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OSTTIROLER
NUMMER 10/2008
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HEIMATBLÄTTER
derten der Magie den Boden entzogen, die
Welt „entzaubert“.
Magie hatte immer zwei Seiten, zwei Ge-
sichter, die jedoch ineinander fließen
konnten. Der gelehrte Magier oder der Zau-
berer aus dem einfachen Volk vermochte,
so der Glaube, mit seinen „Künsten“ den
Menschen zu helfen, sie zu heilen, aber
ihnen auch zu schaden. Letzteres wurde im
Gegensatz zur „weißen“ als „schwarze“
Magie oder Schadenzauber begriffen (und
war unter Strafe gestellt), gegen die besten-
falls ein „Gegenzauber“ half. Gefährliche
Zeiten zogen für die Volksmagie, welche
die Kirche bis dahin als unsinnigen Aber-
glauben abgetan hatte, im späten Mittel-
alter herauf. Die Kirche führte einen blutigen
Kampf gegen die Glaubensabweichler, die
Ketzer und Häretiker, und verbrannte sie
auf dem Scheiterhaufen. Zugleich ver-
strickte sich die Theologie in die Dämono-
logie, wodurch der Teufel und seine Heer-
scharen ins Spiel gebracht wurden: Der
Teufel, die Inkarnation des Bösen, der
ewige Widersacher Gottes und der Chris-
tenheit, mische sich leibhaftig, wenn auch
in vielerlei Gestalt, unter die Menschen und
suche sie für sich zu gewinnen und zu ver-
führen. Magische Kräfte können nur des
Teufels sein. Es wurde die fürchterliche
Gleichung aufgetan: Zauberer = Hexe =
Häretiker. Im späten 15. Jahrhundert war
die aus traditioneller Magie, Dämonologie
und Häresie gespeiste „Hexerei“ auf den
Begriff gebracht, angesehen als ärgste Tod-
sünde, gewertet dem weltlichen Verständnis
nach als Kapitalverbrechen, das mit dem
Tod durch Verbrennen bedroht war. Dem
ganzen Umfang nach hatte der Straftat-
bestand Hexerei folgende Straftaten zum
Inhalt: in erster Linie den Pakt mit dem
Teufel, weiters den Geschlechtsverkehr mit
Dämonen (Teufelsbuhlschaft), den Flug
durch die Luft (Hexen-, Nacht- oder Un-
holdenflug), den Besuch großer Hexenver-
sammlungen (Hexensabbat und Hexentanz)
sowie den Schadenzauber. (Drei dieser
Delikte – den Teufelspakt, den Hexenflug
und den Schadenzauber – werden wir im
konkreten Fall noch kennen lernen.)
Gerade die Vorstellung des Hexensabbats
als Massenorgie stellte sich während der
Hexenverfolgungen in der Rechtspraxis als
äußerst verhängnisvoll heraus. Vor Gericht
und während der Folter wurden die ange-
klagten Hexen befragt, wen sie auf diesen
geheimen Veranstaltungen, wo dem Teufel
gehuldigt wurde, gesehen hatten. Diese Art
der Befragung, bei der viele Namen weite-
rer Hexen herauspresst wurden, konnte eine
zu Massenvernichtungen führende Ketten-
reaktion auslösen. Das damals übliche und
gesetzlich abgedeckte Vorgehen der Straf-
justiz bei Kapitalverbrechen erwies sich bei
Hexenprozessen als besonders problema-
tisch. Mangels anderer Beweismittel wur-
den Angeklagte allein auf Grundlage ihres
Geständnisses ihrer Missetaten überführt
und verurteilt. Um ein „wahres“ Geständnis
zu erreichen, durfte die peinliche Befra-
gung, ein Verhör unter Folter, eingesetzt
werden. Unter wilden Schmerzen und psy-
chischem Stress gestanden die Gequälten
alles, was das Gericht zu hören wünschte.
