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OSTTIROLER
NUMMER 3-5/2009
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HEIMATBLÄTTER
1.300 Einwohner und zählte etwa 190
„Feuerbehausungen“ (Wohnhäuser).
Ein Stadtrundgang
Ein heutiger Besucher, Ortskenntnis vor-
ausgesetzt, fände sich im Lienz des frühen
17. Jahrhunderts tadellos zurecht. Seine
während des Mittelalters entwickelte Topo-
graphie hat Lienz bis heute bewahrt. Lienz
hatte vor dem späten 19. Jahrhundert zwei
große Wachstumsschübe, den einen im 13.,
den anderen einsetzend im späten 14. und
auslaufend im 15. Jahrhundert. Die städte-
bauliche Keimzelle von Lienz war jene
kleine Marktsiedlung, welche die Görzer im
späten 12. Jahrhundert im Mündungsdreieck
von Isel und Drau um den heutigen Haupt-
platz auf die grüne Wiese hatten setzen las-
sen. Dort dominierend war vorerst der Adel,
der den Görzern als Ministerialen diente und
sich in Lienz mit „festen“ Häusern und
Wohntürmen ansiedelte, und nicht die Han-
del und Gewerbe treibenden Marktbürger.
Das sollte sich rasch ändern, denn bis um
1300 hatte sich der kleine Marktflecken, der
auf dem Weg der Gewohnheit den Status
einer Stadt angenommen hatte, über den
westlichen Teil der heutigen Andrä-Kranz-
Gasse bis in den Bereich des heutigen
Johannesplatzes vorgeschoben. Von dort aus
lief die weitere bauliche Entwicklung der
Stadt entlang zweier Weganlagen, die beide
schnurstracks auf die im Westen führende
Landstraße zueilten: Die heutige Muchar-
gasse und die Schweizergasse in Richtung
Pfarrbrücke bzw. die heutige Rosengasse
und die Messinggasse in Richtung Mitter-
eregger-Kreuz, wobei die Querlinie Schul-
straße und Kreuzgasse bereits im späten 14.
Jahrhundert erreicht war, denn die Stadt war
hier durch einen Graben geschützt. Die
Schweizergasse wie die Messinggasse wur-
den erst im 15. Jahrhundert voll ausgebaut
und sind somit jüngere Stadtteile.
Was hätte ein Wanderer, den wir auf eine
Zeitreise in das Jahr 1600 schicken, in Lienz
vorgefunden? Lassen wir unseren Zeitrei-
senden vom Osten her, aus Richtung Kärn-
ten, der Stadt Lienz sich nähern, wandernd
auf der staubigen Landstraße, auf der sich
der Frachtverkehr wälzt. Wenige hundert
Meter nach dem Siechenhaus stößt er auf
eine Abzweigung. Rechts führt die Land-
straße weiter in den Rindermarkt, ein auf
Stadtgebiet liegendes, locker verbautes
Straßendorf mit der Michaelskirche als mar-
kantem Zentrum. Auf Höhe der Pfarrkirche
St. Andrä setzt die Landstraße mit der Pfarr-
brücke über die Isel. Unser Zeitreisender
nimmt aber die linke Abzweigung, er will ja
in die „Stadt“ (der Frachtverkehr muss in
die Stadt, weil dort Maut und Zoll kassiert
werden), und passiert kurz vor der Spitals-
brücke eine kleine Häusergruppe, die
Kärntner Vorstadt. Ins Auge sticht eine
lange Stadtmauer entlang des rechten Isel-
ufers. Durchlass gewährt dort ein massiver
runder Turm, das Spitalstor. Gleich nach
diesem Stadttor schwenkt die Landstraße
nach links und zieht eine lang gezogene
Rechtskurve. Linker Hand liegt, abseits der
Häuser der Stadt, das städtische Spital und
dessen Kirche, zusammen mit den dazu ge-
hörigen Wirtschaftsgebäuden ein recht an-
sehnlicher Komplex. Rechts, vor der Hinter-
front der Häuser, ist weithin unverbautes
Gelände zu sehen; Gärten und Wiesen deh-
nen sich hier aus. Die Landstraße ist über-
baut mit einem länglichen und massiven
Gebäude, dem Erz- und Fronkasten. Die
Einfahrt, groß genug, um Fuhrwerke durch-
Die Übersicht über das ausgebrannte Lienz, eine Federzeichnung auf Papier, 48 x 93,5 cm, enthält zahlreiche Details, die herauszu-
greifen es sich lohnt: Das Bürgerspital mit der Nordostecke der spätmittelalterlichen Stadtmauer und dem Torturm bei der Spitals-
brücke (l.). – Die Brandruinen der Karmelitenkirche und der Kirche zu St. Johannes d. T.; dahinter „die wier oder wasserlaittung von
der Jßel“; bei der Mühle, hinter der – nicht abgebildeten – Angerburg gelegen, ist vermerkt, dass sie „verbliben“ sei.
Ausschnitt mit einem Teil der Stadtmauer im Süden; integriert erscheint die Liebburg mit Kapelle und davor liegendem Wehrturm, der
den Zugang zur Stadt schützte; an der Drauwiere liegt die „hofmill“ (l.). – Die Südwest-Ecke der Ringmauer der Stadt mit dem Am-
lacher-Turm, davor die „Moletisch mill“.