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OSTTIROLER
NUMMER 10/2008
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HEIMATBLÄTTER
reits verheiratet war und eine kleine Toch-
ter hatte, auf der Flucht vor der Justiz unter-
getaucht war. Er soll eine
„mortliche Miss-
handlung“
, einen Mord oder zumindest
einen Totschlag, begangen haben. Die bei-
den Streitparteien, Fullenstein und Andrä
Kammerlander, einigten sich, dass einer der
beiden anderen erwachsenen Söhne des
Andrä den Hof übernehme und der Grund-
herrschaft die noch schuldigen Grund-
zinsen und die bei Besitzwechsel übliche
„Ehrung“, alles in allem 100 Gulden, be-
zahlen sollte. Bald darauf übernahm Sohn
Mathes (Mathias) den Hof.
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Verheiratet war
Andrä Kammerlander mit Magdalena
Grebitschitscher, aus der Ehe waren sieben
Kinder hervorgegangen: die Söhne Hans
(erster Hoferbe und „Totschläger“, der ver-
schollen blieb), Mathias (der Hoferbe),
Wolfgang, Andreas, Georg und Gregor
sowie die Tochter Uliana.
Man hätte meinen können, Andrä Kam-
merlander wäre damit ausgelastet gewe-
sen, seinen Hof ordentlich zu bewirtschaf-
ten und seine vielköpfige Familie zu er-
nähren. Während er sich herumtrieb und
zwielichtigen Geschäften nachging, hielt
die Frau – so ist anzunehmen – den Hof
zusammen. Der alte Mann war Zeit seines
Lebens ein Tunichtgut, Gelegenheitsdieb,
Raufbold und Säufer, der sich nebenbei
mit magischen Praktiken Geld verdiente,
das sogleich in Alkohol umgesetzt wurde.
Kammerlander bekannte selbst ein, 27-mal
im Gefängnis eingebuchtet gewesen sein,
mit einer Ausnahme (Windisch-Matrei)
immer in Lienz, und zwar wegen Raufen,
Schlägern, Hurerei und Unzucht,
„da-
durch er in Zeit seines Lebens umb vil kho-
men“.
Alkohol war sein steter Begleiter.
Ihm sei, so steht es an anderer Stelle im
Geständnis,
„von Jugent auf sein Tag mit
Rauffen, Schlagen, Unzuchten, ybrigen
Fressen und Trinkhen, sonderlich mit
Weintrinckhen voll gewest“.
Kammerlander gestand vor Gericht über
ein Dutzend Diebstähle. Aber der Klein-
und Gelegenheitsdieb, der in unbeobachte-
ten Momenten Hennen, Handschuhe, Stie-
fel, Kleingeld und Getreidegarben mitgehen
ließ, soll uns hier nicht weiter beschäftigen.
Vertraut war Kammerlander mit allerlei
magischen Praktiken. Eingewiesen in diese
hatte ihn vor vielen Jahrzehnten ein gewis-
ser Johann Sieberer aus dem Rindermarkt in
Lienz. Vor allem bot Kammerlander als
Weissager seine Dienste an. Aus der Hand
und aus dem Hut las er den Leuten ihre Zu-
kunft heraus. Dabei habe er, räumte Kam-
merlander freimütig ein, danach getrachtet,
seinen Kunden stets das zu prophezeien,
„was sie gern gehört haben und (habe)
damit zu Zeit seinen Trunk davon bekom-
men“.
Auch beherrschte und praktizierte
Kammerlander das „Vermainen“ oder „Be-
schreien“, nämlich durch Beschwörungen
Menschen und Vieh wieder gesund zu ma-
chen. Er verstand sich auch darin, junge und
alte Leute, die von der Krankheit
„Pillmu-
sen“
(vermutlich eine Gemütskrankheit)
heimgesucht worden waren, zu heilen. War
über einem Hausstand das Glück verloren
gegangen, er konnte es wieder zurückholen.
Ebenso vermochte er in Liebesdingen aus-
zuhelfen. War eine Ehe durch Seitensprünge
bedroht, er vertrieb die Nebenbuhlerin oder
den Nebenbuhler, um das Eheglück wieder
herzustellen. Er sorgte mittels Zaubersprü-
chen dafür, dass sein Kunde, der etwa ein
Pferd oder eine Kuh zu verkaufen hatte, die-
ses möglichst teuer auf dem Markt losschla-
gen konnte. Kammerlander kannte Zauber-
sprüche, die halfen, dass einem die Feinde
oder die Obrigkeit nichts anhaben konnten.
Vom Schadenzauber wollte Kammerlander
nichts wissen: Das zumVerkauf anstehende
Ross eines Pfarrers zu verzaubern, so dass
es lahme und daher zu einem billigeren
Preis für den Käufer hergehe, solches habe
er nie getan. Ansonsten aber die erwähnten
magischen Praktiken
„villen Leuten vill und
offtmals, darmit er immerzue sein Drunckh
hinaus bracht, geraten, gelernt, auch selbs
than“.
