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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
68. Jahrgang –– Nummer 8-9
nach spetere, khaltere unnd mißratnere jar
zuenemen. Also das wir die halb zeit des jars
mit winter unnd schnee … die merere zeit
dann das halb jar beladen werden. Durch
wellichen lanngwürigen schwaren schnee
unnd eis unnser den merern thail beim
lanndt, so wohl als im thällern unnd pürg, an
denen orthen, da es gefrorn, die herbstansa-
ten als waizen unnd roggen durch das eis er-
trennckht, annderer orthen, da es nit gefrorn,
unnderm schnee … von dem unzifer (Unge-
ziefer) als razen unnd meis verzert unnd ver-
derbt worden.“ Mit Mühe und Not trieben
die Bauern die Getreidesamen für die Win-
tersaat auf, im Frühjahr wären sie bereits zu
arm, um sich Saatgetreide kaufen zu können,
und daher könnten viele ihre Äcker nicht be-
stellen. Schon seit Jahren vermögen viele
Bauern von ihren Erträgen nicht mehr zu
leben. Auch wenn die Getreideernte einiger-
maßen ausfällt, kann kein Getreide verkauft
werden, „sonnder unnser vil das halb jar nit
zu essen, sonnder miessen unns die merere
zeit des jars allain mit milch und khraut, ohn
prot unnd annderer menntschlicher narung
dermassen in armuth hinaus erhalten, des
wol zuerparmen unnd nit gnueg zuclagen
ist“. Jene Bauern, die Obst anbauen, ziehen
daraus auch keinen Gewinn, sie müssen die
Früchte mit hohen Transportkosten nach
Innichen, Welsberg, Bruneck, Taufers und
Haiden (Ampezzo) ausführen und dort ab-
zusetzen versuchen. Auch gerät das Obst sel-
ten, „ob es sich schon manigs jar im plued
(Blüte) wol erzaigt, unversehens, aus ursach
Mattreyer unnd Khürchamer Thauern, unnd
anndrer wilden hochen gebürg, so gar an der
hanndt sindt, würdt es von denselben groben
lufften unnd reuffen versenngt unnd ver-
derbt, das zu der zeit, so mans niessen sol,
nichts mer verhanden ist“. Im Landgericht
sind die Böden durchwegs schotterig, stei-
nig, lehmig und unfruchtbar, so daß auch in
besten Jahren von einem Vierling Saat ma-
ximal 4 bis 5 Vierling Getreide geerntet wer-
den. Und das Getreide, wenn es einmal ge-
deiht, vermischt sich „durch khelten unnd
obbemelte schorffe Taur windt zu wildtha-
ber, und nit allain am pürg … sonnder auch
wol zu jarn gar beim lanndt“.
Die meisten Wiesen, auf den Höhen wie
herunten in den Tälern, lassen nur eine Heu-
ernte zu. In Gunstlagen kann mit einer zwei-
ten Heuernte, dem „gruemadt“, gerechnet
werden. Die Bauern können von der Vieh-
zucht nicht wie andernorts, wo gute Almen
und Weiden vorhanden sind, leben, da sie
keine eigenen Almen besitzen und für die
wenigen Alpen, die sie mit ihrem Vieh be-
weiden, hohe Zinsen zahlen müssen. „Dar-
zue die khlain zeit das vich in albmen von
schnee, so täglichen miten in sumer fallen,
nicht sicher sein. Was dann unnser mader
am perg sein, die sein so schlecht, das mer
über die arbait geet, als das hey wert ist,
dennocht missen wirs besuechen, wellen wir
annderst unnser wenigs vichl den winter
aushalten.“ Da und dort haben seit vier, fünf
Jahren Rinderseuchen zugeschlagen, die
nicht wenige Ochsen, Kühe und Kälber hin-
weggerafft haben. Das gesunde Vieh aber
durfte man wegen der Viehsperren nicht
ausführen und auf die Märkte bringen.
Den Grundherrschaften haben die Bauern
das Zinsgetreide schuldig bleiben müssen,
damit sie nicht hungern müssen und Saatgut
ankaufen können. Daher sei der Ausstand an
grundherrlichen Zinsen und an Steuern ge-
waltig angewachsen und gehe in Tausende
von Gulden. Wie dieser Schuldenberg ab-
zubauen ist, das wisse man angesichts der
misslichen Jahre nicht.
In den letzten zehn Jahren sind wiederholt
schreckliche Feuersbrünste ausgebrochen, in
Ainet sind sechs Huben und die Kirche St.
Ulrich niedergebrannt, aber auch Leisach
und Tristach und die Gegend unter dem
Wartschenbach haben Brände erlebt, „des
auch nit wenig arm leuth ausgeben“. Die
Wildbäche richten immer wieder schwere
Schäden an, besonders in Leibnig, Grafen-
dorf, Nußdorf und Gödnach.
