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OSTTIROLER
NUMMER 9/2005
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HEIMATBLÄTTER
wird er noch eindringlicher:
„Herr Vikar!
wenn Sie nicht vorbauen, wird der 2te Schritt
bald nachfolgen. (...) Ist es ein Wunder, wenn
die Weltlichkeit Tyrols bald nachgehet, An-
spruch auf Opfer-Opferstock-Stiftungen
beym Zotten – um das Geld nicht außer Land
zu lassen – machet, zur Erarmung der Seel-
sorgskirche und Schmälerung des allgemach
verderbenden Vikariats? (...) Principiis obs-
titisse fuisset!“
14
Jud muss auf diesen Vor-
schlag tatsächlich eingegangen sein: Im
Pfarrarchiv von St. Veit hat sich ein Revers
erhalten, in welchem sich Franz Gräll ver-
pflichtete, der Vikariatskirche
„nichts
[zu]
entziehen“
15
. Unmittelbar danach dürfte die
Benedizierung erfolgt sein, auf welche ein
weiteres Schreiben des Konsistorialamtes
vom 16. Juli Bezug nimmt
16
.
Am 29. August 1806 übersendet das Con-
sistorium ein Schreiben, in dem abermals
die „Schädlichkeit“ der Kapelle für die Got-
tesdienste in St. Veit thematisiert wird. Of-
fenbar traute man „den Tirolern“ nicht ganz.
Es heißt hier, dass die Kapelle bereits die
„Apostelleuchter“ (Apostelkreuze) als un-
trügliche Zeichen der Benedizierung habe.
Der Erbauer wird als
„Wirth und Gastge-
ber“
bezeichnet,
„der zugleich, obschon
ohne Studien, ohne Erlernung, ohne Praxi
einen Arzten macht“
17
. Die Methoden, mit
denen er das Geld für den Bau aufgetrieben
habe, werden als
„theils schmeichelhafte
und schmutzige, theils ... zudringliche Er-
bettelung“
gebrandmarkt; er habe das Geld
seinen Gästen bzw. Patienten
„zur Erhal-
tung der Genesung“
abgebettelt. Gräll habe
allein am Benedizierungstag
„über 100 fl.
[Gulden]
erbettelt, und es sei zu befürch-
ten, dass Tirol in Zotten sogar eine „Lokal-
kaplaney“, also eine Seelsorge-Außen-
stelle errichten wolle!
„Alsdann wären Kir-
che und Vikar bey St. Veit recht elend dran“,
resümiert das Salzburger Consistorium. Am
12. November wird nochmals auf die ent-
sprechenden Bedingungen zum Messelesen
etc. verwiesen, und damit wird die Sache als
erledigt angesehen.
Ein letztes Mal ist von Streitigkeiten im
Zusammenhang mit der Zottenkapelle im
Jahre 1808 die Rede, als einer beabsichtig-
ten
„Übersetzung der Ablässe von der St.
Johann v. Nepomuk- und 14-Nothhelfer Ka-
pelle zu der Mariä-Ötting-Kapelle in Zot-
ten“
von Seiten des Dekanats nicht stattge-
geben wurde
18
. Dieses Schreiben ist insofern
interessant, als wir hier erstmals einen Beleg
dafür haben, dass die Kapelle in Anlehnung
an die Wallfahrtskirche von Altötting in
Bayern errichtet worden war
19
. Unklar ist
hingegen, was mit der Johannes-Nepomuk-
und 14-Nothelfer-Kapelle gemeint ist. –
Nun scheinen die Streitigkeiten eingeschla-
fen zu sein, wie ja auch wenige Jahre später
die alte Aufteilung des Defereggentales auf
zwei Herrschaftsbereiche (Salzburg und
Tirol) ihr Ende fand. Die Sache war damit
endgültig Geschichte. Oder doch nicht? Im
Jahre 1904 flackerte der Streit um das
Opfergeld noch einmal auf; offenbar wollte
der damalige Zottenwirt und Besitzer der
Kapelle, Franz Schneeberger, das Geld ent-
gegen den diözesanen Bestimmungen nicht
an den Pfarrer abliefern. Das fürstbischöf-
liche Ordinariat in Brixen
20
drohte darauf
mit Entzug der Messlizenz
21
. Leider wissen
wir nicht, wie der Streit ausgegangen ist.
