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Außerdem spreche für die Felbertauern-
bahn, dass sie die kürzeste Verbindung des
einzigen Seehafens der Monarchie Triest
mit den Nordsee-Häfen und mit Süd-
deutschland sei. Die Felbertauernbahn sei
somit für den internationalen Personen-
und Handelsverkehr von eminenter Be-
deutung. Dies wurde als besonders triftiger
Grund für den Bahnbau angegeben,
wobei Streckenlängen um einige Kilome-
ter auf oder ab eine untergeordnete Rolle
spielen sollten.
II. Die lokale Bedeutung
Der Umstand, dass die Felbertauernbahn
von Lienz abzweige, das genau in der
Mitte zwischen Villach und Franzensfeste
liege, würde auch dem Drau- und Puster-
tal bedeutende wirtschaftliche Vorteile
bringen.
Für das Iseltal und die Nebentäler wurde
unter anderem ins Treffen geführt, dass
mit der Erschließung durch die Felbertau-
ernbahn der Transport von Getreide aus
fruchtbaren Gebieten im Flachland um so-
viel billiger komme, dass man auf den
ertragarmen Getreideanbau weitgehend
verzichten und dafür die Tierhaltung ver-
bessert und ausgeweitet werden könnte.
Der Absatz der Tiere an Käufer in Salz-
burg und im bayerischen Raum würde
deutlich ansteigen und der Transport sei
dann einfacher und weniger riskant als der
Viehtrieb über den Felbertauern.
Trotz des Eigenanbaus von Getreide
müssten jährlich 22.000 Hektoliter in den
Gerichtsbezirk Matrei (Matrei, Virgen,
Prägraten, Kals, Hopfgarten, St. Veit und
St. Jakob) eingeführt werden. Allein die
Fracht von Lienz nach Huben per Pferde-
fuhrwerk koste pro Vierling (ca. 20 Liter)
7 bis 8 Kreuzer und die jährlichen Fracht-
spesen wären mit 12.000 bis 15.000 Gul-
den zu veranschlagen.
Ein weiterer Vorteil wäre der Bahntrans-
port des Holzes. Das mühsame Holztriften
nach Lienz fände mit der Bahn sein Ende
und zudem könnte dann der süddeutsche
Raum als Markt für Holz aus Osttirol er-
schlossen werden. Die alljährlich in Osttirol
zum Verkauf anfallenden 150.000 „Musel“
(Säghölzer) könnten dann sicher einen bes-
seren Preis erzielen. Ohne Felberbahn sei
die Lieferung nach Norden aus Kosten-
gründen nicht möglich. Solchermaßen
könnte auch der Obstabsatz aus dem Lienzer
Becken erheblich gesteigert werden.
Der zögernd einsetzende Tourismusver-
kehr in die Glockner- und Venediger-
region würde durch die Verkehrserschlie-
ßung per Bahn direkt in das Gebiet eine ra-
sante Aufwärtsentwicklung erfahren und
in der doch relativ armen Gegend als neuer
Wirtschaftszweig befruchtend wirken.
Schließlich wurde auch mit montanisti-
schen Erwartungen für den Bahnbau ge-
worben. Der Bergbau hatte zwar schon im
16. und 17. Jahrhundert die meisten Gru-
benpächter und Knappen ärmer gemacht
als sie vorher waren, nun aber sollte mit
der bergbaulichen Erschließung und dem
Abtransport mit der Bahn sich das ganze
rechnen. Wohl ein Ding der Unmöglich-
keit. Michelbach, Leibnig, Göriach bei
Virgen und Prägraten wurden angeführt.
Bleiglanz, Schwefelkies, Eisen, Arsenik,
Nickel und Antimon wurden als rentabel
abbaubare Bergschätze gewertet.
Bedeutende Einnahmen könnte man sich
vom Personenverkehr erwarten. Der lokale
Reiseverkehr würde wegen des größeren
Hinterlandes die beiden anderen ins
Auge gefassten Bahnlinien weit überflü-
geln und auch der internationale Reise-
verkehr würde diese Nord-Südschiene am
liebsten annehmen.
III. Die strategische Bedeutung
Wenn man die Begründungen für die
strategische Bedeutung in unserer Zeit
liest, kann man ein Schmunzeln nicht ganz
verkneifen.
Vornehmlich – so heißt es in der Petition
weiter – müsse man erklären, dass für die
Landesverteidigung das Zustandekommen
der Felbertauernbahn von eminentester stra-
tegischer Wichtigkeit sein könne. Ein Drit-
tel der 21 Seiten umfassenden Broschüre
wird allein diesem Kapitel gewidmet.
Tirol – damals noch eine Einheit – sei
mit seinen Pässen und verzweigten Tal-
schaften eine starke Grenzfestung für die
gesamte Monarchie. Die Inn- und be-
sonders die Drau-Pustertalfurche müssten
im Falle eines Angriffs der Italiener
und/oder der Franzosen „mit aller Vehe-
menz verteidigt werden“, denn solange der
Feind das Pustertal und Drautal nicht ein-
genommen habe, sei das Kernland der
Monarchie nicht in Gefahr. Im Kriegsfalle
müssten also möglichst schnell Truppen
und Gerät nach Osttirol gebracht werden
können. Die 100.000 Mann (reguläre
Truppe, Landesschützen und Land-
sturm), die Tirol kurzfristig unter Waffen
bringen könne, wäre nur bei Bestand der
Felbertauernbahn zeitgerecht an die Süd-
front – also nach Osttirol – zu bringen.
Ähnlich sei die Situation im umgekehrten
Fall. Österreich verbinde zwar derzeit eine
enge Freund- und Bruderschaft, doch habe
es mit Bayern des öfteren Auseinander-
setzungen gegeben, was auch in Zukunft
nicht ganz auszuschließen sei.
Fazit der vermeintlichen strategischen
Bedeutung: Ohne Felbertauernbahn sei das
Landesgesetz vom 19. Dezember 1870
zum guten Teil und gerade im Hinblick auf
das in einem Kriege mit Italien so wichtige
Pustertal außer Wirksamkeit gesetzt. Es
könne wohl keinem Zweifel unterliegen,
dass der Landsturm nur Erfolg haben kann,
wenn er so schnell als möglich und in Mas-
sen an die Frontabschnitte überstellt und
mit Nachschub versorgt werden könnte.
Soweit kurz zusammengefasst die wich-
tigsten Argumente für die strategische
Wichtigkeit der Felbertauernbahn.
Nummer 9-10 – 70. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Dampflokomotive Nr. 983, Serie 35 a, der k.k. privilegierten Südbahngesellschaft.
Huben um 1920.