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Wärme sehr bald einschliefen. Die Frauen
hatten in der Küche zu tun, die Männer
lasen am Tisch in der Postille oder in der
Heiligenlegende, manchmal gingen sie
auch schlafen.
Um elf Uhr wurden wir von der Bas
Nanne geweckt. Es gab vor dem Kirchgang
Kaffee mit Nigelen, denn damals war die
Kommunion beim Mitternachtsamt, die
Nüchternheit geboten hätte, noch nicht in
Brauch. Wie auch die Nacht war, ob dunkel
oder hell, ich fühlte mich immer seltsam an-
gerührt. Es gab keine zweite Nacht im Jahr,
wo ich um diese Zeit auf dem Wege zur
Kirch war und nicht in der getäfelten Kam-
mer schlief, fest, wie Kinder schlafen.
In St. Peter wurde ein Hochamt gehalten.
Es gab viele Hochämter während des gan-
zen Jahres, aber so feierlich erklang doch
keines, nicht einmal zu Ostern oder am
Patroziniumsfeste. Es brannten auch viel
mehr Kerzen als sonst. Am Altare standen
die weißsilbernen Leuchter, zwischen
ihnen, ein wenig erhöht, ruhte ein kleines
Christkind in einer Holzwiege. Auch vor
den Apostelkreuzen waren Kerzen aufge-
steckt, der Mesner brauchte lange, bis er
alle angezündet hatte. Wir knieten in den
Bänken, die uns zugewiesen waren. Nach
und nach wurde die Kirche so voll wie nie
im Jahre. Die Sakristeiglocke wurde gezo-
gen, der Kaplan schritt mit dem schönsten
Meßkleid, das die Sakristei barg und nur
selten verwendet wurde, an den Altar, von
einer Reihe Ministranten begleitet, die in
frisch gewaschenen und gebügelten Chor-
hemden und Kitteln steckten. Alles war
Glanz und Helligkeit, obwohl damals auch
die Kirche kein elektrisches Licht hatte,
noch lange nicht. Die Kirche wurde all-
mählich warm, von den vielen Männern,
Frauen und Kindern, die sie füllten. Wenn
der Priester das Gloria angestimmt hatte,
schellten alle Glocken, die kleinen der
Ministranten, die größere Sakristeiglocke
und die beiden im Türmchen. Die Orgel
donnerte mit allen Registern und Bässen:
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den
Menschen auf Erden …!“ Der Chor sang
die Pastoralmesse von Reimann, allerdings
mit großen Kürzungen, es war Jahr für
Jahr dieselbe. Das „Stille Nacht, heilige
Nacht“, das heute so bekannt ist, war da-
mals nur sehr selten zu hören, auch das
Turmblasen war nicht Brauch.
War der Gottesdienst aus, liefen wir auf
schnellstem Wege nach Haus. Dort gab es
jetzt die gute Nudelsuppe, angereichert mit
aufgeschnittenem Frischfleisch, auf die wir
uns Jahr für Jahr mehr freuten. Die Bas
Nanne, die daheim geblieben war – auf
jedem Hofe blieb in der Hl. Nacht jemand
zu Hause –, hatte sie gekocht. Gleich darauf
ging es in die Kammer und ins Bett. Die
Kammer war kalt, das Bett auch, wir spür-
ten es nur ein paar Augenblicke, dann
schliefen wir schon. Auch der Pap schlief
bei uns, aber der brauchte weit länger, bis
er die Füße im Bett hatte.
Am Morgen des Christtags wurde wieder
ein Amt gehalten, das fast ebenso zahlreich
besucht war wie die Mette, ja, viele Leute
gingen nachher noch nach Sillian zum
Hauptgottesdienst, um auch eine Weih-
nachtspredigt zu hören. So fleißig waren wir
nicht. Wir rodelten zwischen den Häusern
herab, bis wir auf und auf voll Schnee
waren. Am Ofen ließen wir ihn schmelzen,
oft hatten wir uns Zehen und Finger erfro-
ren, es brannte fürchterlich, wenn sie dann
wieder warm bekamen. Das Mittagessen am
Christtage war weit einfacher als heutzu-
tage. Wohl gab es frisches Schweinefleisch
im Hause, aber die Bäuerinnen konnten all-
gemein nur das kochen, was gang und gäbe
war, auch die Mutter hatte nichts anderes
gelernt; so kann ich mich nicht erinnern,
daß es jemals etwa einen richtigen
Schweinsbraten gegeben hätte. Wir wußten
nichts davon, so wenig wie von einem
Christbaum und der Bescherung am Heili-
gen Abend.
Um halb zwei Uhr wurde in St. Peter
feierlicher Rosenkranz gehalten, den wir be-
suchen mußten, dann konnten wir wieder
rodeln oder in der Stube die Geschichten-
bücher lesen, die uns der Lehrer in der letz-
ten Schulstunde vor Weihnachten geliehen
hatte. Auch die Erwachsenen lasen etwas,
zum Kartenspiel galt ihnen dieser Tag als zu
heilig. Meistens war es ein alter Kalender
oder der „Tiroler Volksbote“ mit den un-
terhaltlichen Geschichten vom Reimmichl,
die eben damals begannen.
