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ImWeiler Ganz bei Matrei i. O. steht auf
einem Hügel die St. Nikolauskirche, ein
Kleinod romanischer Baukunst und be-
rühmt aufgrund des gut erhaltenen Fres-
kenschmucks. Doch birgt die Kirche
nicht nur außergewöhnliche Wandmale-
reien, sondern noch andere wertvolle mit-
telalterliche Ausstattungsstücke – welche
heute jedoch dem Besucher leider verbor-
gen bleiben müssen.
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Bei einem dieser
Stücke handelt es sich um eine Marien-
skulptur aus der Zeit der Frühgotik, die seit
ihrer Restaurierung 1994 im Widum der
Pfarrkirche St. Alban (Abb. 1) aufbewahrt
wird. Aus Gründen der Konservierung,
aber auch aus Gründen der Sicherheit fris-
tet hier ein Meisterwerk sein Dasein in
einem versperrten Schrank. Anlässlich
einer Ausstellung konnte die Figur zuletzt
2010 in musealer Weise präsentiert und
einem größeren Publikum gezeigt werden.
Im Rahmen der Ausstellung „Ver-Wand-
lungen. Metamorphosen von Skulpturen
im Wandel der Zeit“ im Augustiner-
museum Rattenberg, die vom 12. Juni bis
1. Oktober 2010 stattfand, konnte erstmals
die interessante Verwandlungsgeschichte
der Marienskulptur aufgezeigt werden.
Denn was viele Bewunderer der Skulptur
nicht wissen, ist, dass die Madonna heute
einen Zustand aufweist, der nicht mehr der
mittelalterlichen Intention ihres Schöpfers
entspricht – im übrigen eine Tatsache, die
vielen Kunstwerken aneignet, jedoch nur
selten thematisiert wird. In diesem Beitrag
möchte ich einen Blick „hinter die Bilder“
werfen, um so eine andere Geschichte
eines Kunstwerkes darzustellen, die eine
neue Perspektive auf ein vermeintlich be-
kanntes Bildwerk eröffnen soll.
Über die Provenienz der Skulptur ist nur
wenig bekannt: Ob die Muttergottesstatue
für die ehemalige (mittelalterliche) Vor-
gängerkirche der Pfarrkirche St. Alban
oder direkt für die Filialkirche St. Nikolaus
angefertigt wurde, darüber gibt es lediglich
Vermutungen aufgrund ihres früheren
Aufstellungsortes der Pfarrkirche St. Alban
(Abb. 2). Wahrscheinlich kam die Skulptur
später nach St. Nikolaus
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aufgrund der
Bildentfernungen, die nach dem 2. Vatika-
nischen Konzil (1962-1965) vielerorts
durchgeführt wurden. An ihrem neuen
Standort wurde ihr ein prominenter Platz
zuteil, nämlich auf der Altarmensa des
Unterchores – der Ort des Kultes, an dem
die Eucharistie gefeiert wurde. Von diesem
Platz wurde sie dann nach der Restaurie-
rung in den Werkstätten des Bundesdenk-
malamtes in Wien 1994, in das Widum der
Pfarrkirche St. Alban überstellt.
Die kunsthistorische Einordnung der
Figur wurde aufgrund ihrer Stilmerkmale
getroffen: Der eher blockhafte Umriss
der Skulptur und die frontale, nur auf eine
Ansicht von vorne konzipierte Figur gelten
als Charakteristika, die sich an der früh-
mittelalterlichen Bauplastik in ganz
Europa studieren lassen. Doch wegen der
ausgeprägten Falten ihres Gewandes, die
schon gotisierende Züge aufweisen, wird
vermutet, dass die Skulptur in der Zeit
zwischen 1340/50
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hergestellt wurde.
Die Skulptur ist 155 cm
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groß und
zählt damit zu den stattlicheren unter den
wenigen erhalten gebliebenen großen
Madonnenfiguren der Gotik in Tirol.
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Bei der Marienfigur handelt es sich um
eine gefasste Holzskulptur. Eine Fassung
ist eine künstlerische Technik bei der
Skulpturen aus Holz, Stein und ähnlichen
Materialien mittels Farbe vollständig oder
nur teilweise bemalt werden. Vor allem im
Mittelalter war die Fassmalerei eine gän-
gige Methode, um Skulpturen mit Farbe zu
veredeln. In mehreren Arbeitsschritten
wurden dabei Skulpturen mit sehr auf-
wendigen Grundierungs- und Farbschich-
ten bemalt, sowie mit goldenen oder sil-
bernen Metallauflagen versehen. Ziel die-
NUMMER 7/2012
80. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Ursula Marinelli
Mariens neue Kleider –
Verwandlungsgeschichte einer Marienskulptur
aus der Filialkirche St. Nikolaus bei Matrei i. O.
Abb. 1: Madonnenstatue, um 1340/50,
bis vor einigen Jahren in der Filialkirche
St. Nikolaus aufgestellt.