Seite 34 - Gemeindezeitungen

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eptember
2014
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er interessante Bericht
von Hermann Neumair
aus dem Osttiroler Boten vom
20. September 1984 ließ ein
Kürzen kaum zu, weil sonst
die fortlaufende Spannung
zu sehr unterbrochen worden
wäre.
Hermann Neumair aus Gaim-
berg, ein Aushängeschild der
„Alpenraute Lienz“, bezwang
vor kurzem die Eiger-Nord-
wand über die klassische
Route. Nachstehend sein in-
teressanter Erlebnisbericht:
Nach mehrmaligem, wetter-
bedingtem Verschieben sind
wir endlich bei guter Wetter-
vorhersage auf der kleinen
Scheidegg. Morgen wollen
wir in die Nordwand des Ei-
gers. Ernst Schwarzenlander,
mein Seilpartner bei diesem
Unternehmen, ist einer der
extremsten Bergsteiger Kärn-
tens und war bereits zweimal
in der Wand, wegen schlech-
ten Wetters war eine Erstei-
gung aber unmöglich.
Um 03:30 Uhr verlassen wir
unser Quartier auf der kleinen
Scheidegg und suchen den
besten Weg durch die Wiesen
zum Einstieg der Nordwand.
Um 5 Uhr ziehen wir uns
zum ersten Mal die Steigei-
sen an, um über den vereisten
Lawinenkegel zum felsigen
Wandfuß zu gelangen. Es ist
immer noch Nacht, als wir
rechts vom „Ersten Pfeiler“
den Einstieg in den unteren
Teil der Wand wagen und mit
den Stirnlampen den besten
Weg zum „Zerschrundenen
Pfeiler“ suchen, um somit
zum richtigen Einstieg der
klassischen Heckmair-Harrer
zu kommen.
Mittlerweile ist es Tag ge-
worden und wir steigen in
den schwierigen Riss ein, der
bereits leicht vereist ist. Das
verschneite Schrofengelän-
de Richtung Hinterstoisser
ist rasch überwunden, doch
bereits vor dem Quergang
müssen wir uns die Steigei-
sen zum zweiten Mal anzie-
hen. Hier hängen einige Seile
von früheren Rückzügen aus
der Wand, deshalb bietet die-
se sonst heikle Passage keine
größeren
Schwierigkeiten.
Vom Schwalbennest aus kön-
nen wir erkennen, dass die
Verhältnisse im ersten Eisfeld
gut sind, so steigen wir frei,
jeder für sich, auf den Front-
zacken der Steigeisen Rich-
tung Eisschlauch, der Verbin-
dung zum zweiten Eisfeld.
Dort jedoch ist die Eisschicht
zu filigran, wir müssen ins
Felsgelände ausweichen und
zwei Seillängen sichern, um
in den oberen Teil des Eis-
schlauches zu gelangen. Von
hier marschieren wir wieder
gleichzeitig. Das Eis ist grif-
fig, mit Stütztechnik steigen
wir hintereinander das 2. Eis-
feld höher, wo wir einen japa-
nischen Alleingeher überho-
len, der bereits einmal in der
Wand biwakiert hat und nun
– ein 50-Meterseil nach sich
ziehend – über das zweite
Eisfeld aufsteigt. Am oberen
Rand des Eisfeldes queren
wir nach links zum Bügel-
eisen. Hier findet auch das
Seil wieder Verwendung, wir
steigen über einige Feld-Eis-
stellen das Bügeleisen empor
zum Todesbiwak, wo wir uns
eine kleine Pause gönnen, et-
was trinken und essen.
Doch die Wand ist noch lang,
so drängen wir weiter, über
das 3. Eisfeld zur Rampe,
wo wir erst richtig erken-
nen können, wie winterlich
die Verhältnisse in der Wand
sind. Diese Passage und der
folgende
Wasserfallkamin
beanspruchen auch dement-
sprechend viel Zeit und somit
wird uns klar, dass die Wand
bei diesen extremen Bedin-
gungen ohne Biwak nicht zu
machen ist. Zusätzlich pas-
siert mir etwas, was einem in
der Eiger nicht passieren darf:
ein Steigeisen hält nicht!
Wir gelangen über den Eis-
wulst, das Rampeneisfeld
und das brüchige Band zum
brüchigen Riss, der noch ein
nettes Stück Arbeit ist, vor
dem Götterquergang. Ernst
schafft den senkrechten, ver-
eisten Riss im Vorstieg und
ich kämpfe mich mit zwei
Rucksäcken höher; ziemlich
anstrengend sowas. Nach
zwei Seillängen im Götter-
quergang wird es Zeit, sich
für das Biwak einzurichten.
Da an einen Einstieg in die
Spinne um diese Tageszeit,
obwohl sich der Stein- und
Eisschlag in Grenzen hält,
nicht zu denken ist, pickeln
wir uns am Ende des Götter-
querganges auf ca. 3.600 m
zwei Eisstufen. Ernst ist zwei
Meter unter mir, da hier kein
Platz für zwei nebeneinander
zu finden ist. Ein Strip im
letzten Sonnenlicht, Ango-
raunterwäsche und die wär-
mende Biwakkleidung wer-
1984 - Vor 30 Jahren - Im Schatten des Eiger
Beim Ausstieg
Die Eiger-Nordwand
Fotos: Hermann Neumair
An der Spinne