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OSTTIROLER
NUMMER 10/2011
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HEIMATBLÄTTER
Einheiten geordneten
Behandlung von 32 Ge-
meinden zu erschlie-
ßen.“ Dabei folgt sie der
von ihrem Mentor Eber-
hard Kranzmayer aufge-
stellten Regel, dass die
Altertümlichkeit der
Mundarten mit zuneh-
mender Höhenlage und
Verkehrsferne zunimmt
und untersucht zuerst
das Lienzer Becken mit
dem von Kärnten beein-
flussten Nikolsdorf, ehe
sie sich dem Einzugsge-
biet der Isel und schließ-
lich dem Pustertal zu-
wendet. Nach einer kur-
zen Einführung zu den
jeweiligen Großräumen
widmet sie den einzelnen
größeren Ortschaften bzw. Gemeinden ein-
zelne Unterparagraphen, die sich wiederum
meist in die Teilbereiche „Einführung“,
„Wortschatz“ und „Lautliches“ gliedern.
Vor allem unter den mit „Wortschatz“ über-
titelten Abschnitten beleuchtet die Autorin,
wie bereits im Untertitel des Werks ange-
deutet, nicht zuletzt auch intensiv volks-
kundliche Aspekte und hier vor allem die
bäuerliche Gerätekultur, ganz im Sinne der
philologischen Richtung „Wörter und Sa-
chen“. Abgerundet wird der Band durch
mehrere Fotografien sowie eine Beilage
mit 39 dialektgeografischen Karten zu ei-
nigen Lauterscheinungen, vor allem aber
zu Wortschatzphänomenen.
Ausführlich widmet sich Hornung in
Ihrer „Mundartkunde“ auch dem Verhält-
nis der Osttiroler Dialekte zu jenen der
südbairischen Sprachinseln Pladen (italie-
nisch Sappada, Provinz Belluno), Zahre
(Sauris, Provinz Udine) sowie der Dop-
pelsprachinsel Deutschrut (slowenisch
Rut) bzw. Zarz (Sorica, beide Nordwest-
slowenien) und schließlich der Gottschee
(Ko
č
evje, Südslowenien). Die Unter-
suchung dieses Verhältnisses ist deshalb
umso interessanter bzw. wichtiger, als die
historische Quellenlage zur Entstehung
dieser Sprachinseln recht dürftig ist (man
geht heute davon aus, dass die Sprach-
inseln Deutschrut/Zarz, Zahre und Pladen
etwa in der ersten Hälfte des 13. Jahrhun-
derts gegründet wurden, die Gottschee
rund hundert Jahre später). Die Autorin
zeigt anschaulich auf, dass für Pladen, die
Zahre und Deutschrut/Zarz, vor allem nach
Vergleich des mundartlichen Wortschatzes,
eindeutig das Pustertal (inklusive seiner
Seitentäler) als die Region angenommen
werden kann, aus der die Siedler zuge-
zogen sind. Komplexer stellt sich das Bild
bei den Gottscheern da, was aber mög-
licherweise darin begründet liegt, dass die
Zahl der Kolonisten für diese ungleich grö-
ßere Sprachinsel wohl bedeutender war,
und diese aus einem insgesamt größeren
Gebiet stammten. Auch wenn Hornung er-
läutert, dass sich der Bereich der Laut-
lehre, im Gegensatz zum Wortschatz, nur
bedingt als Referenzpunkt eignet, da mit
lautlichen Neuerungen sowohl in den Dia-
lekten der Herkunftsregion als auch jenen
der Insel selbst zu rechnen ist, fallen beim
Beispiel Gottschee doch zwei interessante
Parallelen ins Auge. Dies ist zum einen die
Diphthongierung (Verzwielautung) von
mittelhochdeutschem
â
bzw. sekundär ge-
längtem
a
vor bestimmten Konsonanten.
Diese ergibt im nördlichen Lienzer Becken,
im unteren Iseltal und im mittleren Mölltal
den charakteristischen Diphthong (Zwie-
laut)
ō
, eine Lauterscheinung, die auch
heute basisdialektal noch gut fassbar ist
(z. B. in
n
ō
dl
„Nadel“,
n
ō
s
„Nase“). In
Teilen der Gottschee treffen wir hier eben-
falls auf einen Diphthong, allerdings mit
ū
-
als erstem Element (die beiden Bei-
spielwörter lauten hier also
n
ū
dl
,
n
ū
ž
).
Als zweite Parallele führt Hornung die
auffallende Entsprechung des so genann-
ten germanischen
e
(
ë
) als
a
an, der wir nur
im Dialekt von Tilliach sowie im Gott-
scheerischen begegnen (
prat
„Brett“,
aßn
„essen“).
Dies spricht (zusammen mit einigen
weiteren Indizien, die Hornung anführt)
dafür, dass der Osttiroler-Kärntner Grenz-
raum im weitesten Sinn die Gottscheer
Kolonisten stellte. Hornungs Zusammen-
schau der Osttiroler Dialekte erregte viel
Echo in der Fachwelt und wurde einge-
hend besprochen, auch außerhalb des deut-
schen Sprachraums.
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Auch wenn die po-
sitiven Bewertungen überwogen, sollte
nicht unerwähnt bleiben, dass sich in die
Rezensionen bisweilen kritische Töne
mischten. Diese betrafen zum einen die
Methode (unsystematische Präsentation
von Lautung und Wortschatz der einzelnen
Ortsdialekte, was die Vergleichbarkeit er-
schwert), zielten jedoch auch auf Hor-
nungs Darstellungsstil, der nicht nur in der
„Mundartkunde Osttirols“ hie und da blu-
mig-narrativ, ja manchmal fast schwülstig
geriet. Auch kreidete man ihr an, wenig
Scheu vor verklärenden Klischees hin-
sichtlich der Tiroler Bergbauernwelt zu
hegen und sich, sowohl im Dialektalen wie
im Ethnografisch-Sachkundlichen, in erster
Linie für Archaismen zu interessieren und
deren Verschwinden allzu subjektiv als
Verfall zu werten. Man hängt an dem, was
man liebt, und grämt sich, wenn es ver-
geht, vielleicht ist das eine Antwort auf
diesen Aspekt in Hornungs Werk. Eine
weitere Erklärung könnte in der bereits
erwähnten volksbildnerischen Mission
liegen, an der der Autorin sicher auch lag.
Dass ihre Mundartkunde einem breiteren
Publikum zugänglich sein sollte, war bis
zu einem gewissen Grad sicher auch be-
absichtigt, einen solchen Spagat zwischen
Habilitationsschrift und Volksbuch zu
spannen ist naturgemäß schwer. Ein ame-
rikanischer Rezensent (B. J. Koekkoekk)
sprach im Zusammenhang mit diesem
ihren Stil von einem „tone of personal
Mundartbelege aus Gaimberg bzw. Mörtschach im Nachlass Hornungs
*
+
Die beiden hier dokumentierten Dialektausdrücke sind:
[Prâmach] „Almbuschwerk, mit dem man die Kühe beim
Abtrieb schmückt“ (Gaimberg),
šwalb
[Schwälbelein] „Kuhname“ (Mörtschach);