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FODN - 58/03/2014
ADVENT
E
s war einmal ein Engel, der hatte
große und wunderschöne Flügel.
So weiß wie die Federn eines
Schwans und so strahlend hell wie die
Sonne. Dieser Engel machte sich auf den
Weg zur Erde. Es war sein erster Flug
dorthin und so war er sehr aufgeregt.
Als er nun über die Erde flog und all die
schönen Dinge bestaunte, die Gott ge-
schaffen hatte, fiel ihm ein Mensch auf,
der in seine Richtung blickte.
Von dieser Seltenheit angezogen - hat-
te er doch im Himmel gelernt, dass nur
sehr wenige Menschen Engel sehen kön-
nen - stellte er sich vor den Menschen
und fragte: "Du kannst mich sehen'" "Ja,
dich kann ich sehen, auch wenn die Welt
für mich immer gleich aussieht. Der
Mann zeigte auf seine Augen. Er war
blind. "Wie geht es dir dabei, wenn die
Welt immer gleich aussieht?" Manchmal
wünsche ich mir nichts mehr, als sie mit
meinen eigenen Augen sehen zu können.
Da schenkte der Engel ihm eine seiner
Federn und sagte: "Sie wird dich sehen
lassen."
Auf seinem weiteren Weg bemerkte
er einen Menschen, der ihn zu hören
schien. Von dieser Seltenheit angezogen
- hatte er doch im Himmel gelernt, dass
nur sehr wenige Menschen Engel hören
können -, stellte er sich vor den Men-
schen und fragte: Du kannst mich hö-
ren. Ja, dich kann ich hören, auch wenn
die Welt für mich immer still ist" Die
Frau zeigte auf ihre Ohren. Sie war taub.
"Wie geht es dir dabei, wenn sie immer
nur still ist?" Manchmal wünsche ich
mir nichts sehnlicher, als sie mit meinen
eigenen Ohren hören zu können." Da
schenkte der Engel auch ihr eine seiner
Federn und sagte: "Sie wird dich hören
lassen."
Als er nun weiterflog sah er einen
Menschen, der seine Anwesenheit zu
spüren schien. Von dieser Seltenheit
angezogen - hatte er doch im Himmel
gelernt, dass nur sehr wenige Menschen
Engel spüren können -, stellte er sich vor
den Menschen und fragte: "Du kannst
mich spüren'" "Ja, dich kann ich spüren,
auch wenn die Welt meinem Körper kei-
ne Wärme gibt." Der Mann deutete mit
seinem Kopf an sich hinunter, sein Kör-
per saß in einem Rollstuhl. Er war ge-
lähmt von seinem Hals ab. "Wie geht es
dir dabei, wenn die Welt deinem Körper
keine Wärme gibt?" "Manchmal wün-
sche ich mir so sehr, die Sonnenstrah-
len auf meinem Körper fühlen zu kön-
nen und herumzutanzen, bis mir meine
Füße wehtun." Da schenkte der Engel
auch ihm eine seiner Federn und sagte:
"Sie wird dich spüren und tanzen lassen."
Der Engel flog über die ganze Welt
und traf sehr viele Menschen, denen er
eine seiner Federn schenkte. Menschen,
die von einer Krankheit befallen waren,
Menschen, denen es nicht gut ging.
Eines Tages, als er dann ein kleines
Mädchen traf, das blind war und alleine
am Straßenrand saß wollte er ihr eine
Feder schenken. Doch er musste fest-
stellen, dass er nur noch eine einzige
besaß und seine Flügel verschwunden
waren. Traurig setzte er sich neben das
Mädchen und schenkte ihr seine letzte
Feder "Wie komme ich denn jetzt noch
in den Himmel? Wie kann ich denn jetzt
Gott noch nahe sein?", dachte er traurig.
Ein ganz großes „Vergelt‘s Gott“
allen die unsere Ausstellung besuchten.
Lissy und Gini
Der Engel und seine Federn
Aber als sich die Augen des Mädchens
öffneten und sie die Farben der Welt sah,
strahlte sie heller, als die Flügel des En-
gels es je getan hatten. Ihr ganzer Kör-
per lachte, strahlte und freute sich über
jede einzelne Farbe, jeden einzelnen
Gegenstand, den sie begutachtete. Sie
tollte auf den grünen Wiesen, schaute
sich jede einzelne Blume an, sodass ihr
ja keine Farbe entging, und genoss es,
sehen zu können. Und plötzlich stand
sie wieder vor dem Engel und sagte lei-
se und nachdenklich: "Wieso hast du
mir deine letzte Feder geschenkt, ob-
wohl du jetzt nicht mehr zurück in den
Himmel kannst?"
Da lächelte der Engel, denn ihm war
etwas klar geworden, als er die Freude
des Mädchens gesehen hatte. "Weißt
du", sagte er, „dein strahlendes Gesicht
hat mich Gott näher gebracht als all die
Jahre im Himmel." Und er hatte erkannt,
dass ein Engel keine Flügel besitzen
und im Himmel leben muss, um ein En-
gel zu sein. Hand in Hand mit dem Mäd-
chen ging er die Straße entlang, kein En-
gel mehr nach dem Aussehen, sondern
ein Mensch.
Ein Mensch mit dem Herzen eines En-
gels. Zwar können Menschen Engel nur
selten sehen, hören oder spüren, aber
viel wichtiger ist: Menschen können En-
gel sein für die Menschen, denen sie et-
was Gutes tun. Und macht nicht gerade
diese Eigenschaft einen Engel aus?
Ginni Huter, Lissy Wischounig