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NUMMER 10/2008
76. JAHRGANG
OSTTIROLER
HEIMATBLÄTTER
H e i m a t k u n d l i c h e B e i l a g e d e s „ O s t t i r o l e r B o t e “
Im 19. Jahrhundert erwachte – die blutige
Verfolgung der Hexen war längst Ge-
schichte – das Interesse an dem Thema
„Hexen“, ein Interesse, das bis heute unge-
brochen ist. Die wissenschaftliche For-
schung begab sich auf die Spurensuche die-
ses schwer erklärbaren Phänomens, ein
breites Lesepublikum delektierte sich an
den schaurig-finsteren Erzählungen über
die Hexen und ihre Verfolger. Die Literatur
über dieses Thema füllt ganze Bibliothe-
ken, und trotzdem schwirren noch immer
falsche und schiefe Vorstellungen über die
Hexenverfolgung umher. Fälschlich wird
sie dem Mittelalter zugeordnet, obwohl ihr
zeitlicher Schwerpunkt in der Frühen
Neuzeit liegt. Kolportiert wurden und wer-
den absurde Zahlen, von neun Millionen
Opfern der Hexenverfolgung in Europa ist
die Rede. Oft wird die Hexenverfolgung
durch eine ideologisch getönte Brille ge-
sehen, ihre Ursachen gar zu einseitig erklärt
und als alleinige Schuldige werden die
Kirche (vornehmlich die katholische), der
Staat oder eine patriarchalische, jedenfalls
frauenfeindliche Gesellschaft angeprangert.
Da ist es nicht weit zu kühnen und durch
die Tatsachen widerlegten Behauptungen,
die Kirche habe in Allianz mit weltlichen
Mächten imVerborgenen blühende papagene
(heidnische) Fruchtbarkeits- und Hexen-
kulte auslöschen wollen oder den heil-
kundigen („weisen“) und selbstbewussten
Frauen den Kampf angesagt.
Seit jeher bewegt die Menschen die noch
immer aktuelle Frage: Woher kommen die
Leiden und die Übel dieser Welt. Sind sie
geschickt von Gott, der die Menschen prü-
fen oder für ihre Sünden bestrafen will?
Oder sind gar „böse“ Kräfte amWerk? So
oder so, das waren die Antworten einer
christlichen Gemeinschaft, der rationales
und naturwissenschaftliches Denken
fremd war. Magisches Denken und Han-
deln, fußend auf der Überzeugung, mit
Wilfried Beimrohr
Unter dem Verdacht der Hexerei
und Zauberei: Andrä Kammerlander
aus dem Oberdorf in Thurn
Erste Seite aus
der „Urgicht“
(Geständnis):
„Zuvermerkhen
menigclichen,
die Handlung.
Vrgicht vnd
bekhendtnus,
Anndreen
Camerlanders
von oberdorf
Landtgerichts
Luennz“, er-
halten im Tiroler
Landesarchiv
in Innsbruck. –
Auf einer Seite
ist auch von der
Zauberei des
Kammerlander
die Rede.
Fotos: Tiroler
Landesarchiv
Hilfe übernatürlicher Kräfte und Zauberei
etwas bewirken und beeinflussen zu kön-
nen, ist uralt und in allen Kulturen verbrei-
tet. An die Macht der Magie glaubten
breite Bevölkerungsschichten, magische
Praktiken wurden allerorts stark nachge-
fragt, halfen sie doch neben dem Heilsan-
gebot der Kirche die Fährnisse und Unab-
wägbarkeiten des Lebens zu meistern. Erst
der Siegeszug der Wissenschaft und der
Technik hat in den letzten zwei Jahrhun-