Seite 8 - H_2003_09-10

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
71. Jahrgang – Nummer 9-10
Während eines beruflichen Termins in
Osttirol vor ca. eineinhalb Jahren ließen
mich nostalgische Erinnerungen an die
Mittelschulzeit nicht nur das heutige
BORG umrunden, sondern führten mich
auch zur Franz Josefs-Kaserne und zum
neuen (mittlerweile auch alt gewordenen)
Konvikt in der Maximilianstraße.
Letzteres schien unbewohnt, keine
Schüler waren zu sehen, kein Licht
brannte abends. Meine Nachfrage ergab,
dass das Konvikt geschlossen werde, „da es
sich nicht mehr rechne“.
Für mich war nicht nur diese rein mate-
rielle Begründung ein Schock. Sollte all
das, wofür ein Dr. A. Pappenscheller und
dessen Gattin sich jahrzehntelang aufge-
opfert hatten, wo zahlreiche idealistische
Erzieher sicherlich mehr als 2.000 Schüler
betreuten, einfach wegrationalisiert werden,
ohne eine sichtbare Spur der Erinnerung zu
hinterlassen?
Dr. Pappenscheller machte aus einer
Bombenruine eines der blühendsten Bun-
deskonvikte Österreichs, dessen einstige
Zöglinge dann bis in höchste Positionen auf
vielfältigsten Gebieten aufrückten.
Binnen einer Woche nach dem Lienz
Besuch reifte in mir der Entschluss, Dr. Pap-
penscheller eine Gedenktafel zu verschaffen,
die die Erinnerung an ihn wachhalten solle.
Ursprünglich war daran gedacht, ein ei-
genes Komitee „Gedenktafel Dr. Pappen-
scheller“ zu gründen. Noch vor dessen Kon-
stituierung hat sich wieder einmal Charles
de Gaulles Kommentar zu Kommissionen
bewahrheitet: „Warum sind die 10 Gebote
so klar und präzise? Weil sie von keiner
Kommission erstellt wurden!“ Um das Pro-
jekt zügig abwickeln zu können, gab‘s
daher kein Komitee.
Bei der Formulierung des Textes für die
Gedenktafel plagten mich vorerst gewisse
Zweifel, ob er nicht zu rührselig sei, denn
die „young generation“ liebt ja eher das
„coole“. Aber siehe da, unser Nachwuchs
und auch meine jungen Assistenten an der
Universität hießen den Text unisono für
sehr gut und persönlich, weil er das beson-
dere Nahverhältnis zwischen den Zöglingen
und Dr. Pappenscheller zeigt: „Er war unser
aller Pappi.“
Mit dem Textieren allein war es natürlich
nicht getan – vielmehr war die künstlerische
Gestaltung der Gedenktafel das Entschei-
dende. Prof. Dr. Georg Reitter, mein einsti-
ger Zeichenlehrer und weithin hoch ge-
schätzter Künstler erklärte sich spontan zur
Mitarbeit bereit. Er schuf den Entwurf (mit
mehreren Varianten), er nannte mir infrage
kommende Gießereien und war stets mit
Rat und Tat zur Stelle. Dafür sei ihm herz-
lichst gedankt.
Man konnte natürlich hier im BORG,
dem ursprünglichen Bundeskonvikt, nicht
einfach und nicht irgendwo eine Gedenkta-
fel anbringen. Zunächst mussten die Kom-
petenzen geklärt werden; dann brauchte es
diverse Genehmigungen, diplomatische
Feinfühligkeit, viele Telefonate, einen
höflichen Schriftverkehr usw. Insgesamt
war es aber eine Freude, die hohe Wert-
schätzung zu spüren, welche der Name Pap-
penscheller überall genießt. Und so bedanke
ich mich ganz besonders beim Landes-
schulrat von Tirol in Innsbruck (Hofrat Dr.
Neururer) und beim Stadtamt Lienz
(Amtsdirektor Dr. Obernosterer); auch
Herr Dipl.-Ing. S. Papsch vom Baubezirks-
amt Lienz hat sich der Angelegenheit stets
wohlwollend angenommen.
