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OSTTIROLER
NUMMER 1-2/2010
4
HEIMATBLÄTTER
im Museum und umkreist Chabots Werk
von verschiedenen Perspektiven aus. So
standen Ausstellungen über international
bekannte deutsche Expressionisten neben
den Präsentationen über Teilaspekte des
Werkes von Henk Chabot im Mittelpunkt:
1995 Käthe Kollwitz in Zusammenarbeit
mit den Käthe-Kollwitz-Museen in Berlin
und Köln, 1997 Ernst Ludwig Kirchner in
Kooperation mit dem Kirchner-Museum in
Davos, 2004 Werke von Emil Nolde aus der
Nolde-Stiftung in Seebühl, 2006 Werke von
Paula Modersohn-Becker aus dem Museum
und von der Modersohn-Becker-Stiftung
und 2007 Werke des niedersächsischen
Malers Otto Gleichmann in Kooperation
mit dem Sprengel Museum Hannover.
Egger-Lienz im Chabot Museum
Für die Direktorin Jisca Bijlsma war vor
allem die thematische Nähe der Werkkom-
plexe von Chabot und Egger-Lienz in der
jeweiligen Spätphase, nämlich in den „Ge-
dankenbildern“, ausschlaggebend für die
Gestaltung dieser Schau. Noch ein Aspekt
fand Berücksichtigung: Albin Egger-Lienz
hatte sich nach seiner Tätigkeit an der Aka-
demie in Weimar 1912/13 und vor seiner
Übersiedlung nach St. Justina in Rentsch
bei Bozen in den Monaten Juli und August
1913 in Katwijk aan Zee aufgehalten. So
wird der Besucher im Chabot Museum
auch gleich auf die beiden Gemälde
Das
Meer
(1913; Museum Schloss Bruck) und
Katwijk. Der Leuchtturm
(1913; Leopold
Museum) aufmerksam und genau in jene
Zeitspanne gelenkt, in der Egger-Lienz von
der ungestümen, freien Atmosphäre an der
Nordsee erfasst wurde. Das Gemälde
Das
Meer
zählt wohl zu den freiesten maleri-
schen Intentionen Eggers, in dem er dem
rauschenden Klang und den sich stetig
überwälzenden Bewegungen der Wellen
nachging. In Reminiszenz an die Werke
niederländischer Kleinmeister (eindrucks-
voll nachzuvollziehen in den faszinierenden
Sammlungen in dem dem Chabot Museum
gegenüberliegenden Museum Boijmans
Van Beuningen) erlag Egger der Weite des
Luftraumes über dem Meereshorizont und
in fast monotoner Farbgebung der Faszina-
tion von freier Malerei. Egger-Lienz sah
sich während der zwei Monate in Katwijk
aan Zee bzw. der achttägigen Rundreise
durch Teile der Niederlande mit neuen
Sujets konfrontiert. In Katwijk aan Zee ent-
standen also zwei große Gemälde:
Das
Meer. Katwijk
und die „Dünenlandschaft
bei Katwijk“, dann noch drei kleinere Ge-
mälde „Dorfgasse in Katwijk“ und „Häu-
ser“ sowie
Katwijk. Der Leuchtturm
(Kirschl, Werkverzeichnis M 335-339).
Eindruckvoll sind die schriftlichen Schilde-
rungen Eggers, die er an Otto Kunz bzw.
Franz Hauer schickte. An Otto Kunz
schrieb er am 17. Juli 1913: „Der Gehalt
aller der vielen alten und neuen holländi-
schen Landschaftsbilder wird einen erst hier
klar. Diese Wolken, diese satte Luft, die tiefe
Farbe ist ganz eigenartig schön.“ In keinem
anderen Gemälde hat sich Egger-Lienz so
sehr auf diese Stimmungswerte konzen-
triert; diese Gegend an der Nordsee bot ihm
ein neues Erleben von Natur. An Franz
Hauer schrieb er am 22. Juli 1913: „Ich
male hier ein größeres Seebild. Nur das un-
endliche Meer allein mit großem Himmel.
