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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
70. Jahrgang – Nummer 5
Fercher als
Matreiensis Carinthius
be-
zeichnet wird. Der Begriff
Carinthius
(=
aus Kärnten) lässt sich entweder so deuten,
dass man Matrei im Sinne der alten Graf-
schaft Lurn (noch) als zu Kärnten gehörig
ansah, oder aber dass hier der Namenszu-
satz „Windisch“ (= slawisch) im Sinne hu-
manistischer Gelehrsamkeit durch den Be-
griff Carinthius (= „aus Kärnten“, abge-
leitet vom slawischen Stamm der
Karantanen) ersetzt werden sollte.
Der Grabstein des Valentin Fercher
Bereits im Boten von Tirol wird die Grab-
inschrift zitiert, allerdings reduziert auf
den lateinischen Text
12
. Es ist offenkundig,
dass Fercher sich hier nicht nur bei Leb-
zeiten – der Stein trägt die Jahreszahl
1609! – ein Denkmal setzen, sondern auch
seine umfassende Bildung zum Ausdruck
bringen wollte. Dies geschieht zunächst
einmal in der künstlerischen Gestaltung
des Steines aus „mattgesprengtem röt-
lichen Marmor“
13
: das rechteckige
Schriftfeld mit schlichter profilierter Ein-
fassung wird am oberen Rand mit auf-
wändigem Rollwerkdekor und einer
Mittelrosette abgeschlossen. Darauf liegt
eine gesimsartige, quaderförmige, völlig
schmucklose Schriftplatte, auf dieser
wiederum ein hufeisenbogiger Giebelauf-
satz ruht, der seinerseits von einer Kugel-
bekrönung abgeschlossen wird
14
. Die
sorgfältige Gestaltung der Oberfläche
springt ebenso ins Auge wie die Vorliebe
für exakte geometrische Formen, die ja –
durchaus zu den wiederentdeckten alten
Sprachen passend – ein weiterer Hinweis
auf die Beschäftigung mit antiker For-
mensprache sind.
Unser Hauptaugenmerk soll freilich –
und damit sind wir beim zweiten gestalte-
rischen Element – dem Text, oder genauer
gesagt, den Texten, ja den Sprachen gel-
ten. Fercher bediente sich hier eben jener
eingangs erwähnten drei heiligen Spra-
chen, die er in Ingolstadt gelernt hat, und
er tut dies in höchst raffinierter Weise.
Beginnen wir ganz oben: In dem er-
wähnten tympanonartigen Kreissegment
findet sich in großen Lettern das
griechi-
sche Monogramm
IH
Σ
,
die Abkürzung
des griechischen Namens für Jesus
(transkribiert: IES). Es handelt sich hier –
neben dem Christogramm XP (= griech.
CHR für Christos) – um eine der am wei-
testen verbreiteten Abkürzungen eines
nomen sacrum
15
. Allerdings wurde hier an-
ders als in der volkstümlichen Version
auch das Sigma (
Σ
) korrekt, d. h. in klas-
sischer altgriechischer Form wiedergege-
ben. Während des ganzen Mittelalters fin-
det sich nämlich diese griechische Abkür-
zung sonst nur in ihrer byzantinischen
(mittelalterlichen) Form, bei der das
Sigma einem lateinischen C gleicht, also
als IHC
16
. Noch weiter wurde später diese
Namensform im volkstümlichen Zu-
sammenhang nicht nur ihrer ursprüng-
lichen Schriftform, sondern auch ihrer Be-
deutung entkleidet, wenn die nunmehr
IHS
lautende Schreibweise als „
J
esus,
H
eiland,
S
eligmacher“ gedeutet wird
17
.
Dieses Monogramm ist nicht nur in Kir-
chen, sondern auch in bäuerlichen Stuben
oder gar auf Truhen allgegenwärtig. – Das
IH
Σ
-Monogramm wird auf dem Fercher-
Grabstein noch durch zwei weitere Details
hervorgehoben: einerseits durch ein auf
die Querhaste des H (griech. Eta, also als
langes e gesprochen) gestelltes Kreuz mit
dreipassförmigen Enden (sogenanntes
Wiederkreuz), andererseits durch den sti-
lisierten Strahlenkranz. Beides sind Sym-
bole, die einen endzeitlichen, apokalypti-
schen Sinngehalt haben und daran erin-
nern, dass Christus am Ende der Zeiten als
„Sonne der Gerechtigkeit“
18
mit dem „Zei-
chen des Menschensohns“
19
wiederkom-
men wird. Ob auch der aufgesetzten Kugel
als vollkommener mathematischer Gestalt
eine entsprechende Symbolkraft zu-
kommt, oder ob sie lediglich dekorativen
Charakter hat, sei dahingestellt.
