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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
72. Jahrgang – Nummer 2
wenn auch für die Zeit vor 1204 kein
schriftlicher Hinweis darauf überliefert ist.
Tradition seit der Spätantike
Längst schon wurde linksseitig der Isel
auf der Anhöhe im Bereich um St. Andrä
eine römerzeitliche Besiedlung vermutet.
Bereits der Innsbrucker Hofhistoricus
Anton Roschmann, der im Jahr 1746 die
Lienzer Gegend besuchte, berichtete von
einem antiken Reliefstein mit der Darstel-
lung der Glücksgöttin Fortuna,
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der am
nahen Gösselfeld gefunden worden sei und
damit als Hinweis auf die konkrete Anwe-
senheit der Römer gelten konnte. Von die-
sem Reliefstein ist später noch mehrfach die
Rede; er soll am Kirchturm eingemauert,
die Darstellung der nackten heidnischen
Göttin aber abgeschlagen worden sein.
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Anton Roschmann sah noch einen weite-
ren römischen Reliefstein, den er sogar
bildlich festgehalten und mit folgendem
Kommentar versehen hat:
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„Lienz – Ex
Marmore. Ober der Grossen Pfarr-Kirch
Thür ist ain viereckhet [viereckiges] nit gar
grosses Bassorilievo eingemaurt, so ainen
Kopf, wie die Isis, vorstellet.“
A. B. Meyer und Augustin Unterforcher,
die im Jahr 1908 das Buch „Die Römer-
stadt Agunt bei Lienz in Tirol“ veröffent-
lichten, konnten von weiteren römischen
Relikten berichten und schlossen daraus
„um so sicherer auf Reste von Römerbau-
ten“ im Bereich von St. Andrä.
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Um einiges Wissen um Aguntum und
Lavant bereichert, drückte Hermann
Wiesflecker im Jahr 1952 einen Zu-
sammenhang zwischen der alten Römer-
metropole am Debantbach und St. Andrä
konkret aus:
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„Obwohl wir dafür, wie meist
in der Frühgeschichte, keine zwingenden
Beweise beizubringen vermögen, bietet uns
doch die lokale Kirchen-, Siedlungs-, Be-
sitzgeschichte und Patrozinienforschung
eine überzeugende Reihe von Indizien, die
den engen Zusammenhang zwischen der
Bischofskirche des spätantiken Aguont und
der karolingischen Urpfarre St. Andreas
wahrscheinlicher machen als jede andere
Annahme.“ Für H. Wiesflecker galt es
schon damals als wahrscheinlich, dass man
bei einer Grabung in der Kirche auf römi-
sche Reste stoßen würde.
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Bestätigt wurde diese Aussage durch die
wissenschaftlichen Grabungen aus Anlass
der umfangreichen Innenrestaurierung
von St. Andrä im Jahr 1968. Darüber legte
die Grabungsleiterin, Dr. Liselotte Zem-
mer-Plank, Kustodin am Tiroler Landes-
museum Ferdinandeum, einen umfang-
reichen Grabungsbericht vor.
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Man stieß auf insgesamt drei Vorgänger-
bauten der jetzigen gotischen Kirche. Die
älteste Anlage (Bau I) stellte eine einfache
Saalkirche mit eingezogener halbkreisför-
miger Apsis dar, wobei der Laienraum eine
Länge (Innenmaße) von 14,2 m und eine
Breite von 9,2 m aufwies. Im Apsisbogen
war eine 0,6 m tiefe Klerikerbank mit er-
höhtem Mittelsitz eingebaut, vor dem sich
das Reliquiengrab befand. Zu seiner Um-
grenzung benützte man spätrömische Re-
liefsteine vom Ende des 2. nachchristlichen
Jahrhunderts in Zweitverwendung.
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Darüber
erhob sich der frei stehende Altar. Dieser
frühchristliche Bau kann in das 5. Jahrhun-
dert datiert werden.
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Unter der Apsis befand
Römisches Relief mit Frauenkopf, ehemals
über dem Haupteingang von St. Andrä ein-
gemauert; lavierte Federzeichnung von
Anton Roschmann, 87 x 80 mm, um 1750.
(Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum,
Bibliothek, Dip. 938)
sich noch ein älterer Bodenrest, jedoch zu
wenig, um ihn zeitlich ein- bzw. einem Sa-
kral- oder Profanbau zuordnen zu können.
Mit den Ergebnissen der archäologischen
Grabung ergab sich eine Neubewertung
hinsichtlich des geistlichen Zentrums in
diesem Raum und des Bischofssitzes von
Aguntum. St. Andrä muss auf jeden Fall
mit dem nachweisbaren Bischof von
Aguntum als Suffragan des Patriarchen von
Aquileia in Zusammenhang gebracht wer-
den.
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– In Erinnerung an untergegangene
Bischofssitze wird seit 1968 von Rom auch
der Titel eines Bischofs von Aguntum neu
vergeben. Zurzeit trägt ihn Dr. Josef Plöger,
emeritierter Weihbischof von Köln.
