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OSTTIROLER
NUMMER 7/2012
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HEIMATBLÄTTER
ser realistischen Farbgebung der Bild-
werke war, den Betrachter und Gläubigen
in Glaubensdingen zu überzeugen. Die
kostbaren farbigen, metallisch glänzenden
und mit Edelsteinimitaten besetzten Klei-
der der Heiligenfiguren sollten dem Kir-
chenbesucher etwas vom Abglanz des
Himmels erahnen lassen, dem er durch den
Messgang beiwohnen konnte.
Doch der „überirdischen“ Farbenpracht
der Skulpturen stand das irdische und
damit vergängliche Material entgegen –
nur selten haben sich mittelalterliche Fas-
sungen auf Skulpturen erhalten. Manches
erledigte die Zeit, zum Beispiel wenn
durch das Arbeiten des Holzes Farbe ab-
blätterte, sich Schmutz in den tiefen Falten
absetzte und die Figur mit einer dunklen
Patina überzog, wenn die Witterung Holz
und Farbe zusetzte oder der Holzwurm das
Holz unter der Fassung wegfraß und so die
Farbe abblättern ließ. Und nicht zuletzt
waren es durch Menschen verursachte Ver-
änderungen der Farbe, aber auch der Holz-
substanz – wie beispielsweise wenn durch
übereifrige Reinigungsaktionen mit schar-
fen Putzmitteln die Farben beschädigt oder
aus Unachtsamkeit Gliedmaßen wie Fin-
ger abgebrochen wurden. Nicht selten
wurden Skulpturen der neuesten „Mode“
angepasst, sie wurden übermalt, erhielten
neue Gesichter oder neue Gewänder.
So präsentiert sich der Großteil der mit-
telalterlichen Skulpturen heute in einem
anderen (farbigen) Bild. Und nur der Res-
taurator vermag nach naturwissenschaftli-
chen Analysemethoden zu urteilen, ob die
Fassung einer Skulptur noch ursprünglich
ist oder eine spätere Zutat. Doch sind es
nicht diese Evidenzen, die zwar größten-
teils den Marktwert einer Skulptur bestim-
men, sondern man sollte sich vielmehr ein-
mal die Frage stellen, warum denn über-
haupt Kunstwerke verändert wurden. Eine
Tatsache, die heute verwundert, gelten
doch Skulpturen gemeinhin als Kunst-
werke und damit als autonome Objekte, die
im Sinne der Denkmalpflege durch äußere
Eingriffe geschützt werden sollten. Doch
was ein Kunstwerk und damit schützens-
wert ist, ist eine Fragestellung, um die man
sich bis ins späte 19. Jahrhundert nur
wenig gekümmert hat. Denn das Kunst-
werk vor dem Zeitalter der Museen war
nicht, so wie wir es uns heute gerne vor-
stellen, eine einmalige, für die Ewigkeit ge-
schaffene Schöpfung zur ästhetischen Er-
bauung, sondern es erfüllte immer eine be-
sondere Aufgabe, sei es in einem religiösen
oder weltlichen Zusammenhang. So waren
mittelalterliche Skulpturen, die in der Kir-
che standen, keine Kunstwerke im heutigen
Sinn, sie waren vielmehr kunstvolle Bild-
werke, durch die der des Lesens unkundige
Betrachter in das himmlische Geschehen
mit eingebunden werden sollte.
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Vor diesem Hintergrund kann ein nähe-
rer Blick auf die Matreier Madonna ge-
wagt und die Frage nach der Ursprüng-
lichkeit ihrer Fassung gestellt werden. Zu-
nächst fällt auf, dass bei der Skulptur Vor-
der- und Rückseite in anderen Farben aus-
geführt wurden – eine Tatsache, die schon
an der Originalität der Fassung zweifeln
lässt (Abb. 1 und 3). Vorne ist der kurze
Umhang der Muttergottes, der über ihre
linke Schulter bis zur rechten Taille ge-
schwungen ist und in Kniehöhe abschließt,
in einem metallisch glänzenden Zartrosa
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gefasst und mit einem, in kleinen Bögen
unterteilten, Goldsaum verziert. Die In-
nenseite dieses Umhanges ist dunkelblau,
sowie das Futter, welches über den gold-
gesäumten Abschluss des Mantels hinaus-
geht. Darunter trägt die Madonna ein sil-
bergraues Kleid mit goldenen Säumen an
den Ärmeln und einen goldenen Gürtel um
die Mitte. Am Hals befindet sich eine gol-
dene Mantelschließe, die aus zwei Blüten
besteht. Der rechte und linke Ärmel ist je-
weils mit einem grünen Besatz versehen.
Den Ringfinger ziert ein goldener Ring.
Ein dunkelblauer Schleier mit breitem
Goldsaum bedeckt das hellbraune, ge-
lockte lange Haar. Eine Stoffbahn des
Schleiers ist über die Schultern und den
Brustbereich der Maria gelegt, jedoch ist
diese Stoffbahn nicht mehr dunkelblau wie
am Kopfbereich, sondern golden gefasst.
Auf ihrem Kopf befindet sich eine Krone
(stilistisch eine barocke Ergänzung), die
vergoldet und mit roten, grünen und
blauen „Edelsteinen“ besetzt ist. Die Haut-
farbe der Muttergottes ist sehr hellrosa und
Abb. 4, 5: Die Rückseite zeigt ein Streifen-
muster am Schleier (oben) und Sternen-
muster am Kleid.
Abb. 2: Foto aus den 1930er-Jahren, das die
Madonna, damals noch in St. Alban auf-
gestellt, unter einem Stoffbaldachin zeigt.
Abb. 3: Rückseite der Madonnenstatue, die
im Vergleich zur Vorderseite (Abb. 1)
eine andere Farbgebung aufweist.