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OSTTIROLER
NUMMER 3-5/2009
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HEIMATBLÄTTER
zelnen Häuser durch Zinnen- und Mantel-
mauern eingefasst werden, wodurch das
Übergreifen des Feuers von unten auf das
Dach oder auf die Dächer der Nachbarhäu-
ser erschwert wurde. Auch die Kamine der
Wohnhäuser machte die erwähnte Feuerord-
nung als potenzielle Gefahrenquelle aus und
schrieb vor, dass die Schornsteine gemauert
und eine bestimmte Höhe haben mussten.
Aus ihnen züngelnde Flammen und hervor-
stiebender Funkenflug konnte leicht ein
Schindeldach in Brand setzen. Noch proble-
matischer als die aus Stein gebauten Wohn-
häuser waren die Holzbauten, die Stadel
und Ställe, die an der Hinterfront der Gas-
sen errichtet worden waren. Und solche gab
es viele in Lienz, da sich deren Bürger und
Inwohner mit der Landwirtschaft ein Zubrot
verdienten. Künftig mussten, so die Anord-
nung der Feuerordnung, Stadel und Ställe
bis unter das Dach aus Stein aufgemauert
sein und die Ställe im Inneren mit Stein-
gewölben abgesichert werden.
Lienz aus politischer und
wirtschaftlicher Sicht
Wer war diese Stadt Lienz, die das
Schicksal an einem Apriltag des Jahres
1609 so schwer treffen sollte? Lienz zählte
zur „Herrschaft Lienz“. Darunter verstand
man jenen Komplex von Gerichten (das
Landgericht Lienz, die Gerichte Kals, Vir-
gen und Lienzer Klause und eben Lienz,
das, weil es den Rechtstatus einer Stadt
hatte, einen eigenen Gerichtsbezirk bildete),
der nach dem Aussterben der Görzer im
Jahre 1500 der Grafschaft Tirol zugeschla-
gen und bereits im Jahr darauf dem tiroli-
schen Adelsgeschlecht Wolkenstein, und
zwar dessen Linie Rodenegg, zu Pfandrecht
überantwortet worden war. Verwaltet und
regiert wurde diese Herrschaft Lienz seit
1501 somit von den in den Freiherrenstand
erhobenen Wolkenstein-Rodenegg, unbe-
rührt der landesfürstlichen Hoheit, vorbe-
haltlich der Wahrung der landesfürstlichen
Rechte. Zwar genoss die Stadt seit alters
alle wirtschaftlichen Vorrechte einer Stadt,
die darauf abzielten, Lienz als Gewerbe-
und Handelsstandort abzusichern, mit den
politischen Vorrechten hinkte Lienz aber
nach. Die auf Selbstverwaltung hinauslau-
fende städtische Autonomie war schwach
ausgeprägt, ein Erbe aus der Zeit vor 1500,
da die Grafen von Görz ihrer Stadt Lienz
politisch wenig Spielraum gelassen hatten.
Erst im späten 16. Jahrhundert hatte die
Lienzer Bürgerschaft sich einen Rat als
kollegiales städtisches Organ erkämpft. An
der Spitze der Stadt stand noch immer kein
Bürgermeister sondern der Stadtrichter, ein
Amt allerdings, das meist mit dem des
Landrichters gekoppelt war, den die Pfand-
herrschaft, die Wolkenstein, bestellten. Die
Bürgerschaft oder Bürgergemeinde setzte
sich aus Bürgern und Inwohnern zusam-
men, wobei unter Inwohnerrecht ein minde-
res Bürgerrecht zu verstehen ist. Andere
Bewohner der Stadt, der Adel und ihre An-
gehörigen sowie die Geistlichkeit ein-
schließlich der Mönche und Nonnen, gehör-
ten rechtlich nicht zur Bürgerschaft.
Wirtschaftlich hatte Lienz bessere Zeiten
gesehen. Der Hof der Görzer, die Lienz als
Residenzstadt bevorzugt hatten, mitsamt
adeliger Entourage hatte reichlich Geld in
Lienz ausgegeben, wovon Kaufleute und
Handwerker profitierten. Damit war es seit
1500 schlagartig vorbei. Auch eine wei-
tere, Wohlstand verheißende städtische
Einnahmequelle versiegte. Lienz hatte in
Zeiten des Bergbaubooms, als allenthalben
rundum um Lienz nach Silber und Kupfer
geschürft worden war, prosperiert. Um
1600 hatte der Bergsegen längst nachge-
lassen, der einst blühende Bergbau war nur
mehr ein Schatten seiner selbst. 1605
klagte die Stadt Lienz gegenüber dem
Kleinen Ausschuss der Tiroler Landstände,
dem sie einige konkrete Beschwerde-
punkte vorbrachte, sie sei
„mit grosser Ar-
muthei umbgeben“.
Hierorts gebe es
weder Bergwerke, Landstraßen und Ge-
werbe, die namhafte Einnahmen abwerfen,
wie sie andere Städte in Tirol lukrieren.
Daher sei ein Viertel der Häuser in der
Stadt, die großteils durch den Bergbau er-
baut worden sind, abgekommen, verödet
und stehe leer, und man habe alles zu tun,
die bewohnten Häuser in Schuss zu hal-
ten.
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Da der Bergbau als Einnahmequelle
ausfiel, der Transithandel auch nicht reich
machte, arbeitete, produzierte, handelte
Lienz für das bäuerlich und landwirt-
schaftlich geprägte Hinterland, wobei die
Stadt in dieser Hinsicht zumindest den
Vorteil hatte, ein großes Einzugsgebiet zu
besitzen und keine andere nahe Stadt als
Konkurrenten fürchten zu müssen. Lienz
war, um es auf einen einfachen Nenner zu
bringen, aufgrund dieser eingeschränkten
wirtschaftlichen Gegebenheiten eine Stadt
der kleinen Handwerker und Gewerbetrei-
benden. Mit Abstand größter Arbeitgeber
war das Messingwerk, eine Manufaktur
oder frühe Form der Fabrik, in den 1560er-
Jahren gegründet und angesiedelt von den
Wolkenstein, die unternehmerisch im
Bergbau engagiert waren. Demographisch
und baulich stockte in Lienz die Entwick-
lung schon des Längeren. Um 1600 hatte
die Stadt, vorsichtig geschätzt, an die
Die „Vorstädte“ Schweizergasse (vorne) und Meraner- bzw. Messinggasse; gut zu erken-
nen sind auch die Isel- und die Drauwiere.
Bereich Johannesplatz mit St. Johannes d. T., Karmelitenkloster und Rosengasse bis zur
Stadtmauer auf der Westseite mit dem wuchtigen Amlacher Turm.