In der Eingabe der Landgerichtsgemeinde
Lienz von ca. 1590 findet sich eine Reihe von
Klagen und Beschwerden über einen aufrei-
benden Alltag mit seinen kollektiven Pflich-
ten und Lasten: über die hohen Aufwändun-
gen für die Wasserschutzbauten an Drau und
Isel und für den Erhalt der Landstraße; über
die zahllosen Durchmärsche von Soldaten,
über die hohen Preise für Salz, das aus Salz-
burg bezogen wird usw.
In den durch die Steuerfrage belasteten Be-
ziehungen zwischen Alttirol und dem görzi-
schen Neutirol, das sich weiterhin klaglos in
die Grafschaft Tirol einfügte und hinein-
wuchs, war inzwischen Ruhe eingekehrt.
Noch harrten görzische Altlasten der Berei-
nigung, etwa das hier dominierende Frei-
stiftrecht, eine Form der grundherrlichen
Landleihe, welche die hiesigen Bauern
gegenüber den Alttiroler Standesbrüdern mit
ihren Erbbaurechten schwer benachteiligte.
Die mangelnde bürgerliche Autonomie der
Stadt Lienz, Folge der rigorosen stadtherr-
lichen Politik der Görzer, auszubauen und
auf einen Standard zu heben, wie er in Altti-
rol üblich war, dieses Ziel verfolgten listig
und beharrlich die Lienzer Bürger. Und ihnen
war viel früher Erfolg beschieden als den
Bauern, die vergeblich gegen die vielen klei-
nen, aber niederträchtigen Ungerechtigkeiten
des Freistiftsrechts anrannten. Erste Refor-
men, die eine Besserung versprachen, setzten
hier spät ein, im ausgehenden 18. Jahrhun-
dert. Aber das sind weitere Geschichten, die
vielleicht ein andermal erzählt werden.
Nostalgie nach den Görzern? Möglicher-
weise zaghaft in Lienz, das wirtschaftlich und
kulturell vom gräflichen Hof profitiert hatte
und nun des Prestiges einer Residenzstadt
entbehren musste. Immerhin, vielleicht ein
Fingerzeig, eignete sich Lienz im Laufe des
16. Jahrhunderts das verwaiste Wappen der
Grafen von Görz als Stadtwappen an.
* Vortrag vom 17. August 2000 als Veranstaltung im Rah-
menprogramm des Kulturreferates der Stadt Lienz zur Lan-
desausstellung auf Schloß Bruck.
Literatur:
Maria Bechina: Die Tiroler Landtage von 1526 bis 1563, un-
gedr. phil. Diss. Wien 1944; Michael Mayr: Der Generallandtag
der österreichischen Erbländer zu Augsburg (December 1525 bis
März 1526), in: Zeitschrift des Ferdinandeums 38 (1894), S. 1-
154; Tullius von Sartori-Montecroce: Geschichte des land-
schaftlichen Steuerwesens in Tirol von K. Maximilian bis Maria
Theresia (Beiträge zur österreichischen Reichs- und Rechtsge-
schichte 2), Innsbruck 1902; Otto Stolz: Geschichte von Osttirol
im Grundriss, in Festschrift „Osttirol“ anlässlich der Einweihung
des Bezirkskriegerdenkmals in Lienz, Lienz 1925; derselbe: Po-
litisch-historische Landesbeschreibung von Südtirol (Schlern-
Schriften 40), Innsbruck 1937/39; Martin Wutte: Zur Vereini-
gung Osttirols mit Kärnten, in Carinthia I 129 (1939), S.240-261.
Quellen (alle im Tiroler Landesarchiv):
Ältere Kopialbücher V (23), W (24) und Z (27); Akten des
Schatzarchivs IV/193; o.ö. Regierung, Buch (Von und) an die
fürstliche Durchlaucht 1521/23 und 1530/31; Landschaftliches
Archiv, Buch Landschaftliche Verhandlung Bd. 2, 3 und 9 (An-
schlagbuch 1574); Landschaftliches Archiv: Landtagsakten
Fasz. 1, Jahresposition 1506 und 1509 (Nr.12); Landschaftliches
Archiv: Steuerakten Nr. 3 (Schuber 1) und Nr. 172 (Schuber 10).
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer:
OR Dr. Wilfried Beimrohr, Tiroler Landes-
archiv, A-6020 Innsbruck, Michael-Gaismair-
Straße 1.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Piz-
zinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Kaiser Maximilian I., von Bernhard Strigel,
Öltempera, nach 1508. Maximilian beerbte
den letzten Görzer in seinen Territorien und
Rechten. (Innsbruck, Tiroler Landesmuseum
Ferdinandeum, Gemäldesammlung)
Foto: Archiv Ferdinandeum
Graf Leonhard von Görz-Tirol, Ausschnitt
aus der Grabplatte, gearbeitet von Chris-
toph Geiger, 1506/1507, in der Lienzer
Stadtpfarrkirche St. Andrä.
Foto: M. Pizzinini