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lokalen Bereich zu finanzieren. Wie an-
dernorts war der Bischof von Brixen im
Viertel Pustertal steuerlich nicht erfasst, weil
er in und für Tirol ein Gesamtkontingent an
Steuerknechten zu tragen hatte. Daher
führte ein auswärtiger Bischof, der von Frei-
sing, wie sein Kollege in Brixen einer der äl-
testen Herrschaftsträger in dieser Region,
die Spitze der geistlichen Steuerzahler mit
9 Steuerknechten an. Ihm folgten das Kol-
legiatstift Innichen, eine freisingische Grün-
dung, und das Augustinerchorherrenkloster
Neustift mit 8 und 7 und die Pfarrpfründe
St. Andrä in Lienz mit 3 Steuerknechten
nach, während das Domkapitel Brixen „nur“
auf 2
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12
kam. Zu den Grundrentenbeziehern
unter den Prälaten gehörte eine Reihe alter
Nonnen- und Mönchsklöster, die Klarissin-
nen in Meran und Brixen und die Domini-
kanerinnen in Lienz und Innichen sowie die
Karmeliter in Lienz. Als einziges auswärti-
ges Stift ist Ossiach anzuführen, das seit
alters grundherrschaftliche Rechte im
Raum Lienz bis in das Iseltal hinein besaß.
Am reichsten waren unter diesen Stiften und
Klöstern, von Innichen und Neustift abge-
sehen, die Benediktiner in Ossiach und die
Lienzer Dominikanerinnen. Die geistlichen
Steuerzahler komplettierten an die 35
Pfarr-, Kuratie- und Kaplaneipfründen,
darunter drei auswärtige: die Pfarre Ötting
und die Pfarre Irschen sowie die Ewigmess-
stiftung in Oberdrauburg. Hier waren nach
der Pfarre Lienz die von Virgen mit fast 2
Steuerknechten und die Pfarre Taisten mit
1 Steuerknecht die Zahlungskräftigsten.
Schwach, aber immerhin vertreten waren die
Handwerkszünfte (Bäcker und Schuster in
Lienz) und die religiösen Bruderschaften,
wozu auch die Spitäler in Lienz und Brixen
gerechnet wurden. Der Kreis der adeligen
Grundrentenbezieher und Steuerträger um-
fasste rund 60 Personen, darunter einige
nichtadeligen Stands, weil sie von Adeligen
Grundrenten gekauft oder geerbt hatten.
Ohnedies hatten sich hier Umschichtungen
ergeben, die in der Hauptsache den Raum
Lienz betrafen. Außerhalb Tirols beheima-
tete Adelsgeschlechter waren jetzt margina-
lisiert, es dominierte der tirolisch-pusterta-
lische Adel, wobei nur wenige aus altem
und höherem Adel stammten. Zu nennen
wären als reichste und vornehmste Adels-
geschlechter die Künigl von Ehrenberg, ehe-
mals görzischer Adel, die Freiherren von
Wolkenstein als genuin tirolische Familie,
die Freiherren von Welsberg, ebenfalls „alte
Görzer“, die Freiherren von Liechtenstein,
die Freiherren von Völs, beide aus tiroli-
schem Umfeld. Ansonsten lasen sich Steu-
erlisten als Who’s who des tirolischen
Niederadels im Südosten: Rasner, Rost zu
Aufhofen und Kehlburg, Mühlstetter,
Mörl, Heufler zu Rasen (Hohenbühel),
Rösch zu Gerolzshausen (der genannte
Georg Rösch von Gerolzhausen ist der Ver-
fasser des berühmten, 1558 im Druck er-
schienen „Landreim der Fürstlichen Graf-
schaft Tirol“), Winkelhofen, Troyer. Andere
lokale Adelsgeschlechter waren zu diesem
Zeitpunkt bereits ausgestorben, wie etwa die
Staudacher und die Murgot-Nußdorfer,
oder weggezogen, die Herren von Graben
etwa, die noch unter den Görzern eine wich-
tige Rolle gespielt hatten. Zusammenge-
rechnet kam der Adel auf 65 Steuerknechte,
also auf etwas mehr als die Kirche und die
Geistlichkeit. Unter die Kategorie „Adels-
steuer“ fielen auch die vielen nichtadeligen
Grundrentenbezieher. Seit dem Spätmittel-
alter hatten auch reiche Stadtbürger und
Großbauern in Grundrenten investiert,
waren somit zu kleinen Grundherrschaften
aufgestiegen. Dieser Personenkreis, im
Steueranschlag von 1574 unter „Singularp-
ersonen“ rubriziert, umfasste im Viertel Pus-
tertal an die 230 Personen, mit Abstand die
meisten waren in den Gerichten Michels-
burg, Schöneck und Altrasen ansässig. Es
war keineswegs so, dass allein Adel und
Kirche als Grundherren bei den Bauern ab-
kassiert hätten, ins Gewicht fielen diese
nichtadeligen Grundherrschaften aller-
dings nicht, denn ihr Anteil summierte sich
auf knapp 8 Steuerknechte.
Wie erwähnt mussten die Bauern und
Städter im Rahmen der Landsteuer ihre
Häuser und Liegenschaften nach dem Ver-
kehrswert versteuern, sie zahlten die soge-
nannte „Gemeine Steuer“. Davon war der
Adel befreit, praktisch bedeutete dies, dass
der Adel seine Burgen, Ansitze und selbst-
bewirtschafteten Güter nicht zu versteuern
brauchte. (Adeliger Grundbesitz ist daher
bis in die maria-theresianische Zeit nicht in
den Grundsteuerkatastern dokumentiert.)
