher Teil des Unteren Stadtplatzes mit dem sog. Görzer Haus (Hauptplatz 2);
daneben ist noch das Pürgel- oder Kärntner Tor zu sehen, das im Jahr 1834 abgebrochen
worden ist. Ganz vorne der landesfürstliche Fronerzkasten, ehemals wohl Kapelle zur gör-
zischen Behausung, nach der Mitte des 17. Jahrhundert umgestaltet zur St. Antonius-Kirche.
Ausschnitt aus einer Ansicht des Hauptplatzes, 1608.
(Innsbruck, Tiroler Landesarchiv)