Seite 6 - H_2000_08-09

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
68. Jahrgang –– Nummer 8-9
Verteilungsschlüssel diente das Normal-
kontingent von 5.000 Knechten. Das Land-
libell von 1511 wies davon den zwei höhe-
ren alttirolischen Ständen (Adel, Prälaten
und den Hochstiften Brixen und Trient)
1.800, den zwei niederen Ständen, Städten
und Gerichten, 2.400, dem Pustertal ein-
schließlich der Herrschaft Lienz 500 und
den drei ehemaligen bayerischen Gerichten
Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg 300 zu.
In einer vorwiegend agrarischen Wirtschaft
versteht es sich von selbst, dass der Besitz
an Grund und Boden bzw. das daraus er-
zielte Einkommen als Berechnungsbasis
dafür herhalten musste, wer im einzelnen
wie viel Mann zu stellen hatte. Bei Adel,
Prälaten und Hochstiftern wurde das
grundherrliche Renteneinkommen herange-
zogen, bei den Städten und Gerichten der
Wert des Grundbesitzes, der in Form von
Feuerstätten erfasst und zusammengezogen
wurde, virtuellen Steuereinheiten, die zuerst
100, später 300 Gulden bemaßen. (Je nach
Größe konnten ein, zwei oder mehr bäuer-
liche Wirtschaften eine Feuerstätte aus-
machen.) Dieser Verteilungsschlüssel empfahl
sich zugleich für die Grundsteuer, weil hiermit
das Geld aufgebracht werden konnte, um
Söldner zu finanzieren, die schneller rekru-
tiert und eingesetzt werden konnten als die
behäbige Landmiliz, absehen davon, daß
auch die Milizionäre nicht um Gottes Lohn
kämpften, sondern entschädigt werden
mussten. Der Fußknecht bedeutete zugleich
den Steuerknecht, eine Grundsteuereinheit,
ausgehend vom Normalkontingent 5.000, im
Wert von 4 Gulden, was den monatlichen
Sold und die Verpflegung für einen solchen
Infanteristen ausmachte. Noch unter Maxi-
milian rissen Usancen ein, dass die Tiroler
Landstände dem Landesfürsten mit Geldern
aushelfen mussten, die über von ihnen be-
willigten Grundsteuern aufgebracht wurden
und wenig bis gar nichts mit Verteidi-
gungsmaßnahmen für das Land zu tun hat-
ten. Grundsteuern wurden ausgeschrieben,
um durch sogenannte „Türkenhilfen“ den
habsburgischen Abwehrkampf in Ungarn zu
unterstützen, für die Aussteuer der Prinzen
und Prinzessinnen zu sorgen, vor allem das
stetig anwachsende Defizit des landesfürst-
lichen Haushalts abzudecken. An eines soll-
ten sich die Tiroler im Laufe des 16. Jahr-
hunderts widerwillig gewöhnen müssen, ans
(Grund)Steuerzahlen. Die Landtage, die
nun fast jährlich einberufen wurden, er-
schöpften sich zusehends in einem Schlag-
abtausch zwischen dem Landesfürsten und
den Landständen, denen sehr daran gelegen
war, dessen Steueranforderungen auf ein
ihnen erträgliches Maß herunterzuschrau-
ben.