Die den einzelnen Gerichtsbezirken aufer-
legten Steuerknechte waren folgende:
Stadt Lienz 12 (vorher 9), Landgericht Lienz
41 (vorher 34), Lienzer Klause 2, Virgen 7
(vorher 10), Kals 3, Anras 9 (vorher 12),
Heinfels 32
1
2
(vorher 34), Innichen 4
1
2
(vor-
her 5), Welsberg 32 (vorher 33), Altrasen
23
1
2
(vorher 25), die dortigen Freisassen
1
2
,
Uttenheim 5 (vorher 5
1
2
), Schöneck 38 (vor-
her 40), die dortigen Freisassen
1
2
, Michels-
burg 41
2
3
(vorher 44), die dortigen
Freisassen 1
1
3
, Burgfrieden Ehrenburg 1
1
2
,
Antholz 4, Bruneck 5, Sonnenburg
(Hofgericht) 4, Enneberg 9 und Haiden
4. (Unter Freisassen verstand man jene
Bauern, deren Höfe in einem anderen
Gericht lagen als das, dem sie hinsichtlich
Gerichtsbarkeit und Steuern unterworfen
waren.)
Wirtschaftliche Perspektiven
Steuern und der Streit um ihre Notwen-
digkeit und Höhe hängen stets mit wirt-
schaftlichen Gegebenheiten und sozialen
Befindlichkeiten zusammen. Politisch und
sozial hatte den altgörzischen Gebieten der
Anschluss an die Grafschaft Tirol einiges
gebracht. War er aber ökonomisch von Ge-
winn? Strukturell und auf längere Sicht war
das gewiss der Fall, denn die ehemalige
Vordere Grafschaft Görz besaß jetzt ein un-
gleich größeres wirtschaftliches Hinterland,
störende handelspolitische Barrieren waren
beseitigt. Allerdings blieb den damaligen
Menschen wenig Zeit, diese Optionen auf
die Zukunft einzulösen. Mitteleuropa
tauchte im Laufe des 16. Jahrhunderts in
eine tiefe wirtschaftliche Depression ein, die
auch vor Tirol nicht Halt machte. Als wäre
das nicht genug, kündigte sich im letzten
Drittel des 16. Jahrhunderts, was den Zeit-
genossen verborgen blieb, ein Klimawandel
an, der eine kleine „Eiszeit“ einleitete. Das
Wetter spielte verrückt, kalte und regenrei-
che Sommer ließen das Korn nicht mehr rei-
fen, Missernten häuften sich, Hunger, Not
und Armut bedrohten immer weitere
Kreise der Bevölkerung. Gegen Ende des
16. Jahrhunderts brachen, wirtschaftlich ge-
sehen, düstere Zeiten an, die sich im 17.
Jahrhundert noch verdunkeln sollten, als das
Reich obendrein in endlose Religions- und
Machtkriege verstrickt wurde. Erst das 18.
Jahrhundert konnte sich aus der Misere
langsam herausarbeiten. Wie sehr den
Menschen, Produzenten wie Konsumenten,
die sich verschlechternde wirtschaftliche
Lage zu schaffen machte, ist einer Petition
des Landgerichts Lienz an die Tiroler Land-
schaft von etwa 1590 zu entnehmen, die uns
hier als Beispiel dienen soll. Natürlich be-
fleißigten sich die Rotten und Gemeinden
dieses Gerichts der Schwarzmalerei, weil
gewünscht wurde, bei den Steuern Gnade
vor Recht ergehen zu lassen und diese zu
mildern, aber im Kern waren die Klagen nur
zu berechtigt und lassen ahnen, mit welchen
existenziellen Bedrohungen die Menschen
damals zu kämpfen gehabt haben. Nebenbei
enthält diese Bittschrift wichtige Informa-
tionen über die wirtschaftlichen Verhält-
nisse, wie sie ansonsten in dieser Dichte
nicht leicht zu gewinnen wären. Der Raum
Lienz litt unter zwei zusätzlichen Rezessio-
nen, die Lebensgrundlagen raubten: Der
Bergbau war stark rückläufig und der Tran-
sithandel nahm ab. Schuld an all dem waren
weder der Landesfürst noch die Tiroler
Landstände, aber die prekären Umstände im
fernen Landgericht Lienz sollten ihnen ein-
dringlich vor Augen geführt werden.
Aber hören wir uns an, was die Nachbar-
schaften und Rotten aus dem Landgericht
Lienz um 1590 zu klagen haben. Ihnen seien,
so brachten sie vor, die 42 Steuerknechte
1573 aufgeladen worden, zu einer Zeit also,
als es ihnen wirtschaftlich um einiges besser
gegangen wäre. Damals, vor zwei Jahrzehn-
ten, „alhie guette perckhwerch, die land-
strassen, auch alle frücht der erden, neben
aller hanndgewerb unnd hanndtierungen pes-
ser unnd mer oder toplt in aufnemen und
thuen gewest weder (als) yezt“. Zu schaffen
machen ihnen vor allem die gewaltigen
Preissteigerungen, letztes Jahr noch sei vie-
les um den halben Preis zu kaufen gewesen.
Die Landwirtschaft leide unter dem Klima,
das immer rauer und unwirtlicher werde.
„Hergegen erfindt sich seytmallen laider gar
zu war, das ye lennger ye mer, nach und
Nummer 8-9 –– 68. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Wappenschild mit dem Tiroler Adler, belegt
mit dem Görzer Wappen, Kupferstich im
Werk „TIROLENSIVM Comitum PRIN-
CIPVM“ von Dominicus Custos, Augsburg
1599. (Innsbruck, Tiroler Landesmuseum
Ferdinandeum, Bibliothek)
Foto: M. Pizzinini