Seite 8 - H_2011_11-12

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darauf, sodaß wir nicht wußten, ob sie un-
sere Meinung gelten ließ oder nicht.
In der Stube wiederholten wir den Glück-
wunsch für Vater und den Pap, der sich
eben rasierte und schon eine Anzahl
Schnitte im Gesicht hatte. Ihnen gegenüber
legten wir gar nicht mehr so viel Gewicht
darauf, daß wir mit demWunsche zuvorka-
men. Sie warteten, bis wir vor sie hingetre-
ten waren und ihnen ein glückseliges neues
Jahr gewünscht hatten. Vom Pap gab es
immer ein schönes Neujahrsgeld, wie wir es
nannten, auch der Vater hatte schon den
Geldbeutel hergerichtet und entnahm ihm
ein Fünferle oder ein Sechserle – das
waren zehn oder zwanzig Heller –, je nach-
dem er bei Kasse war. Während wir das
Geld einheimsten, wurde auch uns ein
glückseliges neues Jahr entboten, ge-
nauso, als wären wir Erwachsene.
Wir wuschen uns, zogen das Sonntags-
gewand an und setzten uns an den Tisch
zum Frühstück. Dann ging es zum Gottes-
dienst nach St. Peter. Schon auf dem Weg
überfiel uns der Geschäftsgeist. Wir
wünschten allen, die uns begegneten. Sie
gaben den Wunsch zurück, dann war es
meistens aus, kein Griff in den Hosensack,
wo die Geldbeutel begraben waren. Wir
waren enttäuscht.
In der Sakristei begann endlich das Ge-
schäft zu blühen. Der Mesner drückte uns
zehn Heller in die Hand, das war gut be-
zahlt, der Kaplan verband es meistens mit
dem Ministrantengeld, legte aber immer
noch eine Krone dazu, das war geradezu
fürstlich. Wir plapperten auch wenigstens
ein halbes Dutzend Vergeltsgott heraus,
verschütteten dabei die Kohlen oder hiel-
ten das Schiffchen schief, daß die Weih-
rauchkörner herausquollen und über den
Boden hinrollten. Der Mesner schalt, aber
der Kaplan hob nur ein wenig den Finger,
auch das war fürstlich.
Nach dem Gottesdienst entfaltete sich
der Geschäftsgeist neu. Wir wußten bereits
von anderen Jahren her, wo sich der
Glückwunsch rentierte und wo er mit der
gleichen Münze bezahlt wurde, die wir
boten. In diesem Falle murmelten wir „ein
glückseliges neues Jahr“, im anderen
schrien wir hell und laut „ein glückseliges
neues Jahr!“ Es war hell geworden, nur
die Kälte war uns geblieben, aber wir
spürten sie nicht mehr. Wir liefen ins Dorf
hinab und wünschten den beiden Paten,
den Tauf- und Firmpaten. Dieser Gang
machte sich immer ganz ausgezeichnet be-
zahlt.
Zufrieden stiegen wir zu unserem Hof
hinauf. Die eine Hand hatten wir um die
Münzen geklammert, die im Sacke klingel-
ten, wenn wir sie mit den Fingern durch-
einander wühlten. Jetzt galt es nur noch,
den Nachbar Tonigler zu erwischen. Der
rückte immer mit zwanzig Hellern heraus,
der höchsten Summe, die überhaupt erhofft
werden durfte, bestimmte Fälle wie den
Kaplan und die Paten abgerechnet. Einmal
paßten wir gewiß zwei Stunden in der
Kälte, bis er vom Gottesdienste in Sillian
den Weg heraufkam. „Ein glückseliges
neues Jahr“, schrien wir und liefen ihm
entgegen. Er brummte etwas, gewiß erwi-
derte er den Wunsch, wobei der Atem wie
Rauch vom Munde wehte, dann griff er in
den Sack und reichte jedem von uns das
obligate zwanzig-Heller-Stück.
Wir wischten auf schnellstemWege in die
warme Stube, schütteten das Geld auf den
Tisch und zählten es. Schade, daß Neujahr
nur einmal im Jahre ist! Wenn wir es
gezählt hatten, schoben wir die ganze
Summe dem Vater zu. Der rundete sie ab
und trug sie am nächsten Sonntag nach
Sillian in die Raiffeisenkasse, wo er das
Geld auf unsere Sparbücher einlegte. Dort
verwandelte sich‘s später, um viele Spar-
heller vermehrt, in Kriegsanleihen und
verdampfte, als der Friede ins Land kam.
Schule gehen
Man hatte uns immer gesagt, in der
Schule müßte man ganz still sitzen, die
Hände vor sich auf die Bank gelegt, und
dürfte sich stundenlang nicht rühren. So
dachte ich durchaus nicht mit Vergnügen
daran, daß ich nun bald in die Schule
gehen mußte. Wir hörten auch immer wie-
der, wie streng der Lehrer sei, daß er alles
sähe und nichts durchgehen ließe. Schließ-
lich tröstete ich mich mit dem Gedanken,
daß es noch lange dauere bis dorthin und,
wenn die Zeit gekommen sei, würde sich
schon ein Mittel finden lassen, denn alle,
die ich kannte, waren in die Schule gegan-
gen, aber umgekommen war dort niemand.
