Seite 20 - Gemeindezeitungen

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Der Bericht über Brunswik könnte
mit „Es war einmal …“ beginnen. Es
war einmal ein Mann namens Brunswik,
der in der Zwischenkriegszeit als Ein-
siedler in einer etwas wohnlich gemach-
ten Höhle in den Lienzer Dolomiten leb-
te, der einen Steig vom hohen Tor zum
Lavanter Kolben grub und in der Instein-
alm einen Bildstock errichtete. Das sind
die mageren Fakten.
Bei den Nachforschungen führten
viele verheißungsvolle Spuren immer
wieder ins Nichts. Wer war der Mann?
Woher kam er? Was führte ihn in die
Einsamkeit der Berge? Hatte er etwas
zu verbergen? War er fahnenflüchtig?
Wovon lebte er? Hatte er frühere Verbin-
dungen zu Lienz oder zum Laserz? War
er ein vom Krieg Traumatisierter? War er
ein „Militärischer“? Was veranlasste ihn,
einen Steig durch die Wände der Dolo-
miten zu graben? Hatte er sich einsam-
keitsversessen und jeder menschlichen
Begegnung ausweichend, einen Steig
nur für sich allein gegraben? Das Wenig-
wissen zieht das Vielvermuten nach sich.
Der von Brunswik gegrabene Steig
ist auf Wanderkarten als „Eremitensteig“
verzeichnet und auch in der Bergstei-
gerliteratur zu finden, z.B. schreibt Hu-
bert Peterka 1972 in seinem Alpenver-
einsführer über die Lienzer Dolomiten:
… Höher im Gelände der verfallene
Eremitensteig, ein Weg zwischen Au-
erlinggraben-Kolmsattelwiese, den ein
Einsiedler angelegt hat. Nur für Klet-
terer von Bedeutung.
War der geheim-
nisvolle Herr Brunswik ein Alpinist?
Der Eremitensteig war ein Beitrag
zur Erschließung der Lienzer Dolomiten
und war für Kletterer von Bedeutung,
vor allem erleichterte er den Zugang
zur Nordwand des kleinen Laserzkop-
fes und ins Steinkar. Er ermöglichte den
Zustieg sowohl von der Karlsbaderhütte
als auch von Dolomitenhütte und vom
Kreithof aus. Außerdem hatte Brunswik
zwei Biwakplätze angelegt. Hatte er sie
für sich selbst gebaut, oder dienten sie
den Wiener Bergsteigern, die ihre Tou-
ren ins Laserz vom Dölsacher Bahnhof
aus starteten?
Georg Zlöbl erwähnt in seinem
Buch „Lienzer Dolomiten - Karnische
Alpen“, dass der Einsiedler sogar meh-
rere Steige gegraben hat. Ob er einen
Auftrag dazu hatte oder ob der Einsame
es als Beschäftigungstherapie betrach-
tete, konnte nicht geklärt werden.
Ältere Leute von der Lienzer Schatt-
seite können sich aus ihrer Kindheit
noch an den Eremiten erinnern. Er sei
ein sehr menschenscheuer, schlanker
Herr von etwa 40, 50 Jahren gewesen.
Im kleinen Ladele in Lavant habe er sich
mit Lebensmitteln eingedeckt und sei
gelegentlich nach Lienz heruntergekom-
men, um Geld abzuholen, das ihm auf
die Post überwiesen wurde. Über die
Herkunft des Geldes wurde spekuliert:
für die Rente sei er zu jung gewesen;
vielleicht habe ihm die Familie Geld
überwiesen; er könne ein Wissenschaft-
ler gewesen sein; usw.
Walter Mair schreibt in der zweiten
Auflage seines, im Bergverlag Rother
erschienen Wanderführers „Berge um
Lienz“, folgendes:
„Das vielbesuchte
Wandergebiet um den Auerling soll
einer
erlauschten
Geschichte
zufolge
auch das Versteck,
eine enge Felshöhle,
des legendären „Laserzgeistes“ ver-
borgen haben. Der einsam lebende,
nur knapp vierzig Jahre alt geworde-
ne Eremit habe in den Jahren nach
dem 1. Weltkrieg einen Steig, ent-
lang der Nordwände, vom Auerling ins
Steinkar und weiter bis zum Lavanter
Kolben gegraben. Nur selten ließ er
sich in der Stadt blicken, höchstens
wenn er sein Arbeitslosengeld behob
und damit etwas Proviant erstand.“
Mair formuliert vorsichtig mit „er-
lauscht“, denn Arbeitslosengeld über
längere Zeit war in der ersten Republik
rar, vor allem, wenn Brunswik, wie viel-
fach bestätigt wird, mehrere Sommer
und zeitweise auch im Winter in den
Dolomiten hauste.
Im schönen und sehr informativen
Buch „Osttiroler Almen“ von Walter Mair,
erschienen im Tyrolia Verlag, schreibt er
über die Insteinalm:
„Bis 1950 näch-
tigten hier gelegentlich auch Touristen,
denen der Hirte, ein leutseliger und
bettelarmer Mensch, hochprozentiges
Feuerwasser kredenzte. Von Hand zu
Hand ging das hellgelbe Gift und heiz-
te die Stimmung gehörig an. Mit ihr
erreichte die Phonzahl jene Schmerz-
grenze, gegen die sich der Laserzgeist,
ein Wiener Eremit, wehrte - ein Son-
derling, der auch jeder Bekanntschaft
misstrauisch aus dem Weg ging. Er
hauste zur damaligen Winterzeit auf
der Insteinalm und zog im Sommer
nomadisch hinauf zum Weißstein, wo
er notdürftig eine Felshöhle bezog. Un-
entwegt kämpfte der Einsame gegen
Wind und Wetter und mit seiner Ge-
sundheit, die ihm im 50. Lebensjahr
den Dienst versagte.
Es ist schwer vorstellbar, wie je-
mand zu der Zeit den Winter im Freien
verbringen konnte, doch es gilt als ge-
sichert, dass der Einsiedler in verschie-
denen Schupfen Unterschlupf fand und
auch im Kreithofstadel Quartier bezogen
hatte. Kurzzeitig und seiner angegriffe-
nen Gesundheit wegen wurde ihm auch
in der Alpenrautehütte Obdach gewährt.
Außerdem wurde er beim Schifahren in
Vollmondnächten hinterm „Kofl“ beob-
achtet.
Herr Brunswik
– das Phantom in den Lienzer Dolomiten
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Herr Brunswik
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Unterschlupf
auf Weißstein