Seite 4 - H_2003_09-10

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
71. Jahrgang – Nummer 9-10
Das Ehepaar Pappenscheller könnte
durchaus als österreichische Version des
Ehepaares Heinrich und Anna Pestalozzi
bezeichnet werden. Nicht von ungefähr hat
Dr. Pappenscheller das Wort „Kind“ so
gerne gebraucht. Z. B. das besorgte „Kind –
warum weinst du?“ – aber andererseits „Kind,
im Kino macht man nicht die Matura“!
(Was im Klartext hieß: „kein Ausgang“.)
Beim Kino ließ er sich manchmal über-
listen (bewusst oder unbewusst, das war
die Frage). Z. B. „Dürfen wir ins Kino
gehen?“ – „Was spielen‘s denn?“ – „Eine
Serenade!“ – „Na gut, das ist wenigstens
was Gscheites.“ In Wirklichkeit hieß der
Film allerdings: „Eine Serenade für zwei
Pistolen.“
Dr. Pappenscheller ging im Jahre 1972
in Pension. Mit ihm ging der Motor einer
großartigen Erfolgsgeschichte. Diese be-
traf Zöglinge wie Erzieher gleichermaßen.
Zahlreiche Erzieher seiner Ära stiegen zu
AHS-Direktoren auf.
Dr. Pappenscheller starb am 5. August
1976 an Herzversagen. Er hatte die war-
nenden Herzattacken in seiner aktiven Zeit
stets ignoriert und die eigene Gesundheit
immer dem Einsatz für die Zöglinge unter-
geordnet.
Anlässlich seines Todes schrieb Dir. Dr.
F. Wogerer, Leiter der Arbeitsgemein-
schaft der Österreichischen Konvikts-
direktoren im Osttiroler Boten vom 19.
August 1976:
„Der Name Pappenscheller darf nicht
aus unserem Gedächtnis ausgelöscht
werden. Würden wir ihn vergessen, wir
wären undankbar.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Dr. Pappenschellers Nachfolger als
Direktor des Bundeskonviktes wurde Dr.
Alois Kofler, der ca. ein Jahr vor unserer
Matura als Erzieher begonnen hatte.
Seine Ära können die jüngeren Zöglinge
besser beschreiben als ich, der sie nur vom
Hörensagen und nach den Beschreibungen
meines Sohnes kennt.
Hervorzuheben ist zweifellos die wis-
senschaftliche Tätigkeit Dr. Koflers,
womit er die Konviktler schon sehr früh zu
einem umweltfreundlichen Denken an-
regte. Naturkundliche Raritäten aus Ostti-
rol fanden sein besonderes Interesse. (Frei
nach Goethe: „Die Flöhe und die Wanzen
gehören auch zum Ganzen.“)
Ab dem Schuljahr 1977/78 wurden erst-
mals auch Schülerinnen aufgenommen.
Nach Dir. Dr. Kofler folgte Dir. Mag.
Egger (1993 bis 2001), und vor knapp
zweieinhalb Jahren wurde Frau Dir. Dr.
Strobl mit dem todgeweihten Konvikt be-
traut.
Erlauben Sie mir abschließend noch ei-
nige besinnliche bzw. auch kritische Be-
merkungen und Zukunftsvisionen:
Das heutige Konviktsfest ist eigentlich
ein Begräbnis; zum Leichenschmaus gibt
es die nostalgischen Oblatentorten mit
Schokoladeüberguss, die uns einst als Be-
lohnung die Schularbeiten-Einser versüß-
ten. Es ist für mich unfassbar, dass ein
Konvikt mit derart erfolgreicher Tradition
wegrationalisiert wurde, „weil es sich
nicht mehr rechnete“. Ausbildungsstätten
unserer Jugend kann man doch nicht nach
beinharten Geschäftskriterien evaluieren.
