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NUMMER 9/2008
75. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Leonard
Lorenz, hier
im Sommer
2008 in seinem
Domizil in
Tristach, lebt
und arbeitet in
Neufahrn im
Landkreis
München.
Weiblicher
Torso, eine
Bronzearbeit
von 2002 – ein
Motiv, das den
Künstler
bereits über
Jahrzehnte
hinweg in
alternierender
Formgebung
begleitet.
Warum erlebt man immer wieder beim
Anblick von Kunstwerken Momente der
eigenen Verunsicherung mit dem beinahe
unbewussten Zwang zuzuordnen, einzu-
stufen und abzuschätzen? Warum erlauben
uns sichtbare künstlerische Artikulationen
unsere Empfindungen so immanent zu be-
einflussen? Der Aussagewert bzw. das
Potenzial einer künstlerischen Arbeit, wel-
cher Ausformung und Dimension auch
immer, bedingt unsere Aufmerksamkeit tat-
sächlich zwischen jener als aufdringlich er-
kannten Unbalance und einem rhythmischen
Ordnungsprinzip zu separieren. Wassily
Kandinsky beschäftigte sich in seinem 1910
fertig gestellten Manuskript zur kunsttheore-
tischen Abhandlung „Über das Geistige in der
Kunst“ zwar insbesondere mit der Malerei –
jener prolongierte Kanon ist aber durchaus
allgemeiner vernetzbar! „Die Form im enge-
ren Sinn ist jedenfalls nichts weiter, wie die
Abgrenzung einer Fläche von der anderen.
Dies ist die Bezeichnung im Äußeren. Da
aber alles Äußere auch unbedingt Inneres in
sich birgt, so hat auch jede Form ihren
Inhalt. Die Form ist also die Äußerung des
inneren Inhaltes ...“
1
Nun, jene tendenzielle
Feststellung, die unabhängig vom jeweiligen
Zeitgeist, von künstlerischen Strömungen
oder anderen Avancen gültig ist, begreift
man auch in den Arbeiten des Bildhauers
und Malers Leonard Lorenz. Als prinzipiell
für die Gegenwart gültige Aussage be-
schreibt er seine Intention als Kunstschaf-
fender 1986 in einem Ausstellungskatalog
folgend: „Bildhauerei ist die Verdichtung
einer Idee in Dimensionen und Proportionen
(...)“, und weiter: „Auslöser bildnerischen
Schaffens ist die Idee. Ohne die Notwendig-
keit seitenlanger Erklärungen sollte ein
Kunstwerk (...) dem Betrachter als Auslöser
für eigene Erkenntnisse und Assoziationen
dienen.“
2
Leonard Lorenz wurde am 28. Feber 1948
in seinem Elternhaus in Tristach geboren,
das Teil einer sehr kleinen und kaum ertrag-
reichen Landwirtschaft war. Heute lebt er
mit seiner Frau Andrea, einer Geigerin beim
Kammerorchester München, und seinem
Sohn in Neufahrn bei Schäftlarn, Nähe
Starnberger See. Das Erwachsenwerden ge-
staltete sich nicht nur aus dem jugendlichen
Augenblick heraus als sehr karges und
arbeitsreiches Leben, das von außen keine
Inkonsequenz zuließ.
„Meine Eltern, die
einander über alles wertschätzten, waren
davon überzeugt, dass einer von ihren bei-
den Söhnen Pfarrer werden und der andere
die Landwirtschaft übernehmen sollte ...“
3
Lorenz‘ älterer Bruder Friedrich Wendlin-
ger studierte schließlich Mathematik an der
Technischen Universität Wien und war bis
zu seiner Pensionierung in führender Posi-
tion bei Siemens in München tätig. Jene auf-
oktroyierte, anscheinend kaum zu überwin-
dende Lebensvorlage bedeutete für den
Jugendlichen aber auch, mit aller Nachhal-
tigkeit seine Ideale und Zielvorstellungen
nicht nur als Parallelwelt im Kopf für seine
Zukunft ausleben zu können. Die Faszina-
tion von Farb- und Symbolimpulsen der
Kindheitserinnerung verdichteten sich bei
Leonard Lorenz eigentlich durch einen Zu-
fall zu jener konkreten Berufssehnsucht,
Eleonora Bliem-Scolari
Leonard LORENZ – Bildhauer und Maler
Positionen einer Innenschau