Im Abschnitt darunter befindet sich eine
hebräische Inschrift,
die den Leser nun auf
das Alte Testament und damit zugleich auf
den Zusammenhang der beiden Bibelteile
hinlenkt. Freilich wird es Fercher bewusst
gewesen sein, dass dieser Text, anders als
das griechische
IH
Σ
, von kaum jemandem
gelesen werden könnte. Auch für den Ver-
fasser dieser Zeilen wurde der Text erst
durch einen „Schriftgelehrten“ lesbar und
verständlich
20
: Es handelt sich um ein weit
verbreitetes Zitat aus dem Buch
Hiob,
und
zwar um den Vers 21 des ersten Kapitels:
Hiob hatte kurz zuvor von der Vernichtung
seines Reichtums erfahren (durch die
sprichwörtlich gewordenen „Hiobsbot-
schaften“) und reagiert darauf mit Gotter-
gebenheit: „Der Herr hat gegeben, der Herr
hat genommen,
der Name des Herrn sei
gepriesen.“
Genau der letzte Teil wird nun
hier zitiert (hebräisch:
jehi schem adonai
mevorach
). Es dürfte wenig bekannt sein,
dass dieser Vers auch unabhängig vom
Buch Hiob vorkommt und als Gebetstext
eine große Wirkungsgeschichte entfaltet
hat. Dies beginnt bereits im Alten Testa-
ment
21
und setzt sich im frühen Christen-
tum fort: Der Hl. Severin etwa gebraucht
ihn als Gebet in außergewöhnlichen Situa-
tionen
22
. Ferner fand dieser Vers in die
Volkskultur Eingang und wurde, ähnlich
wie das bekannte C+M+B
23
, als Segens-
spruch an Häusern angebracht
24
. Eine be-
merkenswerte Wiedergabe dieses Zitates
findet sich auf einem Schriftband am Chor-
gestühl des Ulmer Münsters zusammen mit
einem Relief des Hiob: Der Vers wurde
hier ganz offenkundig als „Kennwort“ die-
ses biblischen Dulders gebraucht.
Schließlich findet er auch im jüdischen Be-
gräbnisritus bis heute Verwendung.
25
Ähnliche Bibelverse auf Grabsteinen
sind durchaus für das 16. und frühe 17.
Jahrhundert typisch. Während etwa auf
dem Grabstein des Pfarrers Wolfgang
Höler in Windisch-Matrei ganz im huma-
nistischen Geist der römische Dichter
Ovid zitiert wurde
26
, schmückt den im
übrigen deutsch verfassten Grabstein von
Valentins Vater Johann († 1605) ein latei-
nischer Bibelvers: CONSERVA ME
DOMINE ist der erste Vers aus Psalm 15.
Der erste Bischof von Wr. Neustadt, Gre-
gor Angerer († 1548), ließ übrigens auf
seinen Grabstein im Wr. Neustädter Dom
ebenfalls ein Zitat aus Hiob setzen:
Credo, quod redemptor meus vivit
(Ich
glaube, dass mein Erlöser lebt)
27
. Am
Grabstein des Andreas von Graben
(† 1520; nicht zu verwechseln mit dem
weiter unten Beschriebenen gleichen Na-
mens!) in einer der Arkaden des Alten
Lienzer Friedhofs finden sich die ersten
vier Verse des Psalms 130 in einer latei-
nisch-deutschen Textfassung
28
.
Kommen wir schließlich zum lateini-
schen Text der Grabinschrift:
SAXVM HOC POSVIT R(EVERENDVS).
P(AROCHVS?
29
).
VALENTINVS FERHER, OLIM
IN DOMINIIS TAM LEONTI =
NO QVAM MATRAYENSI DE =
CANVS: NECNON HVIVS LO =
CI PASTOR, PER ANNOS XXI
OBIIT AN(NO). D(OMI)NI. MDCXVI
AETATIS SVAE ANNO LX.
(Wappen mit Kelch 16 Fercher-Wappen)
als Hinweis auf den 09
geistlichen Stand)
Übersetzung:
Diesen Stein ließ setzen der ehrwürdige
Pfarrer Valentin Fercher, gewesener
Dekan in den Herrschaften Lienz und Ma-
trei und Seelenhirte dieses Ortes durch 21
Jahre. Er starb im Jahr des Herrn 1616 im
Alter von 60 Jahren.
Dem Betrachter fällt sofort die Qualität
der Buchstaben in Kapitalis-Form auf, die
bis heute gut lesbar geblieben sind. Der
Text ist in einwandfreiem humanistischem
Latein, der dritten und jüngsten der drei
heiligen Sprachen, verfasst. Die Aus-
drucksweise ist durchwegs gewählt, wie
man am poetischen saxum (Stein, eigent-
lich: „Fels“) oder an den Konjunktionen
tam – quam
(„ebenso – wie“) oder
necnon
(„und“, eigentlich: „und nicht nicht“, also
doppelt verneinend) ablesen kann. Die Be-
zeichnung pastor findet sich nicht nur für
evangelische Pfarrer, sondern auch im
katholischen Kontext. Der Name
Leontinis
stellt eine für den Humanismus typisch
antikisierende Form des Namens Lienz
Blick in das Ortszentrum von Virgen mit der
Pfarrkirche St. Virgilius, um 1935.
Foto: Karl Felderer, Innsbruck