Außerdem haben Bundeskonvikte auch
eine wichtige soziale Aufgabe. Weiters
könnte eine gute Erziehungsanstalt einen
wesentlichen Teil jener Aufgaben über-
nehmen, die in einer zerrütteten Familie
nicht mehr wahrgenommen werden (man
schaue sich die Scheidungsstatistiken
an!). Dies würde auch den Ergebnissen des
PISA-Tests Rechnung tragen, wonach ge-
rade diejenigen Länder besonders gut ab-
geschnitten haben, in denen derartige Aus-
bildungsstätten in ausreichendem Maße
vorhanden sind.
Nicht zu vergessen ist schließlich die so-
genannte „Umwegrentabilität“ solcher
Anstalten.
Der Untergang des Konviktes ist meiner
Meinung auch für Lienz ein schwerer Ver-
lust. Die Absolventen waren letztlich eine
unschätzbare Werbung für die Stadt, selbst
wenn sie als Zöglinge oft meckerten. Ich
sehe das am Beispiel meines eigenen Soh-
nes, der auch 15 Jahre nach der Matura
immer wieder gerne nach Lienz fährt und
dabei Freunde aus dem In- und Ausland
mitbringt.
Meine Zukunftsvision ist die Wiederge-
burt eines Konviktes Lienz ähnlich dem
angelsächsischen, insbesonders engli-
schen Prinzip der elitären Erziehungs-
anstalten; natürlich mit Berücksichtigung
bewährter bzw. neuester pädagogischer
Erkenntnisse. Es sind keineswegs Raben-
eltern, die ihre Kinder in solche Kader-
schmieden senden. Sie haben vielmehr
Weitblick, wenn sie den „Frustrations-
spiegel“ ihrer Kinder anheben, denn im
Leben wird auch niemand verhätschelt.
Trotz (oder wegen) der damals wesent-
lich strengeren Erziehungsmethoden un-
serer Jahrgänge hat meines Wissens keiner
einen „Psychoknacks“ davongetragen.
Das heutige Problem ist u. a., dass die
Erzieher vielfach infolge juristischer
Schranken eine echte Erziehungsarbeit nur
erschwert leisten können.
Im Gegensatz zur damaligen Erziehung
führt Verwöhnung „zur Lebensbehinde-
rung, zur Wirklichkeitsflucht und zur spä-
teren Sabotage von Beziehungen zum
Partner, zu den eigenen Kindern und allen
anderen Mitmenschen. Aber dafür sollen
es dann Psychologen, Logotherapeuten,
Ergo- und Bewegungstherapeuten, von
uns allen bezahlt, richten“ (Astrid von
Friesen: Dipl.-Pädagogin, Journalistin,
Lehrbeauftrage an der Technischen Uni-
versität Freiberg; 2003).
Lienz wäre der optimale Standort für
eine derartige Ausbildungsstätte aus tradi-
tioneller, kultureller und landschaftlicher
Sicht. Außerdem ist die Nähe zu Italien
vorteilhaft, und die Bedingungen für sport-
liche Aktivitäten sind geradezu ideal
(„Lienz, die Schulstadt Österreichs“).
Wir, als ehemalige Konviktszöglinge,
sollten auf diese Wiedergeburt hinarbeiten,
wo immer sich die Gelegenheit bietet. Vor
allem aber die Stadt Lienz sollte aus ur-
eigenstem Interesse entsprechende Akti-
vitäten setzen. Vielleicht kann das heutige
Konviktsfest den Anstoß dafür geben, dass
ein Konvikt/neu (öffentlich oder privat)
wie Phönix aus der Asche wieder entsteht.
Abschließend möchte ich mich im
Namen aller ehemaligen Konviktszöglinge
bei Frau Direktor Dr. Strobl ganz herzlich
dafür bedanken, dass sie dieses Konvikts-
fest organisiert hat. Das traditionsreiche
Bundeskonvikt Lienz und mit ihm sein
Gründungsvater Direktor Dr. Pappen-
scheller hätten es nicht verdient, sang- und
klanglos in der Versenkung zu ver-
schwinden.
Beginn
des Bundes-
konviktes
Lienz als
Bombenruine
(1947) –
heute BORG.
Neues
Bundeskon-
vikt Lienz
(ab 1969).