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Wenn man die kunstgeschichtliche Ent-
wicklung Osttirols in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts betrachtet, so fällt auf, dass
damals – trotz der napoleonischen Wirren –
eine ganze Reihe von kleineren Sakralbau-
ten (neu) errichtet wurde. Vielleicht waren
aber gerade diese kriegerischen Auseinan-
dersetzungen der Grund, sich durch die Stif-
tung sakraler Bauwerke des göttlichen Bei-
standes zu versichern. Beispiele für Gottes-
häuser, die in jenen Jahren entstanden, sind
die Johanneskapelle in Bruggen (Gem. St.
Veit), errichtet 1806
1
oder die Dreifaltig-
keitskapelle beim Oblasserhof (Gem. St. Jo-
hann im Walde)
2
, die 1805 entstand, und
schließlich die im Folgenden beschriebene
Kapelle Mariä Heimsuchung in Zotten.
Die Ursprünge
Die Anfänge des kleinen Zottenkirch-
leins, wie es im Volksmund einfach ge-
nannt wird, liegen im Dunkeln. Eine erste
Erwähnung aus dem Jahre 1684 findet sich
bei Hans Hochenegg
3
, ließ sich aber akten-
mäßig bislang nicht belegen. Glücklicher-
weise verfügen wir über eine Abbildung
dieses ersten, bildstockähnlichen Baus, der
den Beginn des alten Fußsteiges von Zot-
ten nach St. Veit durch den so genannten
Niesenwald markiert. Hinter der Kapelle
sind zwei Häuser dargestellt, die die kleine
Ortschaft Zotten markieren
4
.
Der Neubau von 1805 und die dar-
aus entstandenen Streitigkeiten
Die nächste bekannte Nachricht stammt
aus dem Jahr 1801. Daraus geht hervor, dass
die bestehende Kapelle über 50 Jahre alt war,
vom ansässigen Wirt Franz Gräll
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in vergrö-
ßerter Form neu errichtet und von ihm „ein-
gehalten“ (= in Stand gehalten) werden soll.
Das Kreisamt gibt seine Zustimmung
6
.
Franz Gräll, Sohn des Paul Gräll und wie sein
Vater „nebenberuflich“ Arzt, tat sich übrigens
auch in der Franzosenzeit hervor, als er den
nachmaligen Freiheitshelden Josef Taxer be-
herbergte, der am 31. Dezember 1809 in
Hopfgarten erschossen wurde
7
. Sogar in Zu-
sammenhang mit den Neubauplänen der St.
Jakober Kirche 1825 hören wir von ihm
8
.
Sowohl im Pfarrarchiv von St. Veit als
auch im Dekanal-Archiv Lienz
9
hat sich ein
Schriftverkehr betreffend die Erbauung der
Zottenkapelle erhalten, der ein bezeichnen-
des Licht auf die Obrigkeit wirft, die Neue-
rungen oder Veränderungen allzu oft skep-
tisch gegenüberstand. Aus diesen Dokumen-
ten geht hervor, dass die kirchliche Obrigkeit
offenbar die weltliche Entscheidung nicht
billigte, und zwar aus finanziellen Gründen.
Der „Pro-Decan“ (später Dekan) von Lienz,
Georg Brandstätter, zuvor Vikar von St.
Veit
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und Kenner der Lage, warnte den da-
maligen Vikar von St. Veit, Johann Jud, aus-
drücklich vor den damit verbundenen Schä-
den für die Kirche:
„...bitte ich eure Hoch-
würden H. Vikar auf die neue Kapelle beym
Zotten aufmerksam zu seyn. Diese Kapelle
ist bereits der St. Veits-Vikariatskirche recht
unverantwortlich sehr schädlich. Solle etwa
auch dort ein Opferstock entstehen? Wem
entgeht hernach das Opfer? und wird sich
nicht die löbliche Pfleg [das Pfleggericht] in
Virgen hierum annehmen, um das einge-
hende im Land zu erhalten? Welche langwei-
ligen Folgen! und zu was sind die Apostel-
Leuchter in der gedachten Kapelle? Will
man das Volck betrügen, sie seye schon
durch bischöfliche Hände eingeweiht? Einer
anderen Kapelle gebühren keine solchen
Leuchter, und sind demnach nicht zu gedul-
den.“
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Die heikle Frage des Opfergeldes
lässt sich damit erklären, dass das Zotten-
wirtshaus und die Kapelle auf dem Boden
der Rotte Görtschach lagen, die damals zu
Tirol gehörte, wohingegen der Großteil von
St. Veit in kirchlicher und weltlicher Hinsicht
salzburgisch war. Auf den Zottenwirt, der
den Kirchenneubau betrieb, scheint man
überhaupt nicht sehr gut zu sprechen gewe-
sen sein, galt er doch als „dahergelaufener
Kurpfuscher“ aus Kärnten, der sich auch die
Lizenz zur Errichtung seines Wirtshauses er-
schlichen haben soll
12
.
Das Consistorium in Salzburg vertrat
anders als Brandstätter eine eher „liberale“
Haltung, erlaubte es doch sowohl die Seg-
nung (Benedizierung) und die Einsetzung
von Kreuzwegstationen durch einen Franzis-
kanerpater als auch das Feiern von Werk-
tagsmessen, sofern der Ortsseelsorger keinen
Einwand zu machen habe und sofern
„durch diese Kapelle dem Gottesdienste bey
der Seelsorgskirche kein Abbruch ge-
schehe“.
Die Erlaubnis zur Zelebration gelte
solange, als die Kirche baulich in Ordnung
sei und auch die Paramente in Stand gehalten
würden
13
. Daraufhin gab Dekan Brandstätter
seinem Vikar Ratschläge, wie er sich gegen
die Tiroler absichern solle:
„Besonders rathe
ich Ihnen: ehe Sie in die Benedicirung der
Kapelle einwilligen, fordern Sie von H. De-
chanten einen legalen Revers der Tyroler,
daß diese Kapelle der St. Veits Kirche auf
niergends eine Weise an Opfern, Vermächt-
nissen – Stiftungen – Zuflüssen oder Beyhilfe
beeinträchtigend werden solle.“
Sodann
NUMMER 9/2005
73. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Michael Huber
200 Jahre Kapelle Mariä Heimsuchung
in Zotten (Gemeinde St. Veit i. D.)
Innenansicht der „neurenovierten Kapelle
in Zotten“ in einer Aufnahme des Fotogra-
fen Dauner, Brixen.
(Archiv Ottilie Stemberger, St. Veit i. D.)