Eine interessante Nachricht über die
Kapelle aus dem Jahre 1834 ist hier noch
nachzutragen: Am Nachmittag des 14. Juli
ging infolge eines Gewitters eine schwere
Mure von St. Veit nach Zotten ab:
„Das
Zottenwirtshaus und das etwas darober
stehende Zenzenhäußl blieb unversehrt,
die Kappelle sandete es an der obern Seite
ein“,
schreibt Matthias Hofmann
22
. Dieser
Zustand ist bis heute nahezu unverändert
erhalten und mit ein Grund für die Feuch-
tigkeitsprobleme in dem Kirchlein.
Die Renovierung von 1903
Im Jahre 1903 wurde die Kapelle einer
gründlichen Renovierung unterzogen. Sie
erhielt dadurch imWesentlichen die heutige
Gestalt. Der einfache pyramidenförmige
Dachreiter wurde durch eine Zwiebelhaube
ersetzt. Die Einrichtung dürfte (mit zwei
Ausnahmen, siehe unten) zur Gänze ersetzt
worden sein. Auch der Kreuzweg wurde er-
neuert
23
, die alten Stationsbilder blieben
aber großteils erhalten und wurden im Jahre
1935 entlang des alten Weges von Zotten
nach St. Veit aufgestellt
24
. Über die Einwei-
hung der Kapelle schrieb der „Tiroler
Volksbote“
25
:
„Am 27. Juli fand im Gast-
haus ‚Zum Zotten‘, Defereggen, die Weihe
der vom jetzigen Besitzer Franz Schneeber-
ger restaurierten Muttergotteskapelle statt.
Die Beteiligung vonseite des Volkes und der
Geistlichkeit war eine große. Die Weihe
nahm der Dekan von Windisch-Matrei
[Georg Unterpranger]
vor.“
Der genannte Franz Schneeberger, der
aus Windisch-Matrei stammte, hatte das
Wirtshaus mitsamt der Kapelle 1896 ge-
kauft. Schneeberger war allem Neuen ge-
genüber aufgeschlossen: So errichtete er
eine Bäckerei und einen Laden und führte
seit dem 1. Juni 1899 Privatstellwagen-
fahrten von St. Jakob nach Huben und zu-
rück durch. 1904 wurde die große Veranda
erbaut, die bis in die 1970er-Jahre bestand.
Schneeberger produzierte als Photograph
auch die ersten Aufnahmen von Zotten
26
.
Beschreibung der Kapelle
Josef Weingartner, der bekannte Osttiro-
ler Kunsthistoriker, bezeichnete die Kapelle
sehr treffend als „Miniaturausgabe einer
barocken Landkirche“
27
. Sie besteht aus
einem zweijochigen, kreuzgratgewölbten
Schiff und einem eingezogenen Polygonal-
chor mit Platzlgewölbe
28
. Auf dem steilen
Satteldach sitzt ein kleiner Dachreiter mit
einer Zwiebelhaube. Dach und Türmchen
waren ursprünglich mit Schindeln gedeckt,
wie aus alten Ansichten zu erkennen ist.
Der Chorbogen trägt die Jahreszahl „1805“.
Die Gestaltung der Wände (Farbgebung in
Rosa bzw. Weiß sowie Wandmalereien)
dürfte imWesentlichen auf die Erbauungs-
zeit zurückgehen. Die Malereien an der
Decke zeigen im Schiff die Himmelsköni-
gin, im Chor die Hl. Dreifaltigkeit und
unter der Empore ein Auge Gottes. Die vier
Evangelisten, ebenfalls an der Decke,
könnten jüngeren Datums sein (von 1903?).
Der Altar stammt laut Inschrift auf der
Rückseite von dem Brixner Künstler August
Valentin; ebendort findet sich auch eine In-
schrift, die auf die von Franz Schneeberger
Zotten um 1900, Fotografie von Josef Ladstätter aus St. Jakob i. D.
(Evy Blank, Mayrhofen)
Ansicht von St. Veit, kolorierte Federzeichnung, 1728.
(Brixen, Diözesanarchiv).
Rep.: Michael Huber
Ge-
denk-
tafel
für die
Opfer
einer
Spreng-
gra-
nate,
1945.
(Chro-
nik-
Archiv
St. Veit
i. D.)