Dan hoffe ich noch ein Dünenbild fertigzu-
machen. Es ist wahr, die Natur hier ist ganz
einzig malerisch und großzügig. Der große
geistige Gehalt dieser einzigen Welt wurde
bis jetzt nur von Ruijsdael – Rembrandt
und den anderen dieser Gruppe erfasst. Lei-
den, ½ Stunde von Katwijk entfernt, ist der
Geburtsort Rembrandts, eine recht hollän-
dische, alte Stadt. Je länger ich hier ver-
weile (was mir übrigens recht schwer fällt,
da ich ja nach Tirol soll, um endlich meine
Arbeit wieder aufzunehmen) desto mehr
offenbart sich mir das Wesen der Welt, wie
müßte es mich erst erfüllen wenn ich da ge-
boren wäre, aber zu diesem intimen Ver-
hältniß zu dieser Natur, kann unsereins, der
Fremdling nie kommen. Daher ist alles was
Charakter hat subjektiv, was die internatio-
nalen modernen Kunstmacher, diese Objek-
tiven, nicht einsehen wollen. Je heimat-
licher desto mehr Charakter.“ Hier wird auch
deutlich, dass Egger-Lienz seine Mentalität
nicht verleugnete und sich dem Naturgefühl
seines Lebensraumes Tirol verpflichtet
fühlte – er sah sich als Fremdling in dieser
„neuen“ Gegend. Vom 27. Juli 1913 datiert
ein Schreiben an Otto Kunz: „Ich habe zwei
Bilder vor, hier fertig zu machen. Ein See-
bild und eine Dünenlandschaft. Dan wer-
den wir 8 Tage durch Holland reisen, es
liegt ja alles in unserer nächsten Nähe. Dan
hoffe ich Dir mehr über meine Eindrücke
mitteilen zu können. Das ist sicher, es ist
das schönste was ich je gesehen habe, und
wenn ich hier geboren und gewachsen
wäre, ich hätte aus diesem Stück Welt mehr
gemacht als unsere neuen Maler zusam-
men. Es ist doch alles wie aus einem Guße
und doch können wir niemals in die Tiefen
dieser Welt gelangen, weil sie uns trotz
alledem fremd bleiben muß…“ Schließlich
beschrieb Egger-Lienz am 5. August 1913
in einem Brief an Otto Kunz seinen unmit-
telbaren Eindruck von der Meeresland-
schaft: „So lange habe ich nun doch schon
in die Wellen der Nordsee geschaut, daß es
heute früh zu einer wahren „Entbindung“
kam. Auf einer großen Leinwand habe ich
(1 ½ M. Länge) die langestreckte ewige
Welle ganz braun, wie die Nordsee ist, in
2 Arbeitsstunden zu meiner Befriedigung
fertig gebracht. Das Bild macht einen
mächtigen Eindruck, ich habe meine
Freude daran. Es war aber auch eine rich-
tige Entbindung nach dreiwöchentlicher
Austragung. Es war ordentlich reif. – Ich
wollte Du könnest die Sache sehen. Es ist
eigendlich kein glänzend gelößtes Wasser
wie es die Marinelandschaftsmeister oft so
gut treffen, aber die Bewegung und Wucht
der ewigen Welle, die Ergiesung und Ver-
fließung und wieder Werdung ist drinnen.
Es ist entschieden größer, wenn das Stoff-
liche (das Wasser in diesem Falle) nicht be-
tont wird, sondern das Rollen. Ich hoffe
noch einige Wellen mit Wolken zu machen,
es ist ja wirklich ungeheuer – Teufel! Da
liese sich was machen. Nur ein Andenken
bringe ich mit in meine Heimat, so eine
Ahnung!“ Eine für seine Intention wesent-
liche Aussage notierte Egger-Lienz in die-
sen Zeilen. Er spricht von der „ewigen
Welle“, also von seinem ureigenen Thema
von „Werden und Vergehen“. Das Erleben
Albin Egger-Lienz, Katwijk. Der Leuchtturm, 1913; Leopold Mu-
seum, Wien.
Albin Egger-Lienz, Das Meer, 1913; Museum Schloss Bruck,
Lienz.
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer:
a. o. Univ.-Prof. Dr. Gert Ammann, Museums-
direktor i. R., A-6176 Völs, Albertistraße 2 a.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimatblät-
ter“ sind einzusenden an die Redaktion des
„Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad Pizzinini,
A-6176 Völs, Albertistraße
2 a.