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Aus dunkler Tiefe. Die Darstellung
von Podest und Kopf versteht sich als
transformierende Einheit der Verinner-
lichung. Die 80 cm hohe Bronze ist eine
Arbeit aus dem Jahr 2007.
Impressionen vom Steinbruch
St. Margarethen, festgehalten auf einer
Ölskizze (24 x 30 cm), 1978.
Foto: M. Pizzinini
OSTTIROLER
NUMMER 9/2008
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HEIMATBLÄTTER
nämlich Bildhauer zu werden – mit 13 Jah-
ren brach er sich beim Skifahren das Bein
und musste folglich längere Zeit im Bett
verbringen. Ein Mädchen aus der Nachbar-
schaft versorgte ihn gegen die Langeweile
mit Abenteuergeschichten und Heimatroma-
nen. Aber, Leonard Lorenz beschreibt rück-
blickend jenen Augenblick, als er die nicht
mehr eruierbare Geschichte über einen Süd-
tiroler Bildhauer las, als eindringliches
Schlüsselerlebnis, als eine endlich stattge-
fundene Formulierung jenes Kernwunsches
– die ersten Schnitzmesser erwarb er sich
schließlich mit dem Geld vom Schafe hüten,
und seinen Eltern bewies er als 14-Jähriger
mit einer traditionellen Christusdarstellung
die erste Stufe einer sehr unpathetischen
Entwicklung. Im Übrigen bezieht sich die
Namensgebung des Künstlers einerseits auf
seinen früheren Vornamen und andererseits
auf den abgeänderten Vornamen seines
Großvaters Leonhard – den Familiennamen
Wendlinger hat Leonard Lorenz definitiv
seit 1983 abgelegt. Die Arbeiten des Kunst-
schaffenden sind im Grunde genommen in
fortlaufender Repräsentanz das Ergebnis
einer unabdingbaren Innenkehr mit dem ge-
nauso vehementenWillen zur Strukturierung
von unfassbaren Bedingungen. Für Leonard
Lorenz charakterisiert das Ziel nicht das
Ende des Weges, sondern erfüllt sich als
Konsequenz des Erlebens! Rudolf Arnheim
schreibt 1971 am Ende des Kapitels „Das
Verlangen nach Struktur“ in gleichnishafter
Weise: „(...) Dazu ist jedoch zu sagen, dass
die Kunst nicht dazu da ist, den Strom des
Lebens zu dämmen. Die Kunst begrenzt die
Sicht des menschlichen Daseins immer nur
innerhalb einer bestimmten Zeit- und
Raumspanne im Einzelwerk – und darüber
hinaus gibt sie uns manchmal die Stufen der
Begebenheiten, so wie einer, der die dunkle
Wendeltreppe eines mittelalterlichen Turms
hinanklimmt, sich ab und zu mit einem
Blick durch die Fensterchen vergewissert,
dass die Sicht sich ändert und er also immer-
hin etwas vor sich bringt.“
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Die Bildhauerschule in Elbigenalp und
die Akademie in München
Überzeugung und die Kompromissbereit-
schaft der Eltern gestatteten Leonard Lorenz
ab 1964 bis 1968 die staatliche Bildhauer-
schule in Elbigenalp bei Rudolf Geisler-
Moroder zu besuchen. Der Kompromiss be-
stand darin, dass der junge Mann nur in den
Wintermonaten bis zum Frühjahr an der
Schule war und die restliche Jahreszeit dem-
entsprechend zu Hause am Hof arbeitete.
„Die Finanzierung der Schule war alles an-
dere als einfach – in den Sommermonaten
arbeitete ich am Tag am Feld und schnitzte in
der Nacht. Meine Werkstatt war der 15 m
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große Pferdestall, in dem ich interessierten
Besuchern meine Werke zum Kauf anbot ...“
In markanter Erinnerung blieb Lorenz in die-
ser Phase seiner Ausbildung zum Bildhauer,
in der vor allem die Grundlagen fundierter
Handwerkstradition absolute Priorität hatte,
sein spärlich zu realisierendes Bedürfnis
nach Entwurfsfreiheit und Abstrahierungs-
tendenzen und
„das dementsprechende
Diktat des barocken Schnitzens“.
Die Darstellung eines „Christus am
Kreuz“ für die 1971 errichtete Totenkapelle
der Pfarrkirche in Tristach bedeutete für den
23-Jährigen erstmals nach der Gesellenprü-
fung 1968 öffentlich die Ebene konformer
Muster zu verlassen und die Freiheit der
vielleicht auch provokanten Form nicht nur
auf jeweilige Interpretationsvarianten zu be-
lassen. Nur der Kreuzstamm hält den der-
ben, vornüber hängenden Korpus, dessen
nach oben und seitlich ausgestreckte Arme
einem angedachten Querbalken folgen.
Die Entscheidung, nach Elbigenalp die
Ausbildung an einer Akademie fortzusetzen,
war für Leonard Lorenz eine weitere von
Überzeugung und Beständigkeit begleitete
Herausforderung. Zum einen galt es für ihn
als Verpflichtung seinen Eltern gegenüber, in
der Anbau- und Erntezeit in Tristach die
Landwirtschaft zu betreiben, und zum ande-
ren bedeutete der Besuch einer Akademie
eine weitere finanzielle Misere, der er mit
dem routinierten Verkauf seiner Werke ent-
gegen steuern konnte.
Im Mai 1970 bestand er die Aufnahme-
prüfung an die Akademie der Bildenden
Künste in München und besuchte ab dem
Wintersemester 1970 für kurze Zeit die an
den Stil von Fritz Wotruba angelehnte
Klasse von Prof. Georg Brenninger (1909
bis 1988). Der Zugang zur Hochschule
zeichnete sich für den jungen Künstler als
„unglaubliche Revolution ab, die mich
durch den uneingeschränkten Zugang zu
Wissen und Disziplinen sprachlos machte“.
Unter anderem vertiefte sich Lorenz in die
analytisch philosophischen Texte des polni-
schen Philosophen und Logikers Joseph
Maria Bochenski
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, in denen der 22-Jährige
die Erkenntnis der eigenen Möglichkeiten
des Geisteslebens aufgerollt und durchaus
auch reflektiert sah. Leonard Lorenz traf die
Entscheidung, sich als Bildhauer einer
neuen Formgebung hinwenden zu wollen,
dem Wegnehmen das Hinzufügen voran-
zustellen und den Raum für Plastizität und
Volumen zu erforschen. Eine treffende und
sinnübergreifende Aussage trafen 1967 die
britischen Modernisten William Tucker
und Tim Scott: „Die herkömmlichen Gren-
zen der Skulptur, Nachahmung und Mate-
rial, leisten keinen Widerstand mehr. Jetzt
muss der Bildhauer für alles, was er tut, die
Verantwortung übernehmen. Selbst die
stofflichen Eigenschaften der Materie sind
nicht länger inhärent – sie werden vom Bild-
hauer bestimmt. (...)“
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Nach dem baldigen
Wechsel in die Bildhauerklasse von Prof.
Hans Ladner (1930 bis 2001) schloss Lorenz
die Akademie 1976 als Meisterschüler mit
dem Diplom ab.
„Eine gute Plastik kann
man nicht mit dem Kopf konstruieren – Na-
turstudien sind wichtig, aber ich habe erst
später damit begonnen, den Menschen in
seiner abstrakten Dimension zu begreifen –
und dann aus der abstrakten Dimension
wieder zurück zur Natur zu kommen; folg-
lich begreift man die Natur nur über die