Durch eine Kombination von Suggestivfra-
gen und Folter, in Hexenprozessen ange-
sichts der Schwere der Verbrechen häufig
exzessiv angewandt, wurden Geständnisse
förmlich erpresst. Die Angeklagten gestan-
den Taten, die sie niemals begangen hatten.
Das Paradoxe angesichts dieser Justizpraxis
ist, dass das Delikt Hexerei in den wenigs-
ten staatlichen Strafgesetzbüchern veran-
kert gewesen ist. Die Tirolischen Landes-
ordnungen zum Beispiel, in denen im 16.
Jahrhundert für die Grafschaft Tirol das
maßgebliche Zivil- und Strafrecht normiert
worden ist, kannten die Zauberei als Straf-
delikt nicht, geschweige denn die Hexerei.
Das Zeitalter, in dem in Europa Hexen-
prozesse legalisiert waren und Zauberer
und Hexen weithin systematisch verfolgt
wurden, ist in etwa zwischen 1430 und
1780 einzugrenzen. Seriöse Schätzungen
gehen davon aus, dass in genanntem Zeit-
raum europaweit rund 50.000 Personen
wegen Hexerei hingerichtet worden sind,
darunter 70 bis 80 Prozent Frauen. Doch
während dieser 350 Jahre fanden nicht
überall und immerfort Hexenprozesse statt.
Trotz ähnlicher Verfolgungsmuster gab es
regionale und zeitliche Unterschiede. Die
Verfolgungsspitzen lagen im späten 16. und
frühen 17. Jahrhundert, da und dort mit
zeitlichen Verschiebungen. Es finden sich
durchaus Regionen, die so gut wie keine
Hexenverfolgungen kannten, neben Regio-
nen, wo sich der Hexenwahn austobte. An-
fällig für Hexenjagden und Massenexeku-
tionen waren vornehmlich kleinstaatliche
Gebilde, weil dort Hysterie und Pogrom-
stimmung in der Bevölkerung sowie Fana-
tismus auf Seiten der Obrigkeit leichter in
die Bereitschaft umschlugen, die allerorts
vermuteten Hexen auszuspüren und gna-
denlos zu verfolgen. Generell stand die He-
xenverfolgung mit allen möglichen Krisen
in Beziehung. Langjährige Missernten, Epi-
demien, religiöse und soziale Spannungen
schürten die latent vorhandenen Ängste, die
in Aggression umschlagen konnten gegen
Juden, Bettelvolk und eben auch Hexen.
Tirol war, und das wird manche Leser
vielleicht überraschen, keine Hochburg der
Hexenverfolgung, es zählte in dieser Hin-
sicht zu den moderaten Zonen. Das
Thema Hexenverfolgung ist durch Hans-
jörg Rabanser
1
und andere Autoren einge-
hend erforscht worden. Man weiß daher
von rund 240 Strafverfahren und Prozes-
sen, die in der Grafschaft Tirol gegen Zau-
berer und Hexen eingeleitet und geführt
worden sind; betroffen war ein Personen-
kreis von rund 420 Frauen und Männern.
Der letzte Hexenprozess in Tirol, der mit
einem Todesurteil endete, fand 1722 statt.
Auf dem Scheiterhaufen starb ein Jugend-
licher namens Sebastian Auracher. Nach-
weislich zum Tode verurteilt und hinge-
richtet wurden 72 Personen, 38 Frauen und
34 Männer. Auf dem Gebiet des heutigen
Osttirol wurden wegen Zauberei und
Hexerei 14 Strafverfahren eingeleitet,
das erste 1542, das letzte 1726. Zum Tode
verurteilt und hingerichtet wurden vom
Landgericht Heinfels und vom Land-
gericht Lienz zwischen 1615 und 1681
sieben Menschen, darunter 1680 in Lienz
Emerantia Pichler und zwei ihrer Kinder.
