Seite 2 - H_2000_08-09

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
68. Jahrgang –– Nummer 8-9
Heinfels und Lienzer Klause zwängte sich
das brixnerische Gericht Anras, zu dem
auch Tilliach und Bannberg gehörten. Ver-
treten war auch die Grafschaft Tirol und
zwar mit dem Landgericht Taufers, die das
Stift Sonnenburg und dessen gleichnamiges
Hofgericht bevormundeten. Umgekehrt
war die Hofmark Innichen, Eigentum des
Bistums Freising, zur görzischen Einfluss-
zone zu rechnen. Vergeblich hatten die Gör-
zer dafür gekämpft, in ihrem Umfeld das
Hochstift Salzburg als Herrschaftsfaktor
auszuschalten, zumindest zu minimieren.
Mit seinem Gericht Windisch-Matrei, das
sich ab Huben über das hintere Iseltal er-
streckte und einen Großteil des Defereg-
gentals umfasste, griff das Hochstift und
Land Salzburg über die Tauern nach Süden
aus und behauptete mit Gericht Lengberg
eine kleine Exklave im Drautal.
Angesichts dieser unübersichtlichen
politisch-territorialen Gemengelage sprach
alles dagegen, die Vordere Grafschaft Görz
als eigenes Land und Herrschaft weiterexis-
tieren zu lassen. Maximilian wusste aus
eigener Erfahrung um die Widersetzlichkeit
der Erbländer, dass jedes auf seinen Eigen-
heiten beharrte und auf besondere Rechte
pochte. Ein neues Erbland bedeutete Rück-
sicht zu nehmen und sich zusätzliche Pro-
bleme aufzuhalsen. Hingegen hatte die
Überlegung, die Vordere Grafschaft Görz in
einer größeren Einheit, eben der Grafschaft
Tirol, aufgehen zu lassen, einigen Charme.
Die Vordere Grafschaft Görz war ein
Leichtgewicht auf der politischen Waage
ihrer Zeit. Sie war noch stark dem mittel-
alterlichen Feudalismus verhaftet, wo
Herrschaft weniger in Institutionen sich ma-
nifestierte als von vielfältigen personalen
Beziehungen getragen wurde. Um sich hier
einer staatlichen Vereinnahmung widerset-
zen zu können, hätte es einer Identität, eines
Gefühls des Zusammengehörens bedurft,
das allein selbstbewusste Landstände in sich
trugen. Unter den Görzern hatten sich zwar
Landstände bilden können, die aber noch
keine feste Organisationsform angenommen
hatten und sich vornehmlich auf den Adel
abstützten, der seine Loyalität im indivi-
duellen Interesse und im Widerstreit der
Kräfte geschickt zu teilen gelernt hatte. Für
Tirol sprach die nahe Nachbarschaft, für
Tirol sprach, dass sich die görzischen Ge-
richte und Herrschaften seit alters wirt-
schaftlich, politisch und rechtlich nach
Westen orientiert hatten. Mitentscheidend,
die vordergörzische Erbmasse der Graf-
schaft Tirol zuzuschlagen, war ein „außen-
politischer“ Faktor: Für Maximilian war die
Grafschaft Tirol, dieser Sperrriegel in den
Alpen, die Ausgangsbasis, der gesicherte
Hort für reichspolitische Ambitionen in Ita-
lien mit Venedig als Angriffsziel. Als süd-
östliche Flanke ergänzten die görzischen
Territorien ideal das Bollwerk der Graf-
schaft Tirol. Die hochfliegenden Pläne des
Kaisers und Tiroler Landesfürsten waren für
die Grafschaft Tirol teuer erkauft: Über drei
Jahrzehnte musste das Land mit einer un-
ruhigen Südgrenze leben und zahlreiche
Kriegsunternehmen finanzieren. Die Aus-
beute nahm sich hingegen bescheiden aus.
An der tirolischen Südgrenze unterhalb von
Trient, an den Welschen Konfinen, war
etwas Landgewinn zu verzeichnen, später
großteils dem Hochstift Trient überlassen,
und den Venezianern wurde zudem ein Teil
des Cadore abgejagt, das dann tirolische Ge-
richt Haiden oder Ampezzo.
Die Besitznahme des görzischen Erbes
lief recht nüchtern ab, wobei von allem An-
fang an alle Aktionen über Innsbruck abge-
wickelt wurden. Sofort, nachdem ein Eilbote
den Tod Leonhards in Innsbruck gemeldet
hatte, wurden von dort aus Beamte und Räte
nach Lienz mit dem Auftrag beordert, nach
dem Rechten zu sehen, namens Maximilians
als neuen Landesherrn Treue und Gehorsam
einzufordern und die Lehen zu verleihen.
Die Weisung nach Lienz, die görzischen
Urbar- und sonstigen Einnahmen mit der
Innsbrucker Finanzbehörde, der Kammer,
zu verrechnen, folgte nach. Der ständig
wegen seiner Kriege in Geldnöten steckende
Maximilian war wohl oder übel gezwungen,
die eben erworbenen görzischen Gerichte
aus der Hand zu geben, und zwar an
Kreditgeber und Gläubiger, die aus dem
Dunstkreis der Grafschaft Tirol kamen. Nur
das als Grenzregion gegen Venedig wichtige
und durch seine Zollstätte in Toblach finan-
ziell ertragreiche Landgericht Welsberg ließ
Maximilian direkt durch tirolische Beamte
verwalten. Dem Bischof von Brixen wurden
noch im Jahr 1500 die Gerichte Schöneck,
Michelsburg, Uttenheim, 1501 das Landge-
richt Heinfels überlassen, den Wolkenstein,
einer der angesehensten Adelsfamilien
Tirols, 1500 das Gericht Altrasen, im Jahr
darauf Stadt und Landgericht Lienz samt
Kals und Virgen und 1507 das die Herr-
schaft Lienz komplettierende Gericht Lien-
zer Klause. Bei solchen damals üblichen
und auch späterhin praktizierten, bei den
Untertanen nichtsdestotrotz unbeliebten, ja
verhassten Transaktionen wurden landes-
herr-liche, gleichsam staatliche Funktionen
privatisiert. Den adeligen Pfand- und Ge-
richtsherrschaften wurden, gegen Einräu-
men von Krediten natürlich, unter Vorbehalt
Abschrift einer Instruktion Kaiser Maximilians I. an seine drei Kommissäre für den pus-
tertalischen Teillandtag 1509 in Toblach. (Innsbruck, Tiroler Landesarchiv: Landschaft-
liches Archiv, Landtagsakten Nr. 12, Faszikel 1)
Repro: Tiroler Landesarchiv