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Nummer 2 – 72. Jahrgang
O s t t i r o l e r H e i m a t b l ä t t e r
Teils der „unteren“ Grafschaft Lurn nach
dem Tod des letzten weltlichen Familien-
mitglieds der Udalschalke im Jahr 1135.
Dieser Gau schloss an den Lienzer Gau an.
Das Zentrum des Besitzes der Meinhar-
diner bzw. der frühen Grafen von Görz war
die Siedlung um die Kirche zum Heiligen
Andreas. Der ganze Bereich taucht ur-
kundlich erstmals zwischen 1022 und ca.
1039 als „locus Luenzina“ auf:
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„ ... in co-
mitatu Lurniensi in loco Luenzina“.
Die Bezeichnung „Patriarchesdorf“ ist
erstmals 1197 im Zusammenhang mit dem
Ausstellen einer Urkunde überliefert:
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„Actum est hoc in villa Patriarchsdorf sub
arbore, qui dicitur albar, sub castro Luenz“ –
„(Die Urkunde) wurde ausgestellt in Patri-
archsdorf unter dem Baum, der Alber ge-
nannt wird, unterhalb der Burg Lienz.“
In der Nähe von St. Andrä stand also die
Burg Lienz, das „castrum Lunze“. Die
überlieferten topographischen Angaben
ermöglichen eine relativ genaue Lokalisie-
rung.
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Die Burg muss sich in der Nähe des
kleinen Platzes beim „Moar“ (Patriasdorf
Nr. 2) befunden haben. Der Platz selbst
diente als Dingstätte des Landgerichts
Lienz und Versammlungsort der Bewohner
des Lienzer Gaues.
Neben weiterem Besitz gehörte auch das
Castrum Lunze den Patriarchen von Aqui-
leia, die es aber dem Grafengeschlecht zu
Lehen gaben. Zum letzten Mal wurde der
Besitz von Aquileia durch die Görzer im
Jahr 1226 bestätigt,
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dann betrachteten es
die Grafen wohl als Eigenbesitz. Im 13. Jahr-
hundert gelang es also den Grafen von Görz,
Aquileia den Besitz in „Patriarchesdorf“ zu
entfremden. In geistlicher Hinsicht gingen
die Rechte offensichtlich schon etwas früher
an das Erzbistum Salzburg über, da nach der
Weihenotiz vom 4. März 1204 zwar der
Bischof von Pola in Istrien, ein Suffragan
des Patriarchen von Aquileia, die Kirche von
St. Andrä einweihte, allerdings bereits mit
Zustimmung des Salzburger Erzbischofs!
Von der Siedlung auf der Anhöhe aus be-
trieben die Grafen das Rodungswerk im
Talboden zwischen den Flüssen Isel und
Drau.
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Gegen 1200 errichteten sie auf
eigenem Grund und Boden ein „Burgum“
mit dem Grundriss eines schmalen, nach
Osten hin ausgerichteten Dreiecks, das im
Prinzip dem heutigen Hauptplatz von Lienz
entspricht. Um 1200 war diese junge Sied-
lung im Aufstieg begriffen, wofür die Ein-
richtung einer gräflichen Münzstätte noch
vor der Jahrhundertwende bezeichnend ist.
Als Vorbilder der Münzen dienten zunächst
hauptsächlich die Denare (= Pfennige) von
Aquileia.
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Die Neugründung wird im Jahr 1242
erstmals als „Civitas“ – „Stadt“ bezeichnet.
Inzwischen war der Name der Siedlung auf
der Anhöhe auf jene im Tal übergegangen.
Zuständige Pfarrkirche aber blieb immer
St. Andreas außerhalb des engeren Stadt-
gebiets.
Der romanische Kirchenbau
St. Andreas
Man kennt nicht die Beweggründe, wes-
halb die Kirche des 10. Jahrhunderts nach
mehr als 200 Jahren erneuert worden ist.
War sie baufällig geworden? Hatte die Be-
völkerung stark zugenommen, so dass der
Raum nicht mehr allen Gläubigen Platz bie-
ten konnte? Oder empfand man sie als zu
„antiquiert“ und wollte sie durch einen
„modernen“ Bau ersetzen? Der aktuelle Stil
der Zeit um 1200 war die Romanik, die
einen Kirchenbau als Festung Gottes insze-
nierte. Der massige Bau weist durchwegs
schmale Fensterschlitze auf. Im Vergleich
mit der Stiftskirche von Innichen, deren
Neubau nach 1200 begonnen wurde, war St.
Andrä einfach gestaltet. Durch die Ergeb-
nisse der Grabungen von 1968 und die rich-
tige Einordnung der vorhandenen Relikte ist
es möglich, das Aussehen der Kirche ein-
igermaßen zu rekonstruieren.
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Im Gegen-
satz zu den Vorgängerbauten ist von diesem
Bau sogar noch aufgehendes Mauerwerk er-
halten geblieben, das in die Westfassade des
gotischen Baus einbezogen worden ist. Die
von der ehemaligen aus Steinquadern auf-
gebauten Nord-West-Kante herrührende
Wandfuge war nach Abschlagen des alten
Putzes (1968) deutlich zu erkennen. Das
Langhaus (Laienraum) reichte im Westen
angenommen werden, dass darauf die bei-
den Portallöwen als Säulenträger standen,
die sich heute in der Vorhalle befinden. Ein
Parallelbeispiel bietet der nördliche Seiten-
eingang der Innichner Stiftskirche.