Ein herzlicher Dank gilt auch Frau Direk-
tor Dr. Ursula Strobl: Sie hat sich nicht nur
in ihrer schulischen Funktion sondern auch
als Kultur-Stadträtin sehr engagiert.
Hergestellt wurde die Gedenktafel von
der renommierten Glockengießerei Grass-
mayr in Innsbruck. Sie existiert bereits seit
1599 und ist somit Österreichs älteste
Glockengießerei.
Montiert musste so eine Tafel natürlich
auch werden. Dies hat in dankenswerter
Weise und unentgeltlich Herr Baumeister
Dipl.-Ing. Walter Frey übernommen, der
einstige Klassensprecher meines Matura-
jahrganges.
Schon in der Maturazeitung 1953 findet
sich ein Gedicht über Dr. Pappenscheller,
worin es unter anderem heißt:
„Ein Idealist, wie noch keiner ihn kannt‘,
ja, das ist der Pappi, der immer sich müht,
in Schule und Heim nach dem Rechten stets
sieht.“
Abschließend ein Beispiel, das Dr. Pap-
penschellers Liebe zur Jugend charakteri-
siert:
Der nachmalige Landesbaudirektor von
Tirol (HR Dipl.-Ing. Flögel) war in der 8.
Klasse in Latein völlig abgesackt. Bis knapp
vor der Matura schrieb er nur „nicht genü-
gend“ bei allen Schularbeiten; dennoch gab
ihm sein Lateinlehrer eine letzte Chance,
zur Matura zugelassen zu werden: letzte
Schularbeit auf befriedigend. Da saß nun
der arme Flögel nächtens noch um 1 Uhr
mit rauchendem Kopf, als Pappi daherkam.
(Das war das übliche Ende seiner Arbeits-
zeit im rauchgeschwängerten Erker-Zim-
mer.) „Ja was machst denn du da so spät,
Kind?“ (Das „Kind“ hat er sehr gerne an-
gehängt, es war symbolisch für seine Für-
sorge.) Das „Kind“ schilderte seine Not –
und der ohnehin schon erschöpfte Pappi
setzte sich bis 1/2 3 Uhr früh hin und lernte
mit ihm. Das Kind hat Schularbeit und Ma-
tura geschafft – und ist heute voll Dankbar-
keit nach Lienz gekommen.
Dr. Pappenschellers Porträt ist auf der
Gedenktafel sehr gut getroffen: Es ist das
verschmitzte, wissende Lächeln eines streng-
gütigen, tiefsinnig-humorvollen Konvikts-
vaters, dem die Erziehung der Jugend ein
Lebensziel war. Wir haben bewusst kein
jugendlicheres Foto als Vorlage für die
Gedenktafel ausgewählt. Die markanten
Gesichtszüge, die sich aus langjährigen
Sorgen, Mühen, aber auch Freuden um
seine Zöglinge tief eingekerbt hatten, soll-
ten deutlich sichtbar sein.
Mit Direktor Dr. Pappenscheller hat sich
auch seine Frau für die Zöglinge aufgeop-
fert. Sie ist zwar nicht auf der Gedenktafel
verewigt, war aber die unschätzbare zweite
Hälfte der „Pappi‘s“. Auch ihr gilt der viel-
fache Dank der einstigen Konviktszöglinge.
* * *
Heinz Brandl
Enthüllung der Gedenktafel für
Dir. Dr. Adolf Pappenscheller
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschriften der Autoren dieser Nummer:
O.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Dr. h.c.
Heinz Brandl, Technische Universität Wien, A-
1040 Wien, Karlsplatz 13 – Dr. Linda Kluger-
Pappenscheller, A-1180 Wien, Pötzleinsdorf-
erstraße 83 – HR Prof. Mag. Louis Oberwal-
der, A-6068 Mils, Klammstraße 19.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Piz-
zinini, A-6176 Völs, Albertistraße 2a.
Linda
Kluger
und
Heinz
Brandl
anlässlich
der Ent-
hüllung
der
Gedenk-
tafel für
Dir.
Dr. Adolf
Pappen-
scheller
im BORG
am 14.
Juni 2003.
Foto:
Roha
Die privaten Aufnahmen stammen von ver-
schiedenen Fotografen und wurden von
den Autoren zur Verfügung gestellt.