Seite 31 - Gemeindezeitungen

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48 - S
eptember
2014
Brief eines verwundeten Soldaten
im Februar 1918 an seine Töchter
Es handelt sich um den Va-
ter der „Rainer Moidl“ Frau
Maria Rainer geb. Jaufer;
(Anm. der Redaktion)
Liebe Thresl und Moidl!
Es freut mich ungemein, dass
Ihr Euch doch Zeit genom-
men habt, mir eine Karte zu
schreiben, welche ich heute
erhalten habe. Ich will Euch
heute einmal einen Brief
schreiben und genau mittei-
len, wie ich verwundet wurde
und wie es zuging.
Es war am 28. Jänner. Der
Feind schoss Tag und Nacht
ca. 70 bis 100 Schüsse in das
italienische Dorf Ennego am
Monte Grappa und in die-
sem Dorf waren wir unterge-
bracht. Schaut auf der Karte,
ca. 2 Stunden abwärts von
Primolano. Die Herren waren
im Pfarrhof untergebracht,
wie auch wir. Pfarrhof und
Kirche waren nämlich ziem-
lich in bester Lage und wir
glaubten, dass sie diese Bau-
ten schonen würden.
Beim Schießen nahmen wir
allgemein Zuflucht hinter
der Kirche. Ich blieb oftmals
am Seiteneingang stehen
und fühlte mich dort ziem-
lich sicher. Denn ganz sicher
war man ja nirgends. Am 28.
nachmittags bombardierten
sie uns fast ohne Unterbre-
chung und ich war so ängst-
lich wie noch nie im Körper
und beschloss, in der Kirche
zu schlafen. Die Kirche war
sehr groß, nicht verwüstet,
aber förmlich ausgeraubt,
nur rechts vom Seitenein-
gang stand eine St. Antonius-
Statue und zu dieser nahm
ich meine Zuflucht und bat
um Schutz. Es war um 8 Uhr
abends. Ich stellte mich wie-
der am Seiteneingang hin und
hörte schon den Abschuss
vom Grappa. Dann konnte
man bis 3 zählen, dann schlug
die Granate in Ennego ein, so
auch diesmal. Ein Kamerad
stellte sich zu mir und frug
mich, ob wir hier sicher seien.
Ich sagte, das könnte ich ihm
nicht sagen im selben Au-
genblick hörten wir den Ab-
schuss und neben mir auf drei
Schritte einen fürchterlichen
Knall. Die Türe, wo wir stan-
den, hatte faustgroße Löcher.
Mein Kamerad lag, ohne sich
nochmals zu bewegen, zer-
fetzt am Boden. Ich fühlte,
dass ich an mehreren Orten
verwundet war, denn ich
spürte schon überall das Blut
rinnen, schrie um Hilfe, ver-
lor aber keinen Augenblick
die Besinnung. Ich ging in die
Kirche. Zufällig hatte ich eine
Kerze bei mir, zündete diesel-
be an und sah, dass ich auch
im Bauch zwei Verletzungen
hatte. Am Kopf, vom Un-
terkiefer zum Hals über die
Brust, überall fühlte ich Blut
rinnen und spürte nirgends ei-
nen Schmerz. Im Bauch fing
es an, stark zu brennen und
das wurde mir bedenklich.
Ich rief nochmals um Hilfe,
ich wurde schon nicht mehr
recht laut, aber mein Freund,
der Diener vom Oberleutnant
Ronchetta, gewahrte mich,
führte mich in die Pfarrwir-
tenkammer, wo ich dann vom
Herrn Oberleutnant Ronchet-
ta und meinem Oberleutnant
verbunden wurde. Ich bin
diesen beiden Herren großen
Dank schuldig. Sie ließen
mir hier in einem Kasten,
wo es recht warm war, ein
Bett machen und die ganze
Nacht musste abwechselnd
ein Mann bei mir stehen.
