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Nummer 8-9/2000
68. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Die Ausgangssituation
Als im April 1500 in seiner Residenz-
stadt Lienz Leonhard, der letzte Görzer,
stirbt, ohne Kinder und Erben zu hinterlas-
sen, tritt jenes Szenario ein, auf das die
Habsburger seit Jahrzehnten hingearbeitet
haben: Das görzische Erbe fällt an das Haus
Habsburg in der Person Kaiser Maximilians
I. Dessen Hausmacht stützte sich auf eine
Kette von Erbländern – die Herzogtümer
Österreich, Steiermark, Kärnten und
Krain, die Grafschaft Tirol und die Vor-
lande, zersplitterter Stammbesitz im Süd-
westen des Reichs. Die Habsburger hatten
schon des längeren die Görzer und deren
Besitzungen als ärgerliches Hindernis
empfunden, ihre Herrschaft zu arrondieren.
Auf Kosten und Dank der Görzer war mit
dem Jahre 1500 das gesteckte strategische
Ziel endgültig erreicht: Jetzt konnten die
Habsburger die Länderbrücke via Lienz
und Pustertal zwischen ihren Ländern Tirol
und Kärnten schließen. Ihre äußerst
schwache Position als Kärntner Herzöge
und Landesfürsten in Oberkärnten hatten
sie ohnedies schon 1460 ausgebaut, indem
sie damals den Besitz der Grafen von Cilli
abräumten und den Görzern alle Gerichte
und Herrschaften östlich des Kärntner
Tores abnahmen. Und weiters konnten sie,
in Konkurrenz zur Republik Venedig, ihre
Stellung an der oberen Adria verbessern
und sich den Zugang zum Meer absichern.
Wie das Wort Erbe, ein Begriff aus dem
Privatrecht signalisiert, agierte Maximilian
in der Frage der görzischen Länder als habs-
burgischer Hausherr, als Vertreter seiner
Dynastie. Wie einem Privatmann stand es
ihm zu, nach Gutdünken über diese Erb-
masse zu verfügen. Theoretisch hatte Maxi-
milian mehrere Optionen, mit der görzi-
schen Verlassenschaft umzugehen: Zum
ersten konnte er die Grafschaft Görz, die
sich aus zwei Länderkomplexen, der Vor-
deren Grafschaft Görz und der Hinteren
Grafschaft Görz, zusammenfügte, weiterbe-
stehen lassen. Dies verbot sich von selbst.
Denn noch zu Zeiten der verblichenen Gra-
fen hatte sich deren auseinandergerissenes
Territorium als fragiles Gebilde erwiesen,
das vornehmlich durch die Person des
gemeinsamen Landesherrn aus dem Hause
Görz verklammert worden war. Der friauli-
sche Teil im romanisch-slawischen Misch-
gebiet wurde daher von Maximilian aus dem
hergebrachten Verband gelöst und unter
dem Namen Grafschaft Görz als habsburgi-
sches Land verselbstständigt. Dieses bildete,
später angereichert durch den Venezianern
abgerungene Territorien, den Kernstock für
das Kronland Görz-Gradiska der Habsbur-
germonarchie.
Optionen
Was aber sollte mit der Vorderen Graf-
schaft Görz geschehen? Die war eine recht
beachtliche territoriale Manövriermasse.
Das Pustertal von der Mühlbacher Klause
Richtung Lienz abschreitend, bestand sie
aus folgenden Territorien: Gericht Schöneck
mit dem Burgfrieden Ehrenburg, Gericht
Uttenheim oder Neuhaus, Landgericht
St. Michelsburg, Gericht Altrasen, Landge-
richt Welsberg, Landgericht Heinfels und
fünf Gerichten, die ab dem 16. Jahrhundert
als Herrschaft Lienz firmierten – Gericht
Lienzer Klause, Stadt Lienz, Landgericht
Lienz, das im Iseltal bis St. Johann im
Walde reichte, und die Gerichte Virgen und
Kals.
Dieser Besitz war alles andere als ge-
schlossen, vielmehr durchwoben mit Ein-
sprengeln in der Hand anderer Territorial-
herren. Am westlichen Eingang des Puster-
tals behauptete sich der Bischof von
Brixen mit dem kleinen Gericht Niedervintl,
brixnerisch waren Stadt und Umgebung von
Bruneck. Zwischen die görzischen Gerichte
Wilfried Beimrohr
Die Folgen eines Erbfalls: Die Vordere
Grafschaft Görz kommt zu Tirol
*
Allianzwappen Tirol – Görz, 1. H. 16. Jh., Deckfarbenmalerei auf der Innenseite des Um-
schlagdeckels von Jakob Unrests Österreichischer Chronik. (Österreichische National-
bibliothek, Handschriftensammlung, Cod. 2944)
Foto: Wien, ÖNB