Im Chor wurde ebenfalls die Nordmauer
übernommen, die südliche Wand hingegen
neu errichtet, womit das Presbyterium eine
Breite von 7 m erhielt. Im Osten stieß man
bei der Bodenuntersuchung auf eine gerade
Mauer, wobei offen bleiben muss, ob dies
tatsächlich die Abschlusswand ist oder bloß
das Fundament für Stufen zu einem höher
gelegenen Abschnitt des Priesterraums. Für
die Romanik wäre ein runder Chorabschluss
typisch; ob sich ein solcher auch hier be-
funden hat, lässt sich nicht mehr nachwei-
sen, da dieser beim Einbau der Krypta in
der Zeit der Gotik auf jeden Fall zerstört
worden wäre.
Von der Höhe des aufgehenden Mauer-
werks kann man keine genaue Vorstellung
gewinnen. Man weiß auch nicht, ob der Kir-
chenraum eingewölbt gewesen ist oder ob
eher die Dachstuhlkonstruktion von unten
her einzusehen war.
Der romanische Bau von St. Andrä war
von der Architektur her sicherlich kein auf-
wändiger Bau, dennoch sind Beispiele von
Bauplastik in Relief und Vollplastik über-
liefert: zwei ehemalige Portallöwen, ein
Säulenschaft mit Kapitell, ein Kämpfer
(Zwischenstück zwischen Kapitell und
Ansatz des gemauerten Bogens) und zwei
Reliefsteine in weißem Marmor.
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Kulturgeschichtlich bemerkenswert ist
der Symbolgehalt der Darstellungen. – Der
Löwe als Symbol der Stärke und der Wach-
samkeit war bereits in der Antike bekannt
und wurde vom Christentum übernommen.
Die beiden kauernden Portallöwen mit Tie-
ren zwischen den Pranken halten Wache und
bändigen dämonische Gewalten. – Dem
Kopf-Motiv, wie es auf dem ehemaligen
Säulenkapitell, dem Kämpfer und einem Re-
liefstein aufscheint, wurde ebenfalls apotro-
päischer, abwehrender Charakter zuge-
schrieben. Die glatten, ernst wirkenden Ge-
sichter mit großen Augen sollten – wie schon
seit den verschiedensten alten Kulturen –
Geister bannen. – Der Reliefstein mit
schreitendem Lamm, das mit dem rechten
Bein einen Kreuzstab mit kleiner Fahne um-
fasst, versinnbildlicht das „Agnus Dei“, das
„Lamm Gottes“, und ist damit Symbol für
Christus anschließend an die Worte, die vor
der Kommunion gesprochen werden: „Ecce
Agnus Dei, qui tollis peccata mundi.“
Als kunsthandwerkliches Erzeugnis von
besonderer Rarität ist noch ein schmiede-
eisernes romanisches Kreuz überliefert, das
am westlichen Giebel der bestehenden
Kirche montiert ist.
Vom romanischen Bau von St. Andrä sind
weiters an der Westwand innen und außen
in Fragmenten Fresken erhalten geblieben,
die zwar nicht in die Zeit der Fertigstellung
um 1204 zu datieren sind, sondern in eine
spätere Zeit, zeugen aber von der laufenden
Ergänzung bzw. Fortentwicklung der
künstlerischen Ausstattung des Gotteshau-
ses. Damals hat man allerdings die Arbeiten
nicht als „Kunstwerke an sich“ betrachtet;
sie verfolgten nämlich durch das Vor-
Augen-Stellen biblischer Inhalte in erster
Linie didaktische, erzieherische Absichten.
Nach Abschlagen des Putzes der Westfas-
sade im Jahr 1968 war die ehemalige
Nord-West-Kante der romanischen Kirche
zwischen dem Spitzbogen des linken goti-
schen Seitenportals und dem darüber lie-
genden Rundfenster gut zu erkennen; Auf-
nahme 9. September 1968.
also bis zu der heute bestehenden Wand und
betrug damit 23,5 m (Innenmaß); die Breite
betrug an die 11 m. Während die Nord-
mauer von den Vorgängerbauten übernom-
men worden ist, hat man einen knappen
Meter südlich der bisherigen Südwand unter
sicherlich großen Anstrengungen eine
neue 1,2 m starke Außenmauer errichtet. –
Im vorderen Teil der Südmauer im Bereich
des heutigen Kreuzaltars konnte ein ehe-
maliger Nebenraum festgestellt werden, der
durch spätere Baumaßnahmen zerstört
worden ist. Westlich an diesen Raum, der
vom Kircheninneren aus betreten werden
konnte und vielleicht als Sakristei diente,
schloss sich der Südeingang zur Kirche an,
markiert durch zwei parallele Mauerzungen
von 0,8 m Stärke und 1,3 m Länge. Es darf