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Nummer 5/2003
71. Jahrgang
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Vorbemerkung
Als Pontius Pilatus über dem Kreuz Jesu
eine hebräisch-griechisch-lateinische In-
schrift anbringen ließ
2
, konnte er wohl
nicht ahnen, dass damit eine Tradition be-
gründet wurde, die später unter der Be-
zeichnung der drei heiligen Sprachen in
die abendländische Literaturgeschichte
einging. Hebräisch, Griechisch und Latei-
nisch wurden in den folgenden Jahrhun-
derten als Sprachen der Bibel bzw. ihrer
wichtigsten Übersetzungen als etwas Be-
sonderes angesehen, als die
tres linguae
sacratiores
(= die drei heiligen Sprachen)
eben, wie der mittelalterliche Theologe
Hugo de St. Victor schrieb
3
.
Freilich war die Kenntnis dieser Spra-
chen im christlichen Abendland sehr
unterschiedlich ausgeprägt: Das Hebräi-
sche wurde außerhalb des Judentums
schon im Altertum von kaum jemandem
beherrscht, während sich das Griechische
imWesten des Römischen Reichs noch bis
in die Spätantike (6. Jahrhundert n. Chr.)
hielt. Latein hingegen wurde zur
lingua
franca,
zur allgemein verbreiteten Sprache
der gebildeten Welt. Während des Mittel-
alters verschwand auch das Griechische
fast völlig aus dem Bewusstsein, wenn
man von gewissen rudimentären Kennt-
nissen absieht. Dazu zählt vor allem die
Verwendung der sogenannten
Nomina
sacra,
der Heiligen Namen, also etwa des
Namens Jesus Christus oder bestimmter
formelhafter Wendungen wie z. B. des
Kyrie eleison
(Herr, erbarme dich). Erst in
der Zeit des Humanismus und der Renais-
sance gibt es wieder ein vermehrtes Inter-
esse für Hebräisch und Griechisch. Dafür
waren ganz unterschiedliche Faktoren ver-
antwortlich, und zwar einerseits die neu
entflammte Begeisterung für alles Antike,
andererseits die Flucht der griechischen
Gelehrten aus Konstantinopel (1453), die
einen Gutteil ihres Wissens in den
Westen transferierten. Dazu kommt, dass
man sich im Zeitalter der Reformation
wiederum vermehrt um den originalen
hebräischen bzw. griechischen Bibeltext
bemühte – man denke nur an Erasmus von
Rotterdam und Martin Luther.
Valentin Fercher, Pfarrer von Virgen
Es ist nun sehr bemerkenswert, dass sich
eine gewisse Kenntnis der drei heiligen
Sprachen auch in einem Osttiroler Seiten-
tal nachweisen lässt. Es handelt sich kon-
kret um den Grabstein des Pfarrers
Valentin Fercher
in
Virgen.
Dieses Ob-
jekt ist übrigens nicht das einzige dieser
Art, wie weiter unten zu zeigen sein wird.
Wer aber war Valentin Fercher? Es ist
hier nicht der Platz, seine Biographie aus-
führlich darzustellen, da dies bereits in den
Osttiroler Heimatblättern geschehen ist.
Ich verweise auf den Artikel von Josef
Kugler
4
, der seinerseits auf einem Artikel
des „Boten für Tirol und Vorarlberg“
5
be-
ruht und aus dem nur die wichtigsten
Daten in aller Kürze hier wiedergegeben
seien. Fercher wurde demnach am 31. Jän-
ner 1556 in Windisch-Matrei geboren, stu-
dierte, nachdem er früh seine Frau verloren
hatte, Theologie, wurde 1592 zum Priester
geweiht, wirkte in Matrei, Lienz und seit
1595 in Virgen. Bleibend ist sein Ver-
dienst um die Einführung der Matriken-
bücher sowie eines Kirchenkalendariums.
Aus dem Aufsatz von Kugler erfahren
wir, dass er auch für die Liturgie einiges
tat, u. a. „liebte und besorgte [er] ordent-
lichen, nützlichen deutschen Gesang
beim Gottesdienst“ – ein unübersehbares
Zeichen, dass Fercher sich auch mit luthe-
rischem Gedankengut auseinandersetzte,
war doch die Einführung der deutschen
Sprache in den Gottesdienst ein wichtiges
Anliegen des Reformators gewesen
6
.
Unter Ferchers Schriften ist neben dem
von ihm verfassten Urbar noch sein kurz
vor dem Tod verfasster Stiftbrief zu er-
wähnen
7
.
Fast 50 Jahre nach Kugler hat sich Josef
Astner mit Fercher beschäftigt
8
, vor
allem mit seinen historisch interessanten
Anmerkungen im Tauf- und Trauungs-
buch von Virgen. Aus dem Artikel geht
hervor, dass Fercher bereits in Salzburg
vor seiner Hochzeit Theologie zu studieren
begonnen hatte, jedoch erst nach dem Tod
seiner Frau, und zwar in Ingolstadt, das
Studium abschloss. Laut Astner studierte
Fercher in Ingolstadt auch Griechisch und
Hebräisch. Er trat somit in die Fußstapfen
seines Vaters Johann Fercher, der eben-
falls Priester war und als Pfarrer von Win-
disch-Matrei 1605 verstarb
9
. Valentin
wird in den Matriken der Universität
Ingolstadt, die eine Hochburg katholischer
Gelehrsamkeit darstellte
10
, allerdings
schon im Jahre 1574 als
studiosus litera-
rum
genannt
11
, womit wir einen wichtigen
Hinweis auf seine Bildung gewinnen. Der
Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass
Grabstein des Pfarrers Valentin Fercher
an der südlichen Außenmauer der Pfarr-
kirche in Virgen.
Foto: M. Huber
Michael Huber
„Dreisprachensteine“
1
in Osttirol