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Rache fühlen. Dies ist das Verhalten der
bösen oder wilden Perchtl. (...) Ein Sack-
träger kommt hinter den Spielenden her
und nimmt die in gemeinen Häusern schon
vorgerichtete Gabe in Empfang. (...) Was
immer eingeht, wird dann Ende zu einem
Schmause verwendet, der an einem belie-
bigen Tage unter Tanzmusik gefeiert
wird“
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Dass „Unfromme“ eine „langbe-
wahrte Rache“ erfahren mussten, weist das
beschriebene Perchtenspringen auch als
Rügebrauch aus. Der Aschenschütz war
möglicherweise eine Ordnungsmaske,
ähnlich dem Spritzer bei der Imster Fast-
nacht, der den Zusehern Asche oder Ruß
ins Gesicht schoss. Wichtig scheint der
Sackträger gewesen zu sein. Er hat offen-
sichtlich nicht jene ordnende Aufgabe, wie
die namensgleiche Figur beim Schemen-
laufen, sondern sammelt die erheischten
Gaben. Das Heischen von Lebensmittel,
insbesondere Brot und Krapfen, war offen-
bar wesentlicher Teil des Osttiroler Perch-
tenbrauchs. Ludwig von Hörmann schreibt
1909 darüber: „Gewöhnlich zeigt sie [die
Percht, Anm. KB] sich als ihr Zerrbild die
‚wilde Perchtl‘, ein zerlumptes Weib mit
einer messingen Kuhschelle am Rücken.
In wilden Sätzen springt sie Gassen auf,
Gassen ab und dringt gabensammelnd in
die Häuser mit dem Rufe: Kinder oder
Speck, derweil geh i net weck. Noch toller
geht es dort zu, wo sie mit ihrem Gefolge,
den ‚Perchten‘ erscheint, wie dies vorzüg-
lich in den östlichen Alpengegenden der
Fall ist. (...) In den seltsamsten Vermum-
mungen, mit Tierlarven vor den Gesichtern
und Schellen am Rücken, stürmen sie
unter ohrenbetäubenden Peitschenknallen,
Geschelle und wildem Jauchzen durch die
Dorfgassen. So ist es besonders im Mölltal
und in der Lienzer Gegend.
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Über die Maskierung geben die Quellen
wenig oder nur allgemeine Auskunft.
Hermann Mang berichtet von „hohen
Helmen“ und „bunten Kleidern, mit vielen
farbigen Bändern“ und dass „[g]ar alle
Teilnehmer Masken trugen.
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Einige we-
nige Perchtenmasken aus Osttirol haben
sich Privatsammlungen und Museen
erhalten. In Oberlienz befinden sich
acht Masken, die wohl aus dem 18. Jh.
stammen. Hervorzuheben sind jene zwei,
deren Nasen als Eidechse bzw. als
Salamander geformt sind. Eine weitere
Maske aus Oberlienz liegt sicher verwahrt
im so genannten Wohlgemut Depot des
Stadtmuseums in Bozen. Sie dürfte etwas
jünger sein, ist weiß grundiert, Augen und
Mund sind allerdings rot, der eigenwillig
geschlängelte Schnurrbart und die Augen-
brauen dunkel gefasst. Ähnliche Masken
findet man im ladinischen Fassatal. Spuren
an den Masken beweisen, dass einige der
Oberlienzer Masken einst einen Kopfputz
gehabt haben müssen. Historische Bild-
quellen aus Salzburg zeigen, dass sie wohl
mit den Nordtiroler Schemenmasken ver-
gleichbar gewesen sein müssen. Mögli-
cherweise haben die Krapfenschnaggler
von Dölsach oder Nußdorf die „Schellen-
spitzhaube“
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der Perchten bewahrt. Eine
Fotografie von Brotperchten aus Piesen-
dorf (Salzburg), die der Volkskundler
Richard Wolfram 1915 aufgenommen
hatte, zeigt diesbezüglich auf jeden Fall
erstaunliche Parallelen.
Ebenfalls in Bozen befindet sich eine
Kopie einer vermutlich zwischenzeitig
verloren gegangenen „Schönen Perchte“
aus dem Iseltal mit überaus realistischen
Gesichtszügen. Sie dürfte aus dem späten
19. Jh. stammen. Auffallend ist, dass in
keinen Berichten die Habergeis
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– übli-
cherweise eine treue Begleiterin der Percht
erwähnt wird. Sie, die gewöhnlich als
Tiergestalt mit beweglichem Unterkiefer
dargestellt wird, war ein Todesdämon.
Ihr Schrei sollte den baldigen Tod eines
Menschen ankündigen. Es deutet vieles
darauf hin, dass die zu Allerheiligen für die
Armen Seelen bettelnden Krapfenschnap-
per mit ihr in Verbindung zu bringen sind.
Schließlich erklärte auch der Volkskundler
Leopold Schmid, dass Masken mit beweg-
lichen Unterkiefern, wie sie einst auch
beim Klaubaufgehen in Matrei verwendet
wurden (etwa der „Zedler Glaggler“),
Weiterentwicklungen der verschiedenen
Tiermasken mit schnappenden Kiefern
seien.
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Auch Kehrgestalten, die als Vorhut
mit dem Besen die Stuben säubern, um
Platz zu machen und als solche beim
Perchtenbrauch im hinteren Zillertal heute
noch auftreten, finden keine Erwähnung.
Doch kannte die einstige Brauchvielfalt
in Osttirol auch diese Figuren. Aus
einem Bericht über den Nikolausabend
in St. Justina bei Anras um 1930 kann
man entnehmen: „In einzelnen Fällen
tritt noch ein Platzreiniger auf; ein Mann
in gewöhnlicher Kleidung mit Maske
und Kehrbesen. Er betritt als erster
das Zimmer und fegt mit seinem Besen
den Boden rein.“
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1902 wurde letztmalig in einer größeren
Anstrengung versucht, das Perchtensprin-
gen wieder zu etablieren. Von Anfang an
aber scheint das Vorhaben der Nußdorfer
unter keinem guten Stern gestanden zu
haben: Ein mächtiger Schneefall ver-
hinderte den geplanten Termin. Als der
OSTTIROLER
NUMMER 11-12/2008
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HEIMATBLÄTTER
Brotperchten aus Piesendorf (Salzburg), 1915
Abbildung entnommen aus: Österreichischer Volkskundeatlas, 6. Lieferung, 1979
Krapfenschnaggler beim Mitterkramer Haus (Betreuung durch Christian Lukasser)
Dölsach/Ort 1994.
Foto: Brauchtumsverein Heimürrach