Solche Praktiken, wie sie Kammer-
lander kurz anreißt, waren damals weit ver-
breitet und von der ländlichen Bevölkerung
stark nachgefragt, sie waren in Verruf, aber
nicht offen kriminalisiert.
Durch den Nikolaus Hofer aus Glanz,
das lag schon viele Jahrzehnte zurück,
wurde Andrä Kammerlander auf gefähr-
licheres Terrain geführt. Mit dem Hofer
war Kammerlander weitschichtig verwandt,
Hofer hatte ein Tante („Muhme“) von ihm
geheiratet. Im Schlepptau dieses Hofers,
der laut Kammerlanders Angaben vor etwa
15 Jahren verstorben war, befanden sich
drei Frauen: die Vell Moser aus Oberlienz,
die Anna Gantschnig, Ehefrau des Georg
Gantschnig, und die Schneiderin, deren
Vorname Kammerlander entfallen war,
ebenfalls verheiratet und in Dölsach lebend.
Mit Hofer und diesen Frauen unternahm
Kammerlander ausgiebige Zechtouren.
Hofer brachte ihm das „Viehsaugen“ und
den „Hexenflug“ oder „Unholdenflug“ bei.
Beim ersten Viehsaugen begnügte sich
Kammerlander mit der Rolle des Zuschau-
ers. Nach einem Gelage beim Gasserwirt in
Oberlienz führten ihm Hofer und die drei
Frauen vor, wie dabei vorzugehen war. Als
Opfer ausersehen ist ein Terz, ein
Jungochse
. „Des der Hoffer bey den Horn
genomen, angespibm, davon es nidergefal-
len, angriffen und auf jeder Seiten zwei
Personen hinzue, unden aus den Hungerle-
chern gesaugt.“
Erst beim zweiten Mal,
diesmal in Ainet, war Kammerlander beim
Viehsaugen erfolgreich, nachdem ihm der
Hofer einen Spruch hatte nachsagen lassen,
worin die Unholden und bösen Geister an-
gerufen wurden. In den nächsten Jahrzehn-
ten ist Kammerlander bei sieben, acht der-
artigen Aktionen aktiv beteiligt, immer in
Begleitung des Hofers und zumindest einer
der drei Frauen, in Thurn, Grafendorf, Stri-
bach, Dölsach, Oberlienz und sogar in St.
Johann (Mayr im Wald). Dieses Viehsau-
gen, getrunken wurde das Blut, auch vom
Fressen oder Verzehren des Viehs ist die
Rede, fand stets an einem Erchtag, einem
Dienstag, statt und zwar bei anbrechender
Dämmerung oder in der Nacht
(„zwischen
Lichten oder gar bey der Nacht“).
Das „ge-
gessene“ Vieh habe, so Kammerlander, nie
länger als ein halbes Jahr gelebt, es sei zu
und zu ausgedörrt, bevor es verendete.
Kammerlander hatte mitbekommen,
dass der Nikl Hofer durch die Nacht flie-
gen konnte. Auf seine Bitte hin, ihm das
„Fahren“ beizubringen, wies ihn Hofer an,
dazu müsse er Gott verleugnen, und verriet
ihm die Zauberformel. Zwei solcher Fahr-
ten will Kammerlander zusammen mit
dem Hofer miterlebt haben, immer wäh-
rend der Dämmerung und auf einer Back-
ofenschüssel reitend, vor ihm sitzend ein
böser Geist. Das erste Mal ging es von Pa-
triasdorf nach Leisach, das zweite Mal von
Oberlienz nach St. Johann im Walde. Die
Lust am Fliegen war Kammerlander bald
vergangen, denn die Fahrt war derart ge-
schwind, dass es ihm schier den Atem
nahm. Ausdrücklich betonte Kammerlan-
der, niemanden mit diesen Fahrten geschä-
digt zu haben, in einen Keller oder in einen
Kasten sei er niemals hinein gefahren.
(Dahinter steckt die Vorstellung, die Un-
holden würden bei ihren „Luftfahrten“ in
Keller und Getreidekästen eindringen, um
dort die Wein- und Lebensmittelvorräte zu
plündern.)
Es gibt mehrere Darstellungen, wie
Frauen Wetterzauberei vorbereiten; Holz-
schnitt in „De Lamiis et phitonicis mulie-
ribus“ von Ulrich Molitor, 1489.
(Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdi-
nandeum)
Rep.: Meinrad Pizzinini
So stellte man sich den Flug von Hexe und
Hexenmeister zum Sabbat vor; Darstel-
lung in U. Molitors „De Lamiis et phitoni-
cis mulieribus“, 1489.