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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
68. Jahrgang –– Nummer 8-9
sein wird, dass in der Tiroler Landes-
ordnung von 1532 die neuen Tiroler
Landesgrenzen im Südosten recht
genau beschrieben und festgehalten
werden. Die Grenze oder Mark der
Grafschaft Tirol schließe die Herr-
schaft Peutelstein (Ampezzo) mit ein
und ziehe sich von „da dannen gen
Heunfels und hinab mit einschliessung
der Herrschaft Lüentz und nit weiter“.
Kärnten protestiert
Den Kärntnern, ihren Landständen,
dämmerte, was sich da in unmittelbarer
Nachbarschaft an territorialen Ver-
schiebungen abspielte und wer der
Alleinbegünstigte war – die Graf-
schaft Tirol. Sie bäumten sich gegen
die Macht des Faktischen auf und
protestierten bei Maximilian, der ja
auch ihr und nicht nur Landesfürst der
Tiroler war. Kärnten reklamierte die
Herrschaft Lienz für sich, wobei der
Anspruch historisch legitimiert
wurde. Angeprangert wurde, dass
Maximilian in allem die Herrschaft
Lienz der Grafschaft Tirol zugespro-
chen habe. Widersprochen wurde
dieser evidenten Tatsache aber
mit der Behauptung der Kärntner
Landstände, die Herrschaft Lienz
habe seit alters im Herzogtum
Kärnten gelegen. Überdies hätten sich
die Grafen von Görz, wie andere Gra-
fen, die in Kärnten sesshaft gewesen
waren und hier Herrschaften besessen
hatten, ihren Gerichtsstand vor der
Schranne in St. Veit, dem höchsten Ge-
richt Kärntens, gehabt und die Görzer hät-
ten gemeinsam mit den hiesigen Landstän-
den gegen die Türken und andere Eindring-
linge gekämpft. Maximilian suchte die
Kärntner hinzuhalten. Auf dem Kärntner
Landtag 1509 ließ er erklären, die Herr-
schaft Lienz sei weder dem Herzogtum
Kärnten noch der Grafschaft Tirol inkorpo-
riert, sie sei vielmehr als „freie“ Herrschaft
anzusehen. Auf diese windige Ausrede hin,
die die Realität zurechtbog, replizierten die
Kärntner Landstände, alles andere als beru-
higt, mit der Herrschaft Lienz ginge dem
Land Kärnten vieles verloren, zumal die
Lienzer Klause, die der Schlüssel zu ihrem
Land wäre. Den Generallandtag 1510 in
Augsburg nutzten die Kärntner, um wieder
in der Causa Lienz vorstellig zu werden.
Nochmals wiesen sie darauf hin, dass sich
die Görzer Grafen vor der Schranne in St.
Veit gerichtlich verantwortet hätten. Ja sie
boten Maximilian an, den Beweis zu führen,
Kaiser Friedrich III., Maximilians Vater,
hätte in seiner Funktion als Herzog von
Kärnten über Graf Leonhard von Görz das
Urteil gesprochen. Das waren bestenfalls
Halbwahrheiten. Den Nachweis konnten die
Kärntner niemals erbringen, denn es ist
historisch erwiesen, dass Leonhard St. Veit
wie der Teufel das Weihwasser gemieden
hatte, um nicht den leisesten Anschein zu er-
wecken, er als Reichsfürst und Landesfürst
unterstehe der Gewalt des Kärntner Her-
zogs.
Was die Kärntner im Bemühen, die Herr-
schaft Lienz an das Land Kärnten zu brin-
gen, geflissentlich übersahen, war die poli-
tische Entwicklung der letzten zwei Jahr-
hunderte. Gewiss hatten einst der
Raum Lienz und das Iseltal, wobei der
westliche Grenzsaum gegenüber der
bayerischen Grafschaft Pustertal an der
Lienzer Klause verlief, zum Herzogtum
Kärnten gehört. Aber inzwischen hat-
ten die Grafen von Görz längst ein
Land und eine Grafschaft eigenen
Rechts, die vom Reich anerkannt war,
sich gezimmert und zu diesem Zweck
bewusst ihre Herrschaften und Ge-
richte auf Kärntner Boden aus dem
Verband des Herzogtums Kärnten ge-
löst und sich und ihre Untertanen, weil
sie als Landesherren und Landesfür-
sten regierten, von allen Verpflichtun-
gen gegenüber Kärnten losgesagt.
Verschwiegen wurde, dass auch
Kärnten auf Kosten der Görzer profi-
tiert hatte, 1460 nämlich, als Kaiser
Friedrich III. nach seinem Siegeszug
im Cillischen Erbstreit die Vordere
Grafschaft Görz halbierte und alle
görzischen Gerichte östlich des
Kärntner Tors seinen Gegnern ab-
nahm und dem Herzogtum Kärnten
zuschlug. Alles in allem waren die
historischen Konstruktionen der
Kärntner, um ihr Verlangen zu unter-
mauern, gelinde gesagt, gewagt und
zielten an der Realität vorbei.
Aufwind bekamen die Kärntner Lands-
tände unter der Regentschaft Kaiser Karls
V., des Enkels und Erben Maximilians I.
Karl regierte nach dem Tod seines Großva-
ters 1519 für kurze Zeit, bis 1521/22, die ös-
terreichischen Erbländer, bevor er sie an sei-
nen Bruder und Miterben Erzherzog Ferdi-
nand, den späteren Kaiser Ferdinand I.,
abtrat. Karl verbriefte den Kärntner Lands-
tänden im März 1522, dass die Herrschaft
Lienz dem Land Kärnten einverleibt werden
sollte. Das weckte neue Hoffnungen und ver-
führte die Kärntner zu einer Politik der ge-
zielten Nadelstiche und subtilen Demüti-
gungen. So wurde Michael von Wolkenstein,
Pfandinhaber der Herrschaft Lienz, auf eine
Privatklage hin vor die Schranne in St. Veit
zitiert, selbstherrlich belegten die Kärntner
Lienzer Klause nach der Umgestaltung durch Maximilian I., aquarellierte Federzeichnung
in einem Codex über Befestigungen in Südtirol und Friaul von Jörg Kölderer, um 1508.
(Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Handschriftensammlung, Cod. 2858)
Foto: Wien, ÖNB
Titelseite des Tiroler Land-
libells, Innsbruck, 23. Juni
1511, Handschrift aus
Pergament mit anhangen-
dem Siegel Maximilian I.
Mit der Aufnahme des
Pustertals und der
Herrschaft Lienz in
die Steuer- und
Verteidigungs-
ordnung der Graf-
schaft Tirol war die
Vereinigung dieser von den
Görzern ererbten Bereiche mit
Tirol de facto vollzogen.
(Innsbruck, Tiroler Landesarchiv, Land-
schaftliches Archiv, Urkunde 32)
Foto: Foto Frischauf, Innsbruck