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OSTTIROLER
NUMMER 3-5/2009
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HEIMATBLÄTTER
Wer den Schaden hat, braucht für den
Spott nicht zu sorgen. Der Reiseschriftstel-
ler Ludwig Steub, der das ihm provinziell
anmutende Lienz mit kritischem Blick
betrachtete, schrieb in seinen 1878 erschie-
nenen „Lyrischen Reisen“ sarkastisch:
„Die Stadt Lienz beobachtet schon seit vie-
len Menschenaltern die Gepflogenheit, von
Zeit zu Zeit abzubrennen und dann wieder
aufgebaut zu werden.“
Ohne jeden Zynis-
mus muss aber eines eingeräumt werden:
So oft wie Lienz wurde in keiner anderen
Tiroler Stadt der „rote Hahn“ gesichtet;
immer wieder brachen in Lienz Brände
aus, die sich zu Katastrophen auswuchsen
und ganze Stadtviertel in Schutt und Asche
legten. Feuersbrünste richteten in Lienz,
um es in heutiger nüchterner Diktion zu
sagen, unermessliche volkswirtschaftliche
Schäden an, von denen sich die Lienzer
mühsam erholen mussten.
Brände – das Los der Städte
Die Lienzer Brandchronik vom Mittel-
alter bis in das 19. Jahrhundert ist lang und
listet viele schmerzliche Ereignisse auf.
1
Zwei von diesen, die Brandkatastrophen
von 1609 und 1798, ragen heraus, weil sie
alles Bisherige und Gewohnte weit über-
trafen: In den Jahren 1609 und 1798 wurde
die Stadt Lienz verheert und beinahe aus-
gelöscht, über die Hälfte ihrer Häuser
brannten nieder und machten deren Be-
wohner vorübergehend obdachlos.
Der „rote Hahn“ war in Stadt und Land
gefürchtet, besonders in den Städten mit
ihren dicht verbauten Plätzen und Gassen,
wo ein ausgebrochenes Feuer bei herrschen-
demWind oder gar Sturm immer neue Nah-
rung fand, ohne dass man es ihm wehren
konnte. Unaufhaltsam wälzten sich die
Feuersäulen entlang den Gassenfronten,
alles nieder machend, bis nichts mehr zu
holen war. Seuchen, Überschwemmungen
und eben Brände lösten in den Menschen
Ängste aus, denn gegen diese Gefahren
konnten sie sich nur unzureichend wappnen
und schützen, und die Menschen empfan-
den sie als Katastrophen, als Unheil, von
Gott gesandt, um sie heimzusuchen und zu
prüfen. Bei Überschwemmungen und Seu-
chen waltete die Natur, bei Bränden hatte
der Mensch die Hände im Spiel, der nach-
lässig und unvorsichtig mit dem Feuer han-
tierte oder gar böswillig Feuer gelegt hatte.
Brandstiftung, die unabsehbare Folgen für
den Einzelnen wie für die Gemeinschaft
hatte, wurde daher als schweres Verbrechen
gewertet, als ein Kapitalverbrechen ange-
sehen, das allein mit dem Tod des Brandstif-
ters zu bestrafen und zu sühnen war.
Brandbekämpfung war in den mittel-
alterlichen und frühneuzeitlichen Städten
eine gemeinschaftliche Aufgabe, die zu
den Bürgerpflichten zählte. Im Brandfall
wurden alle Männer der Stadt mobilisiert,
allen voran die als Brandspezialisten gel-
tenden Bauhandwerker wie Maurer und
Zimmerleute, die an vorderster Front
gegen die Flammen zu kämpfen hatten.
Menschenketten wurden gebildet, von
Hand zu Hand die mit Wasser gefüllten
Ledereimer weiter gereicht, um den Brand
zu löschen. Eingesetzt wurden Handsprit-
zen oder zu tragende oder fahrbare Sprit-
zen, bei denen das Wasser gepumpt wurde.
Andere Männer wiederum hatten mit
Fuhrwerken Wasser heranzuschaffen, weil
nicht genügend Brunnen in der Nähe stan-
den oder deren Wasser nicht ausreichte.
(Die Wasserversorgung vor Ort war ein
grundsätzliches Problem. Eine der Lehren,
die in Lienz aus dem Großbrand 1609 ge-
zogen wurden, war, in allen wichtigen
Straßenzügen so genannte Ritschen anzu-
legen, schmale offene Gerinne, die ständig
Wasser mit sich führten.) Da die Lösch-
mannschaften nicht selten auf verlorenem
Posten standen, wurde versucht, den
Brand zumindest zu isolieren, ein Über-
greifen auf die Nachbarhäuser zu verhin-
dern. Auf Leitern bestiegen wagemutige
Männer die Dächer und rissen mit den lan-
gen Feuerhaken das Dach und dessen Ge-
bälk herunter; diese höchst riskante und
mühselige Arbeit hatten vor allem die
Zimmerleute und Maurer zu übernehmen.
Die Chance mit derart einfachen Geräten
und Notmaßnahmen einen Brand zu kon-
trollieren oder zu löschen, der sich bis
unter das Dach vorgearbeitet hatte, war
gleich Null, wenn ein heftiger Wind wehte.
Ein Straßenzug, wenn nicht gleich ein
Stadtviertel sank in Schutt und Asche.
In Lienz ist das – wie gesagt – recht oft
der Fall gewesen. Dass Lienz wiederholt
von Brandkatastrophen geschlagen und
gebeutelt wurde, ist unter anderem einem
meterologischen Umstand zuzuschreiben.
Der Lienzer Talboden ist zwar kein ausge-
sprochenes Windloch, aber im Frühjahr
und Herbst wehen und pfeifen die Winde,
Westwind und Ostwind wechseln sich ab.
Und die Straßenzüge von Lienz verliefen
in Windrichtung, von Osten nach Westen,
von Westen nach Osten.
Wie andere Städte war auch Lienz eng
verbaut, in den Plätzen und Gassen war
Haus an Haus gebaut und gereiht, wobei die
Plätze und Gassen recht großzügig in dem
Raum ausgriffen, ein verschachteltes Ge-
wirr von Gassen und Gässchen fand sich
hier nicht. Überwiegend waren um 1600 die
Häuser aus Stein erbaut, deren Giebeldächer
aber durchgehend mit Holzschindeln ge-
deckt. Die zweigeschossigen, selten dreige-
schossigen Häuser standen Giebel an Gie-
bel, auch im innerstädtischen Bereich des
heutigen Hauptplatzes; die traufseitige
Stellung des Hauses zur Straße oder zum
Platz hin war und ist ein städtebauliches
Charakteristikum von Lienz geblieben.
Allerdings ragten die Dächer, gleich den
Bauernhäusern in den umliegenden Dör-
fern, weit in die Straße vor. Durch die 1609
für Lienz vom Tiroler Landesfürsten erlas-
sene Feuerordnung wurden diese weit vor-
stehenden Vordächer aus feuerpolizeilichen
Gründen verboten. Künftig sollten, verord-
nete die Feuerordnung, die Dächer der ein-
Die älteste erhaltene Lienz-Ansicht, eine aquarellierte Federzeichnung auf Papier,
28,3 x 54,3 cm, ist verhältnismäßig genau und gibt zahlreiche Details wieder; auch
einzelne Stadtteile sind gut zu erfassen. Im Bild: Der Untere Platz (Hauptplatz) und der
Johannesplatz mit Kirche.
Ausschnitt aus der ältesten Lienz-Ansicht mit dem Zentrum des Rindermarktes (Beda-
Weber-Gasse) mit St. Michael; links oben das Bürgerspital mit Brücke.