Am Stephanstage vormittags war wieder
feierliches Hochamt. Als wir groß genug
waren, mußten wir ministrieren. Vor dem
Amte besorgten wir die Glut fürs Rauchfaß,
wobei es nicht selten allerlei Unglücksfälle
gab, dann war dem Mesner der Tag durch-
aus nicht zu heilig, daß er uns nicht eine
Ohrfeige gegeben hätte, die sich gewaschen
hatte. Der Kaplan lächelte dazu, wenn er es
sah, wahrscheinlich war er froh, daß er die
Strafe nicht selber vollstrecken mußte.
Nach dem Nachmittagsgottesdienst gin-
gen wir zu den beiden höher gelegenen
Höfen hinauf, die Krippen anzuschauen. In
der einen Stube gab es eine sehr merkwür-
dige, weil der Krippenberg aus einem Holz-
strunke bestand, den die Ameisen nach allen
Richtungen hin ausgenagt hatten. Es waren
Nischen und Höhlen für die Figuren und
den Stall hineingebrochen. Am meisten ge-
fiel mir immer der Gamsjäger, der hoch
oben vor einem solchen Loch stand und mit
dem Gewehr auf eine Gemse zielte, die auf
der entgegengesetzten Seite der Krippe,
gleichsam vor einer Höhle, als wäre sie ein
Höhlentier, ins Weite lugte. Er hat sie nie
getroffen, denn ich sah sie Jahr für Jahr an
der gleichen Stelle stehen.
Nach den Feiertagen gingen die Werktage
der Woche weiter, doch setzten die Arbeiten
auf dem Hofe nur langsam ein. In der Früh
gingen auch die Männer zur Messe, dann
wurde erst gejaust, dabei ließ man so viel
Zeit vergehen, als möglich war. Endlich
ging der Vater in die Werkstatt, um Schlitten
zu machen, die bei ihm bestellt wurden,
oder klob unter der Stadelbrücke Scheiter,
der Pap stieg hinter den Webstuhl, die
Frauen setzten sich an die Spinnräder, die
sie während der Feiertage aus der Stube ge-
tragen hatten. Wir hatten noch Ferien, erst
am 2. Jänner hieß es wieder Schulegehen.
Beim Abendrosenkranz wurden vier Kerzen
vor der Krippe angezündet, dann knieten
sich die Erwachsenen vor Stühlen und Bän-
ken nieder, breiteten die Schürze darüber
und fingen an zu beten. Wir Kinder blieben
auf der Ofenbank sitzen. Manchmal schlie-
fen wir sitzend ein, manchmal hielten wir
infolge mehrfacher Rippenstöße, die meis-
tens von der Bas Nanne ausgingen, die uns
am nächsten war, bis zum Ende durch. Der
Silvestertag verging auf unserem ein-
schichtigen Hof wie jeder andere Werktag
des Jahres. In der Früh wurde die Messe be-
sucht und am Abend fand die Hausräuche-
rung statt. Es gab kein Bleigießen und keine
andere Erforschung der Zukunft, man
wußte nichts von diesen Dingen.
Neujahrsgeld
Am Neujahrsmorgen schrien wir Kinder
schon auf der obersten Stufe der Flur-
treppe: „Gelobt sei Jesus Christus! Ein
glückseliges Neues Jahr!“ Unten antwor-
tete jemand: „In Ewigkeit, Amen! Eben-
soviel!“
Wir legten Wert darauf, daß uns niemand
zuvorkam, und damit wir das erreichten,
hatten wir‘s eilig beim Aufstehen und rie-
fen es ins Dunkel des Hausganges hinab in
der Hoffnung, daß es gewiß die Bas Nanne
oder den Vater oder vielleicht auch die
Mutter erwischte, die in der Küche oder in
der Stube waren und sich für den Kirch-
gang herrichteten.
Manchmal kam es vor, daß niemand ant-
wortete. Wir stiegen dann langsam die
Treppe hinab und wiederholten den Glück-
wunsch vorsichtshalber unten noch ein-
mal. Blieb auch jetzt alles still, war eben
gerade niemand herum und wir mußten
warten. Dann geschah es wohl auch, daß
die Bas Nanne plötzlich aus einem dunklen
Winkel hervorschoß und uns ein glückli-
ches neues Jahr wünschte. Wir stritten
dann ein wenig, daß sie zu spät sei und wir
schon längst ihr das neue Jahr „abge-
wünscht“ hätten. Sie gab keine Antwort
OSTTIROLER
NUMMER 11-12/2011
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HEIMATBLÄTTER
Am „Ochswieserhof“ der Familie Kofler,
1924 – im Verwandtschaftsverhältnis zu
Franz Josef Kofler: Stehend von links nach
rechts: Bruder Pfarrer Anton, Vater Franz,
Bruder Josef, „Bas Nanne“ (Tante); sit-
zend von links nach rechts: Schwägerin
Maria mit den Kindern Cäcilia und Jo-
hann, Bruder Johann mit Maria.
Unbekannter Fotograf