Seite 2 - H_2004_01

Basic HTML-Version

O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
72. Jahrgang – Nummer 1
Die meisten Missionarinnen und
Missionare der katholischen Großmacht
Österreich-Ungarn stammten aus dem
„Heiligen Land Tirol“. Franz Mayr war
nur einer von ihnen. Es gibt kaum wissen-
schaftliche Biographien über diese Men-
schen. Verantwortlich dafür mag einerseits
der Umstand sein, dass es sich in den
meisten Fällen um keine hohen kirchlichen
Würdenträger handelte und sie uns
zudem nur sehr verstreut auffindbares
Quellenmaterial in Form von Briefen, Ta-
gebuchaufzeichnungen und Missionsarti-
keln hinterließen. Die folgende kurze Dar-
stellung von Leben und Werk des Osttiro-
lers ist nur nach Forschungen in zehn
Archiven Österreichs, Italiens und Afrikas
möglich.*
Vom Bergbauernsohn zum Priester
Franz Mayr wurde am 6. März 1865 in
Obernußdorf geboren. Noch am selben
Tag taufte ihn Pfarrer Johann Rienzner in
der Unternußdorfer Kirche „St. Helena“.
Sein Pate war der Schuster Franz Harb aus
Lienz. Der war mit Mayrs „Erziehungs-
mutter“ Anna Harb verheiratet. Die Fami-
lie Harb – ihr Name existiert heute in Ost-
tirol nicht mehr – bewohnte seinerzeit die
Hälfte des Doppelhauses „Kohlbarren“ auf
Bauparzelle 146/147 in der Meranergasse,
der heutigen Messinggasse. Aus den Do-
kumenten lässt sich nicht erkennen, ob
Franz Mayr seine Kindheit bei seinen El-
tern Georg und Maria und zusammen mit
seinen älteren Geschwistern Anna, Maria
und Simon auf dem alten Gutshof
„Luner“, dem höchstgelegenen des Ortes,
verbrachte oder aber ausschließlich bei der
Familie Harb in der Stadt. Eine Erklärung
dafür, warum ihn die Familie Harb als
Pflegekind aufnahm, könnte darin liegen,
dass seine Eltern viele unmündige Kinder
zu verköstigen hatten und eine Weggabe
eines – zudem kränklichen Kindes – eine
Erleichterung für sie war. Dieses soziale
Verhalten war früher in Osttirol bei bei-
derseitigem Einvernehmen und nur mit
Zustimmung eines Priesters durchaus
üblich. Vielleicht wurde er auch in Pflege
gegeben, weil er wegen seiner Wirbel-
säulenerkrankung nicht für die harte
Arbeit auf dem Bergbauernhof geeignet
war. Es liegt auch der Schluss nahe, dass
es sich bei Anna Harb um die Tante
mütterlicherseits handelte. Deren Bruder,
Jakob Obersteiner, ein Geistlicher, dürfte
Franz Mayr bei seiner Entscheidung zum
Priesterberuf motiviert haben.
Wie Franz Mayr konkret seine Kindheit
und die Jugendjahre verbrachte, lässt sich
schwer rekonstruieren. Er dürfte die
Volksschule in Nußdorf oder Lienz be-
sucht haben. Dokumente tauchen erst wie-
der mit seinem Eintritt in das Brixener
Gymnasium „Vinzentinum“ auf. Benannt
nach dem Fürstbischof der Diözese, Vin-
zenz Gasser, wollten die Lehrer dieser
Knabenschule möglichst viele Burschen
zum Priesterberuf motivieren. Das „Vin-
zentinum“ bildete die Vorstufe zum
Priesterseminar in dieser alten Bischofs-
stadt.
Der „Personalbogen Nr. 116“ verrät uns,
dass Franz Mayr ab dem 27. September
1876 als sogenannter interner Schüler die
Schulbank drückte. Mayr erhielt Unter-
richt in Religion, Naturgeschichte, Geo-
graphie, Physik, Latein, Altgriechisch,
Mathematik, Stenographie, Französisch,
usw. Das Haus verfügte über ein naturhis-
torisches Kabinett, eine eigene Münz-
sammlung und eine Daktyliothek. Da-
neben fanden Theateraufführungen statt
und der Gesangs- und Instrumentalunter-
richt spielte eine besondere Rolle. Dass
Franz Mayr von Musik sehr begeistert
war, zeigt eine Textpassage aus dem Jahr
1904. Vielleicht war er sogar Mitglied im
Chor des „Vinzentinums“. Über seinen
damaligen Aufenthalt in den Vereinigten
Staaten von Amerika schrieb er jedenfalls:
„Die Zeremonien waren sehr feierlich und
die Musik streng kirchlich. Im Musika-
lienschranke zeigte mir am folgenden
Morgen nach dem Frühstücke P. K. die
Namen der Komponisten. [...] Er sagte
mir, dass der Gesang in der St. Franz X.-
Kirche berühmt sei. Die herrlichsten Orgel-
klänge hörte ich aber in der St. Patricks-
Kathedrale, ebenfalls in New-York“. Aus
Briefen wissen wir, dass Mayr in Afrika an
einem Liederbuch und einer Singlehre
arbeitete, die mit „Freude und Nutzen von
vielen Musikfreunden und Schülern“ be-
nützt wurde.
Elternbesuche waren im Gymnasium
unerwünscht und die Schüler durften nur
in Ausnahmefällen während des zehn Mo-
nate dauernden Schuljahres nach Hause.
Nach der erfolgreichen Matura begann der
Neunzehnjährige Franz im Herbst 1884
Theologie zu studieren. Mayr scheint vom
Studienjahr 1884/1885 bis einschließlich
1887/1888 sowohl in den Diözesansche-
matismen als auch in den Studienkatalo-
gen der theologischen Lehranstalt in Bri-
xen als Student auf. Am 2. April 1888
weihte ihn Bischof Simon Aichner zum
Subdiakon, dann am 8. April zum Diakon
und am 6. Mai zum Priester. Am 22. Juli
Geburtshaus von Franz Mayr, der „Lunerhof“ in Obernußdorf (Haus Nr. 46).
Die Maturanten des Knabenseminars „Vinzentinum“ in Brixen. Vordere Reihe sitzend,
dritter Schüler v. l.: Franz Mayr; 1884.