So kam der 1. Mai heran, an dem ich das
erstemal in die Schule gehen sollte. Ei-
gentlich hätte ich schon ein Jahr früher
gehen sollen, aber es hieß, ich hätte nicht
ordentlich reden können und sei auch
schwächlich gewesen. Zugleich mit mir
fing mein Bruder Josef, der ein Jahr jünger
war, an. Wir hatten für diesen großen Tag
eine neue dicke graue Lodenhose bekom-
men und einen neuen runden Kübelhut,
der ähnlich nach ewiger Dauerhaftigkeit
roch wie die Hose. Viel weiß ich von mei-
nem ersten Schultag nicht mehr. Die Mut-
ter brachte uns in die Schulräume, wo
schon eine Reihe Mütter und Kinder
durcheinander waren. Am deutlichsten ist
mir noch im Bewußtsein, wie die Mutter
auf den Lehrer einredete, er solle ja recht
streng mit uns sein, nichts durchgehen las-
sen und auch nicht mit dem Stock sparen,
denn wir seien zwei ganz Arge, die nicht
folgen wollten und auch sonst kein Gut
täten. Mein Bruder und ich noch mehr
glaubten, eine solche Rede sei ganz und
gar unnötig gewesen.
Draußen vor dem Haus dachte ich nach,
wie es eigentlich an diesem ersten Schul-
tage gewesen sei, und ich fand, daß die
Schule zu ertragen wäre, wenn es nicht
schlimmer kam. Auch das mit dem Still-
sitzen hatte sich gemacht. Der Lehrer war
nicht so streng darauf versessen gewesen
und er hatte es auch nicht immer gesehen,
wenn ich mit den Händen ein wenig tän-
delte oder sie unter der Bank vergrub. Da
die Schule nur einklassig war mit ungefähr
vierzig Kindern, saßen die Anfänger ganz
vorne, die Größeren dahinter und jene, die
„ausschulten“ in den letzten Bänken,
rechts die Mädchen, links die Knaben. Ich
bekam als einer der Kleinsten meinen
Platz in der ersten Bank, das war nach-
teilig, denn ich wußte oft nicht recht, wie
ich mich zu betragen hatte, aber um-
schauen und sehen, wie es die anderen bei
einer spitzfindigen Frage des Lehrers
machten, durfte ich nicht wagen und zu
den Mädchen hinüber zu schielen, hätte
ich mich geschämt. Sie galten uns lange
als solche, die nur zufällig und irrtümlich
zu den Menschen gerechnet werden, denn
daheim waren wir lauter Buben. Nur
Lidwina Huber, die ziemlich hinten saß,
machte uns Eindruck, sie wußte einfach
gar alles, und ich hätte es gern gehabt,
wenn der Lehrer sie auf die Knabenseite
gesetzt hätte, aber das tat er nicht.
In den ersten Schulstunden erfuhr ich
das ja nicht, es brauchte eine Zeit, bis ich
lesen und schreiben konnte und mit den
Dingen vertraut wurde, die ein Volksschü-
ler wissen muß, wie etwa, wann man sich
getrauen darf, den Finger hochzuheben,
weil man hinaus will, und wie lange man
ausbleiben darf, ohne daß es auffällt und
ähnliche wichtige Dinge. Im übrigen ging
der erste Schultag viel zu schnell vorüber,
denn plötzlich hieß es: „Alles einpacken!“
Ich hatte nichts einzupacken und mein Bru-
der noch weniger, aber die älteren Schüler
machten auf einmal einen großen Lärm
und taten, als sei jetzt die Hauptsache ge-
kommen. Das „Antreten“ war schon
schwieriger und mußte erst geübt werden
und beinahe hätte sich der Lehrer schon
am zweiten Tage an die aufreizenden Worte
der Mutter besonnen, weil ich einfach von
der Bank weg ins Freie springen wollte. Ich
mußte dreimal antreten, dann durfte ich
laufen, aber der Lehrer hielt noch lang den
Finger drohend in der Luft.
So hat meine Schulzeit begonnen, die ich
bis heute nicht losgeworden bin. Damals
dachte ich freilich nicht daran, ich dachte
überhaupt an nichts, am wenigsten an den
folgenden Tag oder gar gleich an mehrere.
Jeder wurde wie etwas Neues empfangen
und wie etwas Altes verabschiedet. Ich
gäbe viel, gelänge es mir auch heute noch.
OSTTIROLER
NUMMER 11-12/2011
8
HEIMATBLÄTTER
Das Cover der jüngsten unveränderten Neu-
auflage der „Rauhen Sonnseite“ von 2011
zeigt den heimatlichen „Ochswieserhof“ in
Panzendorf (heute Gemeinde Heinfels).