Den Neutirolern fiel diese lästige Pflicht
noch schwerer, denn, wie glaubhaft versi-
chert wurde, sie hatten den Grafen von Görz
zwar den Zuzug geleistet, waren im Fein-
desfall mit Waffe bei Fuß gestanden, aber
Grundsteuern hatten ihnen die Görzer nicht
abverlangt. Was besonders schmerzte, war
die Höhe des Anschlags. Der Lastenaus-
gleich traf sie ihrer Ansicht nach ungleich
schwerer, die auferlegten 500, immerhin
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der tirolischen Steuer- und Verteidi-
gungslast, schienen ihnen unangemessen
hoch. Dieser Einwand war, wie sich später
erweisen sollte, berechtigt, denn die Zutei-
lung beruhte zwangsläufig auf einer groben
Schätzung, die die (land)wirtschaftlichen
Verhältnisse überschätzte. Was fehlte
waren Kataster, in denen einerseits die
Grundrenten des im Pustertal und im Raum
Lienz mit Besitz beteilten Adels, andererseits
der bäuerliche und bürgerliche Grundbesitz
in den Städten und Gerichtsbezirken erfasst
waren. Dadurch wurde zusätzlich der Las-
tenausgleich untereinander, zwischen Adel
und Prälaten auf der einen und den Städten
und Gerichten auf der anderen Seite, aber
auch zwischen den einzelnen Gerichtsge-
meinden des Pustertals zum Problem. Un-
geklärt war weiters, ob und inwieweit die
brixnerischen Gerichte, etwa Anras, und die
salzburgischen Gerichte wie Windisch-
Matrei und Lengberg in das Kontingent der
500 Steuerknechte hineinfielen. Es ist nicht
zu verwundern, dass die „Pustertaler“ zu den
vielen Steuersündern Tirols zu rechnen sind,
die riesige Steuerschulden anhäuften. Je-
denfalls war das Pustertal im Zusammen-
hang mit den Grundsteuern ein Dauerbren-
ner der Politik, es stand jahrzehntelang auf
der Agenda der Tiroler Landstände und der
landesfürstlichen Regierung, die beide
daran interessiert waren, dass sich diese
Neutiroler endlich in ihr (Steuer)Schicksal
fügten, die sich – nicht ganz zu Unrecht –
mit den schlechten wirtschaftlichen Ver-
hältnissen und ihrer wachsenden Verarmung
zu entschuldigen suchten.
Ein Kompromiss
Die Landesfürsten beriefen für das Pus-
tertal und die Herrschaft Lienz extra Land-
tage ein, der erste 1509, der letzte 1544, die
allein den Zweck hatten, dass die Betroffe-
nen die leidige Steuerfrage in Güte beileg-
ten. (Keineswegs waren diese „Teilland-
tage“, wie späterhin hineininterpretiert
wurde, Konzessionen an eine „görzische“
Sonderregion im Verbande des Landes Tirol
oder Zeichen des Selbstbehauptungswil-
lens.) Eher mitleidlos zeigte sich die Tiroler
Landschaft gegenüber den Nöten ihrer Mit-
glieder aus dem Südosten, während diese
bei der landesfürstlichen Verwaltung auf
mehr Verständnis stießen. Aber Milde und
Nachsicht konnten die Tiroler Landstände
schlecht walten lassen, denn Steuer-
knechte, die den Pustertalern abgenommen
würden, müssten anderen aufgebürdet wer-
den, ein Nachgeben gefährdete die mühsam
ausgehandelte Balance der Verteilung im
ganzen Land und barg die Gefahr, andere
Unzufriedene aufzuscheuchen. Teilland-
tage brachten keine Lösungen, landschaft-
liche und landesfürstliche Kommissäre, die
auf die Pustertaler einwirken sollten, zogen
ergebnislos ab. Zeitweise war die Stimmung
gereizt, besonders auf das Ansinnen, im
Südosten der Grafschaft mit der Anlage der
Kataster zu beginnen, reagierten die Ange-
sprochenen allergisch. Warum ausgerechnet
bei uns, und nicht bei euch, den Alttirolern,
schallte es zurück. So protestierten 1544 die
Landstände aus dem Pustertal und der Herr-
schaft Lienz heftig, dass mit der Katastrie-
rung in diesem „rauhen und armen Tal“ an-