Oberleutnant Ronchetta ging
noch dieselbe Nacht zum Spi-
talskommandanten und ich
wurde am folgenden Tag mit-
tels Sanitätsauto nach Borgo
gebracht.
Mein Freund Paul sagte mir
morgens, ich solle mir im
Vorbeitragen die Stelle anse-
hen, wie nah die Granate am
Ort, wo ich gestanden, ein-
geschlagen und tatsächlich,
Antonius hat geholfen. Sonst
wäre ich heute nicht hier in
Linz, sondern würde gleich
meinem eben erwähnten Ka-
meraden im Soldatenfriedhof
Ennego liegen.
Meine lieben Kinder, jeder,
der gesehen hat, wo ich ge-
standen und wie nahe die Gra-
nate eingeschlagen hat und
wie schrecklich verstümmelt
die knapp an mir liegende
Leiche des Kameraden war,
sagte, ich habe großes Glück
gehabt. In Borgo sagten mir
Ärzte und Schwestern, die
meine glatt durchschlagene
Uhr gesehen, sie, die Uhr
hat Ihnen das Leben gerettet,
denn ein Splitter durch Uhr
und Gehäuse und nicht an der
Bauchdecke stecken bleiben,
hätte sie durchbohrt. Gewiss,
Kinder, ich habe ein großes
Glück gehabt, der Antonius,
zu dem ich in meiner Ängst-
lichkeit, möchte fast sagen,
Vorsehung, Zuflucht genom-
men, hat auffallend geholfen.
Darum, Kinder, dankt dem
hl. Antonius für meine Ret-
tung, geht fleißig in Messe
und Kommunion und betet
beim Abendrosenkranz we-
nigstens ein Vaterunser alle
Tage zu diesem wunderbaren
Heiligen und die Mutter soll
ein Amt zahlen, wo Ihr alle
Kirche und zur Kommunion
geht, denn wir sind es ihm
schuldig.
Mir geht es schon bedeutend
besser und hoffe, in einigen
Tagen ein wenig aufstehen zu
können. Wenn mir nämlich
nichts mehr fehlt, brauche ich
nicht mehr operiert zu wer-
den. Aber heute kann ich es
noch nicht bestimmt sagen.
Mit meinem Abschub weiß
ich nicht, wie es geht. Das
Gesuch war schon gestern
hier, aber es will halt jeder
in die Heimat und jetzt sind
die Urlaube wegen Trup-
penverschiebungen wieder
eingestellt. Wird auch meine
Transportierung
vorläufig
kaum möglich sein, denn nur
die Ungarn haben ein Vor-
recht und werden heimbeför-
dert. Bei uns nimmt man es
nicht so genau.
Auch das Paket habe ich er-
halten und es schmeckt mir
vorzüglich. Den Butter müsst
Ihr das nächste Mal in ein
Butterpapier geben, denn er
hat immer einen kleinen Bei-
geschmack. Ihr könnt schon
wieder langsam ein zweites
zusammenrichten, aber nur
Butter und Brot. Ich werde
Euch schon noch schreiben.
Falls ich nicht nach Lienz
komme und Ihr halbwegs
auskommt, müsst Ihr mir
wieder in einigen Tagen ei-
nes senden, werde schon
noch schreiben. Frau Gruber
hat mich wieder besucht und
mir einen Wecken Weißbrot
gebracht und Verschiedenes,
aber ich bin fast unersättlich.
Ich glaube, jetzt habt Ihr ein-
mal zum Anfang genug. Ich
grüße alle herzlich.
Auf Wiedersehen, Vater
C
hronik
Ich bitte, mir vorhandene Erinnerungsstücke an den 1.
Weltkrieg (Fotos, Sterbebilder, Feldpost u. ä.) zu leihen.
Bei der geplanten Sterbebilder-Ausstellung zu Allerheili-
gen/Allerseelen würden sie heuer passende Verwendung
finden. Auch mündlich Überliefertes wäre gefragt. Bei
Rückfragen bitte mich telefonisch unter 69205 kontaktie-
ren.
F
ranz
W
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