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Frau Dr. Pezzi, was geschieht
mit den Jugendlichen, wenn sie
in die Pubertät kommen?
Pezzi:
„Sie lieben das Risiko,
müssen Grenzen ausloten, su-
chen die Freiheit und ihre eige-
nen Möglichkeiten, ihr eigenes
ICH. Dieser Ablöseprozess ist
für keine der beteiligten Seiten
einfach und doch nötig, damit
die Jugendlichen irgendwann
ihr Leben selbst in den Griff be-
kommen und für sich selbst Ent-
scheidungen treffen können.
Man sollte als Erwachsener
diesem Prozess der Persönlich-
keitsentwicklung grundsätzlich
mit Respekt begegnen. Es ist ein
gesunder wenn auch nicht ein-
facher Schritt in die Selbststän-
digkeit, und genau diese Selbst-
diese noch mehr an den Gleich-
altrigen festhalten. Vielmehr
sollte man die Einstellungen der
Freunde in Überlegungen einbe-
ziehen, doch distanziert bleiben,
den persönlichen Weg einfach als
Möglichkeit aufzeigen, aber
nicht als einzige Wahrheit. Viele
Eltern sind zurzeit stark verun-
sichert, inwieweit Grenzen in der
Erziehung gesetzt werden sollen,
dürfen oder müssen. Während
früher viele Eltern dazu ermahnt
werden mussten, weniger autori-
tär zu sein und ihren Kindern
mehr Freiheiten, Entwicklungs-
und Entscheidungsmöglichkei-
ten zu lassen, treffen wir heute
oft auf die umgekehrte Situation.
Eltern müssen immer öfter daran
erinnert werden, auch Grenzen
zu setzen. Diese sollen den
Lebensumständen angepasst und
mit der Zeit erweitert werden.“
Also sind die „großen“ Frei-
heiten noch nichts für einen
Pubertierenden?
Pezzi:
„Nein. Man sollte das
Kind nicht mit allzu großen
Freiheiten überfordern und nicht
ständigkeit ist ja ein wichtiges
Ziel unserer Erziehung.“
Also, direkte Erziehung wird
in jedem Fall weniger….
Pezzi:
„Ja. Unsere Aufgabe
ändert sich in Zuhören, Interesse
zeigen, Fragen zum Überlegen
aufwerfen, Begleiter und Vor-
bild sein und notfalls müssen
wir immer wieder unser Ret-
tungsnetz aufspannen, um un-
sere Kinder aufzufangen, wenn
sie auf ihremWeg zum Erwach-
sensein auch an ihre eigenen
Grenzen und vor allem Un-
sicherheiten stoßen.“
Den Kindern Positives vor-
leben – bewirkt das in der
Pubertät noch etwas?
Pezzi:
„Über Vorbildfunktion
hat man mehr Einfluss auf das
eigene Kind als man denkt. Kin-
der und Jugendliche lernen sehr
viel mehr über Beobachtungen
als über aufgestellte Regeln, an
die man sich oft selbst nicht ganz
so strikt hält. Man sollte nicht
von seinem Schützling etwas
verlangen, das man auch selbst
nicht einhalten kann – ober-
flächliche Regeln werden sofort
abgelehnt. Zu Bedenken gilt
allerdings grundsätzlich, dass
der Einfluss der Familie in die-
sen Jahren der Pubertät rapide
abnimmt und der des Freundes-
kreises nahezu Gesetz ist.“
Was, wenn die Freunde des
Kindes einem nicht gefallen?
Pezzi:
„Man sollte nicht an-
fangen, die Freunde des Kindes
zu kritisieren, denn damit werden
Pubertierende Jugend-
liche können sehr am
Nervenkostüm der
Erwachsenen zerren. Sie
sind ständig launisch,
motivationslos und
können sich nur schwer
entscheiden. Sie fordern
heraus, lehnen Ein-
stellungen und Werte
ab, lösen sich mit aller
Kraft los. Wie man sich
als Eltern gegenüber
den eigenen pubertie-
renden Kindern am
besten verhält, was
man von ihnen erwar-
ten kann – darüber
informiert die Puster-
taler Psychologin
Dr. Angelika Pezzi im
„PVT“- Interview.
INTERVIEW
PUSTERTALER VOLLTREFFER
MAI/JUNI 2012
4
,Mein Kind pubertiert! Was nun?‘
Psychologin Dr. Angelika Pezzi.
Steckbrief:
Name:
Dr. Angelika Pezzi
Alter:
35
wohnhaft:
in Sand in Taufers
Beruf:
Psychologin, Kognitive
Verhaltenstherapeutin, betreibt
eine Psychologische Praxis in
Bruneck
Kinder:
Johannes (9)