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Heimat
September 2013
Heimat
In der Serie „Heimat“ berichten wir über Zugezogene, die in Tristach Heimat gefunden haben.
Yadigar Sarisaltik, geb. 1979
Ich bin gebürtiger Lienzer. Meine El-
tern Hüseyin und Sultan Sarisaltik stam-
men aus Hozat, aus der Provinz Tunceli
(Dersim). Dersim ist eine Provinz in Ost-
anatolien. Mein Vater kam 1972 nach
Lienz und fand Arbeit bei der Firma Pe-
dit. 1976 folgte meine Mutter nach.
Ich bin das jüngste von vier Kindern,
habe einen Bruder und zwei Schwes-
tern. Zu Hause wurde und wird immer
türkisch gesprochen. Deshalb konnte ich
noch nicht viel Deutsch als ich in den
Kindergarten Villa Monte kam. Ich lernte
aber sehr schnell. An den Kindergarten
habe ich nur die besten Erinnerungen.
Nach der ersten Klasse Volksschule
übersiedelten wir nach Fulpmes. Mein
Vater hatte eine Stelle bei der Firma Pittl
in Fulpmes angetreten. Um unseren
Umzug vorzubereiten, musste er vor-
erst mit einem schäbigen, ungeheizten,
ärmlichen, überteuerten Quartier vorlieb
nehmen, unter jeder Würde. Dann fand
er eine annehmbare Wohnung für uns
alle.
In Fulpmes besuchte ich Volks-
schule und Hauptschule. Anschließend
ging ich in eine Handelsschule nach
Innsbruck, die ich abgebrochen habe.
Einerseits wollte ich Geld verdienen, an-
derseits wusste ich eigentlich nicht, was
ich werden sollte. Bei einem Berufsori-
entierungskurs wurde mein kaufmänni-
sches Talent entdeckt.
Ich hatte großes Glück und bekam
eine Lehrstelle bei Carl Alois Walde
- Seifen- und Fettwarenfabrik in Inns-
bruck. Dort wurde ich gefordert und
gefördert. Mein Chef (Peter Walde),
Lehrherr (Gunter Dobler) und die rech-
te Hand (Walter Weyrer) vermittelten
mir auch große Lebensweisheiten. Ich
durfte dabei sein, als mein Lehrherr für
einen besonderen Kunden die riesige
Seifensiedemaschine ein letztes Mal an-
warf. Das war ein Dröhnen und Schüt-
teln in der ganzen Halle.
Nach der abgeschlossenen Lehre
arbeitete ich in verschiedenen m-preis
Filialen in Innsbruck. Zum Schluss als
Filialleiter-Stellvertreter.
In Fulpmes und Neustift waren wir
anfangs eine große türkische Gemein-
schaft. Die Familien besuchten sich ge-
genseitig. Es wurde oft bis spät in die
Nacht diskutiert. Da gab es auch rassis-
tische Probleme. Wenn ich mit meinem
österreichischen Freund unterwegs war,
wurde nur er gegrüßt, ich nicht. Das
änderte sich, als mein Freund darauf
bestand, dass auch ich zu grüßen sei.
Umgekehrt brachte ich meinen österrei-
chischen Kameraden ein paar türkische
Worte bei. Das trug viel zum besseren
Verstehen bei.
Aber auch unter den Türken zerbrö-
ckelte nach und nach der große Zusam-
menhalt. Es gab einige, die das schnelle
Geld machen wollten und in den Dro-
genhandel einstiegen. Für eine Moschee
wurde Geld gesammelt und veruntreut
und es gab Diebstahl.
Diese Zustände waren meinem Va-
ter ein Dorn im Auge. Er hatte schon
seit längerer Zeit vor, wieder nach Li-
enz zurückzukehren. Traditionell ist bei
uns der jüngste Sohn verantwortlich, für
die Eltern im Alter zu sorgen. So woll-
te ich, wenn möglich, unbedingt seinen
großen Wunsch erfüllen. Als dann das
Spöttl-Haus zum Verkauf stand, ergab
sich diese Gelegenheit. Ich hatte dieses
Haus vorher im Traum als unser Haus
gesehen. Dieser Traum hinderte mich
daran, genauer hinzusehen. Im Haus
war viel mehr desolat, als auf den ers-
ten Blick zu erkennen war. Es war noch
nicht an den Kanal angeschlossen und
hatte auch bauliche und technische
Mängel. Mein Vater wollte es anfangs
als Gasthaus weiterführen. Doch die
Hüseyin (mein Vater, li.) und Hasan
(mein Onkel) Sarisaltik 1972 in Lienz
Yadigar Sarisaltik
Sultan (meine Mutter, li.),
mit Familienmitgliedern
Fotos: Beigestellt