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In den Wirren der Völkerwanderungszeit
nach dem Ende des Weströmischen
Reichs (476) blieb der Ostalpenraum
mehr oder weniger sich selbst überlassen,
wobei jedoch die Verwaltungseinrichtun-
gen der Kirche funktionierten und die Ord-
nung aufrecht erhielten.
Eine Wende trat ein, als sich um 610 die
von Osten heraufziehenden Slawen und die
über das Pustertal herabkommenden Baju-
waren bei Aguntum eine Schlacht lieferten,
wobei die Bajuwaren unterlagen. Nun
scheint auch die ohnehin schon ge-
schwächte und von früheren Einfällen teils
zerstörte Stadt Aguntum aufgelassen wor-
den zu sein, wobei die Siedlung um
St. Andrä Zuzug erhielt.
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In der Folgezeit
besiedelten die Slawen den Lienzer Raum
und die Iselregion, was friedlich vor sich
gegangen zu sein scheint.
Aus der Landnahme durch die Slawen
ergab sich die Notwendigkeit der Missio-
nierung in ganz Karantanien.
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Daran betei-
ligten sich das Bistum Freising – zunächst
von Innichen aus – weiters das Bistum Salz-
burg, seit 798 im Rang eines Erzbistums,
und von Süden her das Patriarchat von
Aquileia. Erleichtert wurde dies dadurch,
dass Karl der Große seinem Reich auch
Karantanien angliedern konnte. Salzburg,
das auf dem Gebiet der Kirchenprovinz von
Aquileia agierte und überdies den Füh-
rungsanspruch in der Karantanienmission
erhob, geriet erwartungsgemäß mit Aquileia
in Streit, den Kaiser Karl der Große am 14.
Juni 811 schlichtete, indem er den Draufluss
als Grenze zwischen den beiden Kirchen-
provinzen festlegte. Diese Regelung blieb
bis in das 18. Jahrhundert hinein in Geltung.
Nördlich der Drau konnte sich Aquileia mit
gutem Grund noch den Bereich um
St. Andrä sichern. Mit seiner ehemaligen
Bischofskirche war dies von der Zeit der
ersten Missionierung her doch gleichsam
der nordwestliche Pfeiler der Kirchenherr-
schaft von Aquileia. Hier befand sich wohl
das alte Mensalgut des Bischofs. Dieses
Gut, auch Tafelgut genannt, zum weltlichen
Besitz gehörend, diente zur Versorgung.
Dass der Kirchenfürst aus Aquileia hier
seine Ansprüche durchsetzen konnte, be-
weist der Name „Patriarchesdorf“, der heute
noch in „Patriasdorf“ fortlebt.
In karolingische Zeit, in das 10. Jahrhun-
dert, fällt die Erweiterung der alten früh-
christlichen Kirche zum hl. Andreas (Bau II),
die vermutlich durch Aquileia gefördert wor-
den ist. Sie wurde bei gleichbleibender
Breite des Laienraumes nach Westen hin auf
28,1 m (Innenmaß) verlängert. Vom ge-
stelzten Rundbogenchor ging man ab und er-
setzte ihn durch ein verschobenes Rechteck.
Nach mehr als 200 Jahren genügte dieser
Bau nicht mehr. Es folgte der Sakralbau, der
im Jahr 1204 eingeweiht worden ist (Bau
III). Inzwischen aber hat sich der Lienzer
Raum in mancher Hinsicht stark verändert.
Der Lienzer Raum um 1200
Die zum Herzogtum Karantanien (Kärn-
ten) gehörende Grafschaft Lurn, die unge-
fähr von Rennstein östlich vom heutigen
Spittal a. d. Drau bis ins Pustertal hinein
reichte, zerfiel in zwei Gaue, in deren west-
lichem ein aus Bayern stammendes und mit
den Andechsern verwandtes Geschlecht die
Verwaltung führte.
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Nach dem für dama-
lige Zeit typischen Wiederkehren des Vor-
namens Meginhard (= Meinhard), den man
als „Leitname“ bezeichnen kann, wird die-
ses Geschlecht in der historischen For-
schung heute „Meinhardiner“ genannt.
Erstmals ist ein Meginhard bereits zu Be-
ginn des 11. Jahrhunderts nachweisbar. Das
Geschlecht nahm seit dem Anfang des
12. Jahrhunderts einen raschen Aufstieg:
Durch Erbschaft gelangte es 1123 in den
Besitz von Görz am Isonzo und ungefähr
gleichzeitig errang es die äußerst wichtige
Position der Vogtei über das Patriarchat von
Aquileia. Erstmals taucht die Bezeichnung
„Graf von Görz“ im Jahr 1146 auf. Ein wei-
terer wesentlicher Schritt bezüglich des Ter-
ritoriumsausbaus des Geschlechtes war die
Übernahme des westlichen und größeren
Eine der ersten Silbermünzen der Grafen
von Görz, geprägt in der Lienzer Münz-
stätte vor 1200; die Vorderseite zeigt ein
stilisiertes Bildnis des Patriarchen von
Aquileia und die Umschrift „LIVNZA-
LIS“; Orig.-Dm. 20 mm.
(Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum,
Münzsammlung)