Seite 2 - H_2007_03-04

Basic HTML-Version

OSTTIROLER
NUMMER 3-4/2007
2
HEIMATBLÄTTER
kleinen Stadt zum Opfer gefallen sein soll,
ohne dass man genauere Kenntnis davon
besitzt. In der Folgezeit aber wurde das
Bauwesen richtig angekurbelt, was letzt-
lich eine Blütezeit der Görzer Bauhütte
hervorgerufen hat.
Die Filialkirche St. Johann, ebenfalls
durch den Stadtbrand schwer beschädigt,
wurde wieder notdürftig hergerichtet. Im
Jahr 1457 war sie immerhin soweit herge-
stellt, dass sie am Samstag, 7. Oktober
1457, durch Benedikt Siebenhirter, Titular-
Erzbischof von Tiberias, im Auftrag des
Salzburger Erzbischofs Sigismund geweiht
werden konnte. Aus dem in lateinischer
Sprache abgefassten Weihebrief geht her-
vor: Erzbischof Siebenhirter weihte die Jo-
hannes-Kapelle
(„capella sancti Johannis
baptiste“),
die – in deutscher Übersetzung
„in einer Feuersbrunst durch das bekla-
genswerte Wüten der Flammen beinahe
vernichtet und noch einmal, wenn auch un-
zulänglich, wieder hergestellt worden ist“.
Zugleich verlieh der Erzbischof allen, die
nach Reue und Beichte an den aufgezähl-
ten zahlreichen Festen St. Johann aufsu-
chen, zum Wiederaufbau und zur Erhal-
tung der Kirche, zur Vermehrung von Kel-
chen, Büchern, Kirchenschmuck, Zinsen
und Einkünften beitragen und drei Ave
Maria beten, einen vierzigtägigen Ablass.
Am folgenden Tag weihte Erzbischof
Benedikt die neu, in gotischem Stil errich-
tete Pfarrkirche St. Andrä.
Es dauerte noch rund zehn Jahre bis das
Projekt eines Neubaus von St. Johann in
Angriff genommen wurde. Erst Ende März
1468 konnte der Bau beginnen, der sich –
mit Unterbrechungen – bis 1491 hinzog.
Durch die erhaltenen Baurechnungen las-
sen sich nicht nur die Baufortschritte, son-
dern das gesamte soziale Umfeld mit Auf-
scheinen zahlreicher Namen von Lienzer
Bürgern und Inwohnern und ihren Berufen
dokumentieren. (
Siehe den nachfolgenden
Beitrag von Robert Büchner.)
Das Ergebnis lässt sich einigermaßen aus
den überlieferten Planzeichnungen von
1814 rekonstruieren: Die einschiffige goti-
sche Kirche umfasste im Langhaus fünf
Joche, woran sich im Osten der ein wenig
eingezogene, sich nach vorne hin leicht ver-
jüngende Chor anschloss. Die Joche waren
durch Pilaster als Halbsäulen mit Halbkapi-
tellen über Sockeln getrennt. Diese trugen
das eher einfache Rippengewölbe, wohl in
Sternform. Der Chor wies keine Pilaster-
gliederung auf. Im hintersten Joch des
Langhauses war eine unterwölbte Empore
eingebaut, über eine Stiege auf der Südseite
zu erreichen. Eingänge befanden sich auf
der West- und der Südseite. Auf dem Plan
ist der südseitige Eingang als sogenannter
Schulterbogen zu erkennen. Beleuchtet
wurde der Raum fast ausschließlich von der
Südseite her, im Langhaus durch vier große
Fenster, nach oben hin in der Form eines
Kleeblatt- bzw. einfachen Fächerbogens ab-
schließend. Nur im vordersten Joch befand
sich ein kleineres Fenster; die drei Fenster
des Presbyteriums waren ebenfalls klein
und hoch angesetzt. Ein kleines Fenster lag
über dem Haupteingang der Westseite. Auf
der Nordseite waren die Sakristei und der
Turm an das Kirchenschiff angebaut. Die-
ser trug nach den erhaltenen Abbildungen
ein Satteldach und nicht die übliche Form
eines gotischen Spitzhelms wie z. B. die
nahe gelegene Karmelitenkirche.
Mesner und Wächter zu St. Johann
Zur Betreuung der St. Johannes-Kirche
wurde von Seiten der Stadt Lienz ein eige-
ner Mesner bestellt. Ihm stand ein Haus an
der Nordseite des Platzes zur Verfügung.
Seit ca. 1570 sind die Mesner fast durch-
gehend bekannt.
Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun-
derts gab es für St. Johann neben der Funk-
tion als Gebetsraum eine weitere Aufgabe:
Der Turm wurde nun als „Stadtturm“ ge-
nutzt, und zwar für die Feuerwache. Wenn
wohl schon früher eingeführt, ist erstmals
am 14. Dezember 1574 im städtischen Rats-
protokoll von einem Nachtwächter die
Rede: Ein gewisser Leonhard Lessacher
von der Rotte Rindermarkt erhielt vom Rat
der Stadt das Mesneramt von St. Johann
und auch die Wacht auf dem Kirchturm
übertragen. Vom hohen Turm aus, überdies
in ziemlich zentraler Lage, hatte ein Wäch-
Siegel des Erzbischofs Benedictus an der
Weiheurkunde für die Pfarrkirche St.
Andrä vom 8. Oktober 1457. Das Siegel
des Weihebriefs für St. Johann ist verloren
gegangen. (Lienz, Pfarrarchiv St. Andrä,
XX.34)
Foto: M. Pizzinini
Weihebrief der St. Johannes-Kirche, ausgestellt von Benedikt Siebenhirter, Titular-Erz-
bischof von Tiberias; Lienz, 7. Oktober 1457 (Lienz, Pfarrarchiv St. Andrä, XX.33)
Foto: M. Pizzinini
Lienz. Johannesplatz, um 1928, Blick auf das ehemalige Mesnerhaus von St. Johann, das
bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als solches diente. (Fotosammlung Meinrad Pizzinini)
Foto: Franz Baumann