Seite 3 - H_2003_05

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Nummer 5 – 70. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
(mittelalterlich Luenzina u. a.) dar. Der
Name erinnert nämlich an die auf Sizilien
gelegene antike Stadt Leontini, ein laut-
licher Anklang, der in Gelehrtenkreisen
durchaus schon Verwirrung gestiftet
hat
30
. Die Angabe des Sterbedatums obiit
(lat. eigentlich: „er ging [dem Tod] ent-
gegen“) und die Wortverbindung
Anno
Domini
(das Wort wieder in typischer Ab-
kürzung als DNI mit darüber befindlichem
Kürzungsstrich) sind geläufige Elemente
von Grabinschriften jener Zeit
31
.
Ein weiterer „Dreisprachenstein“:
Im Zuge der Forschungen wurde der
Verfasser dieser Zeilen auf ein weiteres
interessantes Epitaph hingewiesen, das im
folgenden vorgestellt werden soll
32
. Es
handelt sich um die Grabinschrift des An-
dreas von Graben in den Arkaden des
Alten Friedhofs der Stadtpfarrkirche St.
Andrä in Lienz. Allerdings ist dieser Text
im Gegensatz zu dem Stein in Virgen nicht
mit letzter Sicherheit zu lesen. Auch die la-
teinischen Buchstaben sind ungelenk und
teilweise fehlerhaft. Im folgenden der Text
(vgl. auch die Abb.):
Umschrift um das Wappen der Herren
von Graben:
… VERMAGS AL …
Es handelt sich hierbei offenkundig um
den Rest eines Wahlspruchs o. ä.
HIC IACET SEPVLTVS
NOBILIS ANDREAS
DE GRABEM QVI OB(II)T
ANNO DO(MIN)I M
o
CCCCCXL
S(AN)CT(VS) DE(VS) INMORTALIS
MISER
ERE
MEI. –
Im Anschluss daran ein Steinmetz-
zeichen (?), dann folgt der hebräische
Text, der mit einigen Änderungen als hay-
yehudiim
[=„die Juden“?
33
]
zu lesen wäre
(siehe unten). Ganz rechts findet sich ein
nicht deutbares buchstabenähnliches
Zeichen. Daran anschließend ein Wappen
und eine Helmzier, sowie die Buchstaben
G
(= Graben?) und
I
Σ
(mit Kürzungszei-
chen, also wohl „Jesus“).
Übersetzung des lateinischen Textes:
Hier liegt begraben der edle Herr An-
dreas von Graben, der im Jahre des Herrn
1540 starb. O heiliger unsterblicher Gott,
erbarme dich meiner! (Die Bitte am
Schluss erinnert an das griechisch-lateini-
sche
Trishagion-
Gebet, das in der Kar-
freitagsliturgie Verwendung findet.)
Im Gegensatz zum Fercher-Grabstein ist
dieses fast 70 Jahre ältere Monument von
bescheidenerem künstlerischen Wert.
Eine rechteckige, von einem unterschied-
lich dicken Wulst eingefasste Tafel wird
oben durch einen Bogen bekrönt, der sei-
nerseits von einem annähernd kreisförmi-
gen Ring unterbrochen ist. Innerhalb des-
selben befindet sich ein reliefiertes Wap-
pen der Herrn von Graben. Der Ring ist an
zwei Stellen beschädigt (Versetzung des
Grabsteins?), weshalb auch die dort ange-
brachte Inschrift fragmentiert ist. Zwi-
schen Ring und eigentlichem Schriftfeld
finden sich zwei florale Symbole.
Bemerkenswert ist die Gestaltung des
Schriftfeldes, das an eine gespannte Per-
gamenthaut erinnert und dessen Rand
ebenfalls profiliert ist. Die Buchstaben
sind unregelmäßig und zum Teil auch sei-
tenverkehrt ausgeführt (etwa das N oder
das S); das q in „qui“ (Zeile 3) weist eine
Form auf, die an Minuskeln (Kleinbuch-
staben) angenähert ist. Hingewiesen sei
auch auf die besondere Ligatur (Buchsta-
benverbindung) bei der Präposition „de“
(Zeile 3), bei der ein an ein griechisches
Epsilon erinnerndes E in das D einge-
schrieben ist. Kürzungen werden durch ge-
schwungene Linien bzw. das im Mittel-
alter geläufige „9“ für „-us“ angedeutet.
Wiederum ist die Verwendung der drei
heiligen Sprachen bemerkenswert, wenn-
gleich sich das Griechische auf einzelne
Buchstaben reduziert. (Das Omega in der
letzten Zeile als Einleitung des Vokativs
„O Sanctus Deus“.) Dazu kommt noch die
Verwendung des Deutschen bei der be-
schädigten Umschrift des bekrönenden
Wappens, das vielleicht als Devise
(Wahlspruch) zu deuten ist.
Welche Bedeutung dem Wort „die
Juden“, wenn es so zu lesen ist, zukom-
men könnte, ist nicht klar. Denkbar wäre
an einen Zusammenhang mit der in Lienz
im späten Mittelalter nachweisbaren jüdi-
schen Gemeinde, deren Ende allerdings
schon 1443 besiegelt wurde
34
. Griechische
Buchstaben gibt es hingegen auch auf
anderen Grabsteinen der Familie von Gra-
ben, so etwa in der Franziskanerkirche
oder in St. Michael
35
. Sie zeugen vom
hohen Bildungsstand dieser in Lienz ver-
breiteten Familie.
Schlussbemerkung
Die beiden in hebräischer, griechischer
und lateinischer Sprache verfassten In-
schriften sind bemerkenswerte Zeugnisse
für die Kenntnis der drei heiligen Sprachen
auf Tiroler Boden. Sie spiegeln einen ge-
wissen Einfluss des Humanismus und viel-
leicht auch der Reformation wider
36
. Krit-
zelinschriften in griechischer und hebräi-
scher Sprache finden sich noch aus dem
Blick auf die mittelalterlichen Arkaden der
südlichen Umfassungsmauer von St. Andrä,
Lienz.
Foto: M. Pizzinini
Grabstein des Andreas von Graben am „Alten Friedhof“ in Lienz, St. Andrä.
Foto: M. Pizzinini