gefangen werden sollte und nicht bei den
„höhern und mehreren, den Tirolischen an
Etsch und Eisack“, die ohnedies, wurde
spitz ergänzt, „bei allem und jeden vor-
gehen“. Noch der Pustertaler Teillandtag
von 1544 scheiterte auf allen Linien, er war
beherrscht von der Angst, Zugeständnisse
könnten einem daheim dann übel genom-
men werden. Die Abgesandten der Gerichte
ließen ausdrücklich protokollieren, zu Ver-
handlungen keinerlei Vollmachten zu besit-
zen, da sie im Falle von Konzessionen zu
Hause ihres Lebens nicht mehr sicher
wären. Trotzdem gelang es der landesfürst-
lichen Regierung durch geschicktes Taktie-
ren, noch im selben Jahr die geschlossene
Pustertaler Abwehrfront aufzuweichen. Es
sprangen die höheren Stände ab und, was
entscheidend war, es sprang die Stadt Lienz
ab. Damit war der Weg frei, eine Katastrie-
rung vorzunehmen. Dokumentiert ist diese
in der sogenannten „Pustertalischen Steuer-
beschreibung 1545“, deren zwei Bände
heute im Tiroler Landesarchiv aufbewahrt
werden. Für die Historiker stellt sie eine so-
zial- und wirtschaftshistorische Quelle
ersten Ranges dar, deren Wert dadurch ge-
steigert wird, dass es der älteste „moderne“
Grundsteuerkataster Tirols ist, weil er die
damaligen Höfe, Häuser und Liegenschaften
(bzw. deren Besitzer) systematisch nach Ge-
richtsbezirken und innerhalb dieser nach
Steuergemeinden verzeichnet und ihren je-
weiligen Verkehrswert ausweist. Somit
war es möglich, eine gerechtere und realis-
tischere Umverteilung der Steuerpflicht vor-
zunehmen, was sich auch auf das zu stel-
lende Kontingent der Landmiliz auswirkte.
Selbstverständlich hatte auch die Gegenseite
zum Kompromiss beitragen müssen. Die
brixnerischen Gerichte wurden einbezogen
(nur das alttirolische Gericht Taufers
zählte weiterhin nicht zum Steuer- und Ver-
teidigungsviertel Pustertal sondern zum an-
gestammten Viertel Eisack), die den salz-
burgischen Gerichten Windisch-Matrei
und Lengberg zugedachten Steuerknechte
wurden ersatzlos gestrichen (nur dem tiroli-
schen Landmilizsystem blieben die beiden
Gerichte erhalten). Es wurde darauf ver-
zichtet, den neuen Verteilungsschlüssel
rückwirkend gelten zu lassen, und schlus-
sendlich wurde den Pustertalern und Lien-
zern versprochen, ihnen einen Teil ihrer
Steuerschuld nachzusehen.
Wie dem Steueranschlag von 1574, der
von einem Normalkontingent von 5.000
Steuerknechten ausging, abzulesen ist, hat-
ten sich das bittere Beklagen und der zähe
Widerstand gelohnt. Der Anteil des Viertels
Pustertal (einschließlich der Herrschaft
Lienz, ohne das Landgericht Taufers) war
von 500 auf etwas über 399 Steuerknechte
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gesunken. Zwei Drittel dieser
Steuerlast trugen die bäuerlichen und bür-
gerlichen Grundbesitzer in den ehemals gör-
zischen und in den brixnerischen Gerichten,
den Rest der Adel, die Klöster und die an-
deren grundherrlichen Rentenbezieher.
Innerhalb derer, die Adelsteuer zahlten,
somit ihre Grundrenten zu versteuern hatten,
ist die Verteilung der Steuerknechte be-
sonders von Interesse, weil sie aufzeigt, wer
alles und wie viel als Grundherrschaft oder
Zehentherrschaft von der bäuerlichen Müh
und Plag profitierte. Zugleich spiegelt sich
darin ein Stück mittelalterlicher Herr-
schaftsgeschichte.
Zu den ältesten und kontinuierlichen
Grundherrschaften zählten kirchliche Insti-
tutionen und der Klerus, die auch den
Zehent lukrierten, eine den bäuerlichen Ertrag
schmälernde Abgabe, die den ursprüng-
lichen Zweck gehabt hatte, die Seelsorge im