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Umzug schließlich am Faschingsdienstag
durch Lienz zog, konnte man ein buntes
Treiben bestaunen: „Dem fantastischen
Zuge voran eilten zwei Clowns voraus,
welche für die Nachfolgenden Platz mach-
ten, dann kam hinter einem berittenen
Anführer der Zug der „schönen“ Berchten,
zehn Paare, die Hälfte als Ritter mit abson-
derlichen Kopfbedeckungen, die Hälfte als
Edelfräulein der in einem bespannten
Wagen oder Schlitten nachfahrenden
Göttin Berchta gekleidet. Bei den Klängen
der selbst mitgebrachten Musik führten die
Paare (…) einen originellen (…) Reigen
auf. (…) Weitere Gruppen waren jene der
Bärentreiber und der Menagerie sowie ein
Sterzinger-Moos-Waagen, welcher Frauen
(alte und junge) aufnahm, ferner traten eine
Menge Einzelfiguren auf: (…) ein Reiter
mit einem künstlichen Pferde, mit wel-
chem der bunteste Schabernack getrieben
wurde, ein Wunderdoctor (…), Scheren-
schleifer, Marketenderinnen und Wirte.“
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Dieser Beicht zeigt nicht nur, dass unter-
schiedlichste Elemente (insbesondere auch
Motive von Fastnachtsbräuchen) ineinan-
der gegossen wurden, um einen Umzug zu
formen. Es wird außerdem deutlich, dass
der mythologisch durchorganisierte Ablauf
aufgesetzt und theaterhaft wirkt. Tatsäch-
lich gab es Ende des 19. und Anfang des
20. Jh. in Tirol mehrere Versuche, Bräuche
aufbauend auf eine mythologische Inter-
pretation neu zu etablieren. So wurde
beispielsweise das Gratziehen in Vinsch-
gau als mystische Hochzeit zwischen einer
Fangge und dem Wilden Mann inszeniert.
Alle diese Versuche aber mussten schei-
tern, denn es war nicht die Bevölkerung,
die solche Umzüge trugen. Angesichts
des dominanten Klaubaufgehens ist es
solchermaßen mehr als fraglich, ob sich
Frau Percht jemals wieder in Osttirol
völlig heimisch fühlen wird.
Anmerkungen:
1 Plazoller, Josef: Beiträge zur Topographie und Statistik
der Diözese Brixen. In: Osttiroler Heimatblätter, 1. Jg.,
1924, Heft 9, o.S. (nach einem Bericht von 1837).
2 Tiroler Weistümer, 2. Band, Brixen 1374, (Nr. 41), 379.
3 vgl.: Rumpf, Marianne: Perchten. Populäre Glaubens-
gestalten zwischen Mythos und Katechese, Würzburg
1991, 136.
4 Andree-Eysen, Marie: Volkskundliches aus dem
bayrisch-österreichischen Alpengebiet, Braunschweug
1910, 159.
5 Vgl. Bockhorn, Olaf: Vergelt‘s Gott für die armen
Seelen. In: Gapp, Hans (Hg.): Alpenbräuche, Innsbruck
1994, 39-48
6 Zingerle, Sagen aus Tirol, Innsbruck 1890, 24.
7 Alpenburg, Johann Nepomuk, Ritter von: Mythen
und Sagen Tirols, Zürich 1857, 46.
8 Ebda., 20.
9 Heyl, Johan Adolf: Volkssagen aus Tirol, Brixen 1897
(Neuauflage Bozen 1989), 752.
10 Alpenburg, a.a.O., 65.
11 Heyl, a.a.O., 659.
12 vgl. Mang, Herman: Das Perchtenspringen in Ober-
drum vor 60 Jahren, in Osttiroler Heimatblätter,
2. Jg., 1925, Heft 12, 183.
13 TLA, Verfachbuch Landgericht Lienz 1668, f. 4b.
14 TLA, Verfachbuch Landgericht Lienz 1668, f. 35 a.
15 TLA, Verfachbuch Lengberg 1711-1741, f. 45 (28.
Feber)
16 Archiv des Jesuitenkollegs, Annuae (literarae)
Missionis Tyrolensis ab anno 1719 usque annum 1772,
Mskr., p. 264 ff. zit. nach Dörrer, Anton: Tiroler
Fasnacht, Innsbruck 1949, 19.
17 Dörrer, Anton: Tiroler Fastnacht, Innsbruck 1949, 171.
18 Ebda.
19 Ebda. 157.
20 Ebda.
21 vgl.: Schindler, Norbert: Widerspenstige Leute. Studien
zur Volkskultur in der frühen Neuzeit, Frankfurt 1992,
206.
22 Weber, Beda: Das Land Tirol mit einem Anhange
Vorarlberg, Innsbruck 1838. 174.
23 vgl. Zingerle, a.a.O.
24 Nach einer Erzählung von Alois Berger (1884-1965),
mitgeteilt von Eduard Berger (geb. 1934).
25 vgl.: Mang, Hermann: Das Perchtenspringen in
Oberdrum vor 60 Jahren. In: Osttiroler Heimatblätter,
2. Jg., 1925, Heft 12.
26 Ebda 183.
27 Universität Innsbruck, Institut für Europäische Ethno-
logie: Atlas der Deutschen Volkskunde, 046-9-25d, I,
37.
28 Kollreider, Franz: Kalser Chronik, zitiert nach Haider
Friedrich, Tiroler Brauch im Jahreslauf, Innsbruck
1990, 390.
29 vgl. Schuhladen, Hans: Zur Geschichte der Perchten-
bräuche im Berchtesgardner Land, in Tirol und Salz-
burg vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. In: Bayrisches
Jahrbuch für Volkskunde, 1983/84, 1 – 29, hier: 11
30 Dörrer, a.a.O., 194
31 Schuhladen, Hans: Nikolausspiele des Alpenraums,
Innsbruck 1984 (Schlern Schrift 271), 227.
32 Plazoller, Josef: Beiträge zur Topographie und Statistik
der Diözese Brixen. In: Osttiroler Heimatblätter,
1. Jg., 1924, Heft 9/10, o.S.
33 Hörmann, Ludwig von: Tiroler Volksleben, Stuttgart
1909 (Reprint: Bozen 1995), 245-246.
34 Mang, a.a.O., 183.
35 Weber, Beda: Das Land Tirol, a.a.O., 174.
36 Habergeis ist vom lat. Wort caper, aus dem im Mhd.
haber wird und so viel wie Bock bedeutet, abzuleiten.
37 Schmidt, Leopold: Perchtenmasken in Österreich,
Graz 1972, 32.
38 Universität Innsbruck, Institut für Europäische Ethno-
logie, Atlas der Deutschen Volkskunde, 046-17-13d, III,
107c.
39 Lienzer Zeitung, 17. Jhg., 1902, Nr. 7 (15.2.1902), o.S.
OSTTIROLER
NUMMER 11-12/2008
8
HEIMATBLÄTTER
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
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Anschrift des Autors dieser Nummer: Mag.
Karl C. Berger, Tiroler Volkskunstmuseum,
Tiroler Landesmuseen Betriebsgesellschaft
m.b.H., Universitätsstraße 2, 6020 Innsbruck.
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ter“ sind einzusenden an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Schönperchtenpaar auf dem Herbstfest in Nußdorf.
Foto: M. Ortner, 2008