Seite 7 - H_2003_09-10

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Nummer 9-10 – 71. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Schon der Familienname ist außerge-
wöhnlich und stammt vermutlich aus dem
Norden Deutschlands. Prof. Nadler, ein be-
rühmter Germanist an der Wiener Univer-
sität, vermeinte einen Zusammenhang mit
„Pole Poppenspäler“/Theodor Storm. Die
Wurzeln der Pappenschellers lassen sich
jedenfalls bis ins Jahr 1654 zurückverfol-
gen (Vitis – Waldviertel). Sämtliche frü-
heren Matrikeleintragungen gingen in den
Wirren des 30-jährigen Krieges verloren.
Mein Vater wurde am 23. April 1910 in
die Kirchengasse in Weitra hineingeboren,
einem kleinen Städtchen, das sich seinen
mittelalterlichen Charme erhalten hat: Eine
intakte Stadtmauer, Sgraffiti-Häuser am
Hauptplatz, überragt von einem stolzen
RenaissanceSchloss. Die Umgebung, das
Waldviertel, ist ein karges, „steinreiches“
Land mit endlosen Wäldern, Teichen,
Mooren. Eine Landschaft, die die Fantasie
beflügelt und genügend Auslauf bietet für
„junge Wilde“.
Die Kinderzeit meines Vaters war von
Entbehrungen geprägt: Gerade zwei
Jahre alt wurde er Halbwaise. Die Mutter
stand mit ihm und seinem älteren Bruder
Karl mittellos da.
Der Volksschullehrer, Kollege des ver-
storbenen Elternteiles, erkannte jedoch die
Begabung der beiden Buben: Sie erhielten
ein Stipendium für die „Schule am
Turm“, die BEA (Bundeserziehungsan-
stalt) in Wr. Neustadt.
Mit zehn Jahren musste mein Vater also,
so wie die Neueinsteiger ins „Konvikt“,
alles verlassen, was ihm vertraut war.
Zwischendurch gab es aus finanziellen
Gründen keine Heimreise oder Besuche.
Dafür waren dann die Pappenscheller
Buben in den Sommerferien in Weitra
wegen ihrer vielen Streiche geschätzt und
gefürchtet.
Der Jugendliche, der von zu Hause kei-
nerlei Unterstützung erwarten konnte,
wurde Klassenprimus und maturierte mit
Auszeichnung. Das bisschen Geld, in
Nachhilfestunden verdient, steckte er der
Mutter zu.
In seiner Jugend war mein Vater ein
durchtrainierter Sportler. Er schwamm
wettbewerbsmäßig, fuhr gerne Ski, wan-
derte ausdauernd. Das Studium der Philo-
sophie an der Universität Wien verdiente
er sich als Erzieher am Theresianum. So
war ihm das Heimleben aus jeder Per-
spektive bekannt. Die Sommer ver-
brachte er als Hauslehrer in Frankreich. Er
legte die Lehramtsprüfung für Deutsch
und Französisch ab. Anschließend disser-
tierte er bei Prof. Nadler über Schiller.
1937 promovierte er und wurde als Pro-
fessor am Theresianum aufgenommen.
Eine stolze Leistung in Anbetracht des
Rufes der Anstalt und des angespannten
Arbeitsmarktes.
1939 heiratete er Maria Endl, eine Han-
delsakademikerin, die bereits eine schöne
Karriere an der Handelskammer Wien auf-
gebaut hatte.
In dieser Zeit gab es nicht nur wegen der
Kriegsereignisse, sondern auch persönlich
schwere Schicksalsschläge zu verarbeiten:
Tod des Bruders als Junglehrer mit 30,
Tod meiner älteren Schwester Heidi.
Trotzdem war mein Vater stets ein gelas-
sener, heiterer und optimistischer
Mensch.
Sein großes Herz für Kinder wie auch
seine Geduld und Ausdauer in schwierigen
Situationen sollten sein Wirken als Kon-
viktsleiter in Lienz bestimmen. 1947
wurde er an das Bundeskonvikt Lienz be-
rufen, welches in den Folgejahren unter
seiner Aufsicht und aktiven Mithilfe reno-
viert und später wegen des enormen An-
dranges an Zöglingen vergrößert wurde.
Das Lienzer Bundeskonvikt musste sich
selbst erhalten und diente als Unterkunft
und Ausbildungsort im Zusammenhang
mit dem benachbarten Gymnasium. Mein
Vater war dort im Sinne einer tagtäglichen,
24-stündigen Personalunion als Dienstlei-
ter, Erzieher, Controller, Einkäufer und
Bauherr tätig. Stets ihm zur Seite und un-
ermüdlich im Hintergrund unterstützend
war meine Mutter. Weit über die Pflichten
eines Konviktsleiters hinaus kümmerte er
sich um Sorgenkinder (Schüler wie Leh-
rer) und das soziale Umfeld dieses Hauses.
Er engagierte sich im Gemeinderat, orga-
nisierte unter den Kollegen und Zöglingen
Wanderungen durch die wunderbare
Lienzer Bergwelt. Häufig gab es noch spät
abends selektiven Nachhilfeunterricht,
den schulischen Versagern und Faulpelzen
musste immer wieder nachgeholfen wer-
den. Die Kaffeekanne in der Wohnung
meiner Eltern war selten kalt und meist für
mehr als zwei Personen in Betrieb. So ging
indirekt für meinen Vater der stete
Wunsch nach einer großen Familie in
Lienz in Erfüllung.
Selbst in der Sommerpause war mein
Vater durch Austauschschüler und Besu-
cher aus den Wiener Ministerien an das
Konvikt gebunden, Urlaub leisteten sich
meine Eltern nur für zwei Wochen im
Jahr, wenn die Generalrenovierung
durchgeführt wurde. Das Bundeskonvikt
verzeichnete seinen höchsten Zöglings-
stand 1972, im Pensionsjahr meines Va-
ters. Im Laufe seines Wirkens wurde er
wegen seiner unermüdlichen Arbeit und
die Verdienste um das Bundeskonvikt
Lienz mit dem Verdienstzeichen um das
Land Tirol und dem silbernen Ehrenkreuz
für Verdienste um die Republik ausge-
zeichnet. Mein Vater stellte sein gesamtes
Leben unter den Sinnspruch Don Bosco‘s:
„Gutes tun, fröhlich sein und die anderen
reden lassen.“
Das Ehepaar
Pappenscheller in
seiner Konvikts-
wohnung
(1960).
Frau Maria
Pappenscheller
beim „Speck-
transport“, unter-
stützt von Zöglin-
gen (1960). Der
einstige Konvikts-
hof (heute BORG)
wurde auch von
der Freiwilligen
Feuerwehr
genutzt (siehe
Hallen rechts im
Hintergrund).
Linda Kluger-Pappenscheller
Erinnerungen an den Vater
Adolf Pappenscheller