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OSTTIROLER
NUMMER 7/2012
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HEIMATBLÄTTER
geht fast in ein Weiß über. Ihre Wangen
sind rosa getönt, die Augenbrauen mittels
hellbrauner Bögen dargestellt. Das Oberlid
ist mit einer dunkelroten Linie akzentuiert,
die Iris der Augen graugrün. Die Lippen
sind mit dunkelroter Farbe betont und in
der Mitte mit Weiß gehöht. Das Christus-
kind trägt ein langes Gewand in einem Sil-
berblau (Lüstrierung) mit Goldsäumen. Es
sitzt auf einem kleinen Polster, der die-
selbe Farbe wie sein Gewand hat, auf dem
Arm der Muttergottes. In der rechten Hand
hält es einen roten Apfel, mit der linken
fasst es an den Schleier seiner Mutter.
Seine Haare sind hellbraun, am Haupt sind
drei Strahlen, die einen Nimbus (= Heili-
genschein) symbolisieren, angebracht.
Vermutlich handelt es sich auch hierbei um
eine barocke Zutat. Auch seine Hautfarbe
ist weißrosa und porzellanartig, wie die
der Muttergottes. Die ganze Figur steht auf
einem grauen, weiß marmorierten Sockel.
Die Fassung auf der Rückseite der Mut-
tergottes (Abb. 3) unterscheidet sich von
der Vorderseite (Abb. 1) wie folgt: Der
Mantel der Muttergottes ist orangerot mit
einem Goldsaum, der Kopfschleier ist ent-
lang des Hauptes gelb, an den Schultern
und beim Faltenwurf über der linken
Schulter weiß und schließt dort mit einem
grünen und hellbraunen Streifenmuster ab
(Abb. 4).
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Das vorne silbergrau ausge-
führte Kleid ist auf der Rückseite weiß und
zusätzlich mit einem Sternenmuster ver-
sehen (Abb. 5). Eine Betrachtung der
Skulptur nach bloßemAugenschein ergibt
daher, dass bei dieser Madonnenskulptur
zumindest eine polychrome Metamor-
phose in Form einer späteren Übermalung
stattgefunden haben muss. Um darüber je-
doch eine eindeutige Antwort zu erhalten,
müssen die Quellen in Form von Restau-
rierungsberichten befragt werden. Leider
gibt es imVergleich zur Vielzahl an Kunst-
werken nur sehr wenige und aussagekräf-
tige Berichte, da es bis in die 1980er Jahre
nicht üblich war, Restaurierungs- bzw.
Konservierungsarbeiten an Kunstwerken
in schriftlicher Form festzuhalten.
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Daher kann man es aus kunsthistorischer
Perspektive als Glücksfall ansehen, dass zur
Matreier Madonna ein Restaurierungsbe-
richt vorliegt, der noch dazu in vorbildli-
cher Weise publiziert wurde.
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Die Skulptur
wurde 1994 durch Pia Maria Gazzola im
Bundesdenkmalamt Wien restauriert. Dabei
wurde ein Schichtenbefund der Fassungen
durchgeführt, der ergab, dass sich auf der
Madonna insgesamt drei Fassungen (inklu-
sive der gotischen Originalfassung) befin-
den. Die beiden noch sichtbaren Fassungen
auf der Vorder- bzw. der Rückseite wurden
anhand von Stilvergleichen mit ähnlichen
Skulpturenfassungen datiert. So stammt die
Fassung der Skulpturenrückseite aus dem
17. Jahrhundert und die der Vorderseite aus
dem 18. bzw. 19 Jahrhundert.
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Die Skulp-
tur wurde also nach ihrer ursprünglichen
Fassung im 14. Jahrhundert danach noch
zwei Mal zur Gänze neu gefasst. Die Mari-
enfigur erhielt insgesamt drei Mal ein neues
farbiges Kleid. Die restauratorische Ana-
lyse endet hier, doch mag man sich fragen,
warum die „alten Gewänder“ nicht mehr
gefielen und ob die neue Mode auch eine
der Madonna entsprechende Gewandung
war. Hierfür ist die nähere Betrachtung
eines verräterischen Details an der Marien-
figur aufschlussreich.
Das auffälligste Detail dafür, dass es sich
bei der heutigen Bemalung nicht um eine
mittelalterliche Fassung handeln kann,
sind die Muster auf der Rückseite der
Figur. Der Schleier hat ein Streifenmuster
– eine textile Kombination, die im Mittel-
alter sofort mit einer gewissen Randgruppe
in Verbindung gebracht worden wäre. In
der Zeit, als die Matreier Madonna ent-
stand, war Kleidung nämlich nicht so wie
wir es heute sehen, Ausdruck der indivi-
duellen Persönlichkeit, sondern Zeichen
der Standeszugehörigkeit und unterlag
strengen Regelungen was Stoffwahl, Farbe
und Musterung betraf. Eigene Kleiderord-
nungen regelten, wer welche Kleidung tra-
gen durfte bzw. musste, und gelbe oder ge-
streifte (Kopf)tücher galten als eindeutiges
Erkennungszeichen für Prostituierte.
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Man mag sich nun wundern, was denn so
ein pikantes Erkennungszeichen auf einer
Marienfigur verloren hat. Denn gelbe oder
gestreifte Schleier bzw. Tücher standen in
der Geschichte der Heiligendarstellung
meistens in Zusammenhang mit dem Bild
der armen Sünderin Maria Magdalena.
Doch ein Blick in die Kunstgeschichte
zeigt, dass sich Künstler nicht immer an
die kirchlichen Vorgaben bei Heiligendar-
stellungen hielten. Gerade in Italien der
Renaissance kam es zu einer Vermischung
von weltlichen und kirchlichen Themen –
ein berühmtes Beispiel dafür lieferte
Leonardo da Vinci, dessen Felsgrottenma-
donna zwei Mal gemalt werden musste, da
die 1. Fassung ohne Heiligenattribute den
kirchlichen Auftraggebern als „zu welt-
lich“ erschien. Die Tendenz, den Heiligen
ein weltliches Gepräge zu geben, führte
auch Raffael fort, denn seine „Madonna
della Sedia“ von 1513 (Galleria Palatina,
Palazzo Pitti, Florenz) (Abb. 6) hat um ihr
Haupt ein gestreiftes Tuch, sowie um ihre
Schultern einen gemusterten Umhang ge-
schlungen. Es kam dabei zu einer Vermi-
schung der Attribute von Maria Magdalena
und der Muttergottes. Diese allmähliche
Profanierung bei den Heiligendarstellun-
gen im Laufe des 16. Jahrhunderts führte
im 17. Jahrhundert dazu, dass bestimmte
mittelalterliche Attribute in Vergessenheit
Abb. 8, 9: Madonna aus dem Salesianerinnen-Kloster in Wien, 1320/30, nach der
Restaurierung (l.) und vor der Restaurierung noch mit gestreiftem Schleier.
Abb. 6: Raffael, „Madonna della Sedia“ mit
gestreiftem Kopftuch, 1513.
(Florenz, Palazzo Pitti, Galleria Palatina)
Abb. 7: Johann Gottfried Müller, Kupfer-
stich nach Raffaels „Madonna della
Sedia“, 1804.