In den Verdacht der Zauberei zu geraten
war gefährlich, das sollte Andrä Kammer-
lander am eigenen Leib zu verspüren
bekommen. Er wurde am 2. Mai 1588 in
Lienz wegen Verdacht auf Inzicht (Verbre-
chen), Diebstahl, Zauberei, Wahr- und
Weissagen vom Stadtrichter verhaftet und
sogleich dem Landrichter überstellt, der
ihn auf Schloss Bruck als Untersuchungs-
häftling einkerkern ließ. Kammerlander
verstand die Welt nicht mehr. Zwar hatten
ihn bereits vor längerer Zeit ihm wohl ge-
sonnene Leute gewarnt, der Obrigkeit sei
zugetragen worden, er, Kammerlander,
verzaubere und verhexe den Menschen das
Vieh, weil er unter dem Hemd an der Brust
einen „grünen“ (ungeselchten) Schweins-
fuß mit sich trage, der offensichtlich als
Abzeichen eines Schadenzauberers gedeu-
tet wurde. Kammerlander war sich keiner
Schuld bewusst: Der Schweinsfuß, den er
seit einen halben Jahr mit sich führe und
den ihm eine Stribacher Bäuerin geschenkt
habe, sei ein geselchter.
Es half nichts, Kammerlander war in die
Mühlen der Justiz geraten. Er wurde an
mehreren Tagen im Mai verhört, wobei
auch die Folter eingesetzt wurde:
„Guetig
und peinlich, mit und ohne Marter“.
Am
20. Juni 1588, nachdem er kurz vorher
einem Priester seine Sünden gebeichtet
und diese bereut hatte, bestätigte Andrä
Kammerlander durch Eid vor dem Land-
gerichtschreiber Georg Hebenstreit, der
den Landrichter vertrat, und drei Gerichts-
geschworenen sein Geständnis.
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In dieser
„Urgicht“ werden vordringlich die Straf-
taten aufgezählt, die der Angeklagte be-
gangen zu haben eingesteht. Ansonsten
erfahren wir aus diesem Geständnis nur,
dass Kammerlander 80 Jahre alt ist, aus
Oberdorf, einer Ortschaft, die damals wie
heute zu Thurn gehört, stammt, verwitwet
und ein Bauer auf dem Altenteil ist.
Abseits der Urgicht sind nur wenige
Quellen vorhanden, die es gestatten, den
biographischen Hintergrund Kammerlan-
ders etwas auszuleuchten. Über Jahrzehnte
bewirtschaftete der um das Jahr 1508 ge-
borene Andrä den Kammerlanderhof in
Oberdorf, der als Grundherrschaft dem
Kloster Ossiach in Kärnten unterworfen
war. Dieses Kloster hatte im Raum Lienz
recht ansehnlichen Besitz, daher unterhielt
es zu dessen Verwaltung in Grafendorf
einen Amtmann, der uns gleich begegnen
wird. In Thurn gab es bereits im 16. Jahr-
hundert einen weiteren Kammerlanderhof,
gleichfalls dem Kloster Ossiach als Grund-
herrschaft zugehörig. Vor Zeiten muss
daher ein größerer Hof geteilt worden sein.
Ob die beiden Bauernfamilien, die sich
nach dem Hofnamen jeweils Kammerlan-
der schrieben, miteinander verwandt gewe-
sen sind, lässt sich nicht mehr eruieren.
Dem Umstand, dass sich Andrä Kammer-
lander Zorres mit seiner Grundherrschaft,
dem Kloster Ossiach, einhandelte, verdan-
ken wir wichtige Informationen und eine
interessante Geschichte. 1576 marschierte
Heinrich Fullenstein, ossiachischer Amt-
mann in Grafendorf, vor das Landgericht
Lienz und brachte die Klage ein, Andrä
Kammerlander habe ohne Wissen und
Zustimmung der Grundherrschaft den Hof
an seinen Sohn Hans übergeben. Fullenstein
drohte, ihm deswegen den Hof zu entzie-
hen. Aufgeflogen war diese heimliche Hof-
übergabe, weil besagter Sohn Hans, der be-