Seite 5 - H_2000_08-09

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Landstände die Herrschaft Lienz mit der
Türkensteuer. Beide Vorstöße, da war Tirol
vor, liefen ins Leere.
Umgekehrt fühlten sich die Kärntner pro-
voziert, als im Juli 1525 Erzherzog Ferdi-
nand Truppen von Lienz nach Windisch-
Matrei entsandte, um sich dort vorbeugend
Respekt zu verschaffen. Ferdinand befürch-
tete nämlich, der Aufstand der Bauern und
Bergknappen könnte vom Pinzgau, der im
Aufruhr war, einem Funkenflug gleich nach
Matrei übergreifen und sich in den relativ
ruhigen tirolischen Südosten ausbreiten.
Obendrein hatte der Salzburger Erzbischof,
bedrängt und eingekesselt von den Aufstän-
dischen, jede Kontrolle über das Land Salz-
burg, geschweige denn über dessen Außen-
posten Windisch-Matrei verloren. Auf-
geschreckt von wirren Gerüchten, missver-
standen die Kärntner Landstände diese
Aktion der militärischen Aushilfe und des
Selbstschutzes als von Tirol ausgehende An-
nexion genuin kärntnerischen Territoriums,
da sie wie bei Lienz unterstellten, das Ge-
richt Windisch-Matrei gehöre eigentlich
zum Herzogtum Kärnten. Anfangs 1526
protestierten sie auf dem Generallandtag der
österreichischen Erbländer in Augsburg,
Kärnten werde neben der Herrschaft Lienz
nun auch das Gericht Windisch-Matrei zu
Gunsten Tirols entzogen. Die Tiroler
Landstände hielten dagegen, die Herrschaft
Lienz sei eben nach dem Aussterben der
Görzer der Grafschaft Tirol einverleibt wor-
den und habe bis zum Tod Maximilians da-
zugehört, ohne dass sich Protest gerührt
hätte. (Letzteres war schlicht gelogen,
denn Kärnten war schon 1509 dagegen auf-
getreten.) Die Tiroler baten, es dabei be-
wenden zu lassen und die Herrschaft Lienz
von Tirol nicht zu trennen. Erzherzog Fer-
dinand, der hier als Landesfürst beider Län-
der angesprochen und gefordert war, zog
sich als kluger Taktiker geschickt aus der
Affäre. Es werde eine Entscheidung geben,
nicht jetzt, später, und diese werde beide
Seiten zufrieden stellen, ließ er den Kärnt-
nern und Tirolern ausrichten. Alle Aufre-
gung um Matrei war letztlich umsonst. Im
Sommer 1526 wurden die tirolischen Söld-
nertruppen von Burg Weißenstein abgezo-
gen, damit war das herrschaftliche Inter-
mezzo des Hauses Habsburg auf salzburgi-
schem Boden beendet. Die Causa Lienz
köchelte auf kleiner Flamme weiter, aber
offensichtlich dachte Ferdinand nicht im
Traum daran, den Kärntnern zu Ungunsten
Tirols ihren Wunsch zu erfüllen. Diese wur-
den in den späten 30er-Jahren ihres vergeb-
lichen Anrennens müde und gaben auf. Die
Gefahr war gebannt, zumal Kaiser Ferdi-
nand I., von dem eben als Erzherzog die
Rede war, in seinem Testament von 1554
die Grafschaft Tirol seinem mittleren
Sohn, Erzherzog Ferdinand II., in den her-
gebrachten Grenzen, einschließlich Pustertal
und Herrschaft Lienz, als künftiges Erbe zu-
wies. So ganz trauten die Tiroler Landstände
dem Frieden nicht. Vorsorglich deponierte
der Tiroler Landtag 1567 bei Ferdinand II.,
als der drei Jahre nach Regierungsantritt
endlich seine Residenz in Innsbruck bezog,
Lienz und das Pustertal ja nicht von Tirol
loszulösen.
In Tirol schaute man dem Treiben gelas-
sen zu und vertraute darauf, dass ein ge-
schaffenes Faktum nicht umgestoßen
würde. Die Tiroler Argumentation, die von
der Stadt Lienz unterstützt wurde, verlief
diametral zur Kärntner: Die Herrschaft Lienz
sei weder unter den Grafen von Görz noch
nach deren Aussterben jemals dem Fürsten-
tum Kärnten unterworfen gewesen. Sie sei
von Kaiser Maximilian der fürstlichen Graf-
schaft Tirol einverleibt worden, dort habe
sie die Erbhuldigung und die Pflicht geleis-
tet, wobei zugesichert worden sei, die Herr-
schaft Lienz bei ihrem alten Herkommen zu
belassen. Mit Pressionen war man auch in
Tirol nicht zimperlich. So warnte 1522, in
der heißen Phase des Streits, die Innsbrucker
Regierung Erzherzog Ferdinand, sollte er
die Herrschaft Lienz dem Land Kärnten
zuschlagen, so würden unweigerlich die Ti-
roler Landstände protestieren und ihm beim
nächsten Landtag jede Hilfe verweigern.
Unausgesprochen, aber mitbedacht ist
dabei zweifellos der Umstand, dass Tirol im
Vergleich zu Kärnten wirtschaftlich besser
dastand und die Tiroler größere Geldsum-
men zu zahlen verweigern könnten als die
Kärntner Landstände.
Hinter all den Argumenten, pro und
kontra, richtig oder falsch, steckten nicht
historische Reminiszenzen oder Sentimen-
talitäten, dahinter verbargen sich handfeste
Interessen von Fürsten und Landständen,
wie der Zankapfel Herrschaft Lienz illus-
triert. Jeder Zuwachs von Gebieten, be-
sonders wenn sie ähnliche oder gleiche
rechtliche und wirtschaftliche Strukturen
aufzuweisen hatten, war auch den Land-
ständen hoch willkommen, er brachte zu-
sätzliche Steuerträger, auf die sich die Las-
ten verteilen ließen.
Neue Rechte, neue Pflichten
Und bei der Lastenverteilung begann es
sich zwischen Alttirol und den görzischen-
neutirolischen Gebieten zu spießen. Vor-
dringlichste Aufgabe und Pflicht des Landes
und seiner Landstände, aus der wiederum
ihre Rechte und Freiheiten entsprangen, war
es, dem Landesfürsten in der Verteidigung
des Landes beizuspringen. Zu diesem
Zweck war ein Milizsystem organisiert.
Adelige, Bauern und Bürger mussten im
Ernstfall zu den Waffen greifen, territoriale
Basis waren eigene Verteidigungsab-
schnitte, die sogenannten Viertel. Mindes-
tens 1.000 und abgestuft bis maximal 20.000
Mann oder Fußknechte, Infanteristen also,
hatte das Land bei Feindesgefahr aufzubie-
ten. Außerdem war bei höchster Not ein
Landsturm vorgesehen, hier hatte jeder waf-
fenfähige Mann zu den Fahnen zu eilen. Als
Nummer 8-9 –– 68. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
In der
Tiroler
Landes-
ord-
nung
Ferdi-
nands I.
von
1532
werden
im Zuge
der
Grenz-
be-
schrei-
bung
der
Graf-
schaft
Tirol
erstmals
das Pus-
tertal
und die
Herr-
schaft
Lienz
mitein-
bezogen.
(Tiroler
Landes-
museum
Ferdi-
nan-
deum,
Biblio-
thek).
Foto:
Meinrad
Pizzinini