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Großteils passend zu Jahreszeit und
Feiertagen sowie Einblick gebend in Franz
Josef Koflers realistische Beschreibungen
einer vergangenen Zeit vor 100 Jahren fol-
gen Auszüge aus seinen Kindheitserinne-
rungen – mit freundlicher Genehmigung
des Haymon Verlags, der die „Rauhe Sonn-
seite“ mit ihrem gesamten Jahreskreis im
ländlichen Osttiroler Raum 2011 in unver-
änderter Form als Taschenbuch herausge-
bracht hat (um € 12,95 in jeder Buchhand-
lung erhältlich):
Weihnachtsfeiertage
Allmählich mehrten sich die Anzeichen,
daß Weihnachten nahte. Eines Tages kam der
Metzger, der schlachtete das Schwein vor
dem Hause. Wenn es geholt wurde, liefen wir
so weit in die Felder hinein, als wir nur
konnten. Erst wenn wir dachten, daß es
vorüber sei, tauchten wir wieder auf, um zu-
zuschauen. Es war großartig, wie gut sich
der Mann im Innern des Schweines, das im
Hausflur aufgehängt wurde, auskannte.
Länger brauchte er nur, wenn er sich das
Stück Fleisch mit dem Schwanz heraus-
schnitt, das ihm gehörte; es wurde, so schien
mir, von Jahr zu Jahr größer. Sobald das
Schwein eingesurt und verräumt war, setzten
die Frauen das Haus unter Wasser. Uns litten
sie dabei nicht um sich, weder in der Stube
noch im Tennen noch sonst irgendwo im
Feuerhaus, so trieben wir uns, wenn das
Wasser es zuließ, im Freien herum, bis wir
wieder langen konnten.
Um und nach 1900 war die Weihnachts-
zeit in unserer Gegend noch sehr einfach
und völlig von den alten Gebräuchen be-
stimmt. Jetzt ist ja vieles anders geworden,
die Welt schlägt seit den beiden Weltkriegen
die Wellen bis in die hintersten Bergtäler.
Nach der Hausräucherung am Heiligen
Abend, die der Vater nach Einbruch der
Dunkelheit vornahm, wurde in der Stube vor
der Krippe der Rosenkranz zu Ende gebetet.
Bald darauf kam ein bescheidenes Abend-
essen auf den Tisch, meistens Brennsuppe
mit gesottenen Erdäpfeln wie an anderen
Abenden. Die Bas Nanne war im Stalle
früher fertig geworden, der Pap war über-
haupt nur vormittags hinter dem Webstuhl
gesessen, auch der Vater hatte nur ein biß-
chen im Hause herumgebosselt und dann am
Nachmittag die Weihnachtskrippe aufgestellt.
Die Bas Nanne hatte sie vom Dachboden
herabgetragen, erst den „Berg“, dann in
der Schürze die Figuren, Menschen und
Tiere, die dazugehörten. Die ganze Zeit
über war sie in einer alten Truhe einge-
sperrt gewesen, damit wir Kinder nicht zu-
kamen. Diesem Umstande wohl war es zu
verdanken, daß sie ohne größeren Schaden
Weihnachten immer wieder erlebte. Trotz-
dem war immer etwas beschädigt, manch-
mal zerbrach etwas auch erst, wenn wir die
Krippe ansahen, der Vater sagte wenigstens
so. Wir wollten gleich mit Hand anlegen,
den Stall und das Hirtenfeld bürsten, weil
sich Staub angesetzt hatte, oder die Figuren
aufstellen helfen. „Laßt das, Kinder“,
mahnte der Vater, „ihr habt zwei linke
Hände.“ Der Vorwurf kränkte uns, aber so
ganz unrecht hatte er nicht. „Geht rodeln,
sonst werde ich mit der Krippe bis Drei-
könig nicht fertig.“ Gegen diesen eindring-
lichen Klang von Vaters Stimme gab es kei-
nen Einwand. Zwar, die Rute war diesmal
nicht zur Stelle. Als die Stube für die Feier-
tage gescheuert wurde, hatte die Magd
geäußert, daß der verbrauchte Besen auch
keine Zierde mehr sei – wann war der Bir-
kene Segen je eine? – und warf ihn kurzer-
hand ins Herdfeuer. Ersatz war noch nicht
geschaffen, nach Weihnachten würde er
wohl eines Tages wieder da sein. Wenn wir
vom Rodeln zurückkamen, stand die Krippe
an ihrem Platze im Stubenwinkel und war
so schön wie eh und je. Es war zwar nur
eine ganz einfache, kunstlose Arbeit, aber
sie gefiel uns doch immer. Sie blieb stehen,
bis der Weihnachtsfestkreis zu Ende war.
Das Räuchern ging so vor sich, daß der
Vater mit dem Gluthafen vorausging, wir
Kinder und der Pap, der Weihwasser
sprengte, hintendrein zottelten. Erst wurden
alle Räumlichkeiten des Hauses aufgesucht,
dann gingen wir hinüber in die Ställe und
Städel, hier drückte der Vater den Deckel
besonders beflissen auf den Topf, damit ja
kein Funke heraussprühte. Die Hausräu-
cherung wurde noch zweimal in derselben
Art wiederholt, am Silvesterabend und am
Vorabend von Hl. Dreikönig. Darauf ver-
schwand der Gluthafen, der nichts anderes
als ein defektes Kochgeschirr war, wieder
an seinem Platz. Ich weiß heute noch nicht,
wo er aufbewahrt wurde, obwohl ich sonst
im Auffinden ausgedienter Gegenstände ein
Meister war.
Nach dem Abendessen krochen wir Kin-
der auf den Ofen, wo wir in der schönen
OSTTIROLER
NUMMER 11-12/2011
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HEIMATBLÄTTER
Blick auf Panzendorf mit der „Punbrugge“, St. Antonius, der Expositurkirche zu den Hll. Peter und Paul und Heinfels; rechts von der
Burg der Ochswieserhof, in dem F. J. Kofler 1894 zur Welt gekommen ist.
(Ansichtskarte im Verlag Johann F. Ammon, Bozen)
Streiflichter auf eine „rauhe Sonnseite“