REPORTAGE
PUSTERTALER VOLLTREFFER
APRIL/MAI 2019
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Kathi G. (76) aus einem
Pustertaler Seitental
trotzte stets ihren
Schicksalsschlägen.
Sie lebt seit dem frühen
Erwachsenenalter nach
dem Motto „Versuche
glücklich zu sein, trotz
widrigster äußerer Um-
stände.“
Die Pustertalerin hat ordent-
lich Schwung und lässt lange
traurige Phasen nur selten zu.
„Außer, wenn ich einen lieben
Menschen durch Tod verliere.
Dann trauere ich sehr“, erzählt
Kathi G. Aber ihr wurde immer
wieder klar, dass sich auch
nach zutiefst traurigen Lebens-
phasen irgendwann wieder ein
Hoch einstellt.
Kathi kam vor 76 Jahren als
körperlich behindertes Kind
zur Welt. „Was aber vorerst nie-
mand bemerkte. Erst als ich das
Gehen mit Ach und Krach ir-
gendwie, irgendwann erlernte,
wurde ich auffällig“, so Kathi,
die immer liebevoll von ihrer
Mutter betreut wurde. Der Vater
ignorierte das Kind, war oft be-
trunken, beschimpfte es als
nichtsnutzigen Krüppel. „Ge-
walt stand an der Tagesord-
nung. Auch gegenüber meiner
Mutter.“ Die anderen Geschwi-
ster von Kathi waren viel älter.
„Ich war sozusagen ein Spät-
zünder, zudem ein ungewoll-
ter.“
„Wollte nie ohne
Mutter sein“
Kathi entwickelte sich vorerst
zu einem völlig verschüchterten
Kind, das nur am Rockzipfel
der Mutter hängen wollte. „Ich
weinte und schrie jedes Mal,
wenn die Mutter aus dem Haus
ging. Ich hatte wahnsinnige
Angst allein zu bleiben und vor
dem Vater.“
Im Alter von neun Jahren
wurde sie von ihm erstmals se-
xuell missbraucht. „Ich hatte
keine Chance, nicht gegen ihm,
nicht gegenüber der Gesell-
schaft. Denn darüber zu reden
war undenkbar. Es hätte sich
meine Geschichte niemand an-
hören wollen. Denn mein Vater
war im Ort eine Respektperson.“
So ertrug Kathi die Übergriffe
des Vaters über mehrere Jahre
hinweg. „Meine Mutter kam da-
hinter, aber sie konnte mir nicht
helfen. Sie war selbst völlig
unter der Knute des Vaters und
hatte keine Möglichkeit sich von
ihm unabhängig zu machen.“
„Ich spürte nichts“
Als Kathi 13 Jahre alt war,
starb der Vater. „Er erlitt einen
Arbeitsunfall und war auf der
Stelle tot. Als ich die Nachricht
von seinem Tod erfuhr, spürte
ich gar nichts. Er war für mich
einfach weg – wie ein Vogel,
der davonflog und dies nieman-
den kümmert oder erleichtert.
Einfach nur weg.“ Die Folgen
des sexuellen Missbrauchs hat-
ten sich schon lange bemerkbar
gemacht. „Wenn sich mir ein
Mann näherte, verfiel ich oft in
Panik. Sofern es möglich war,
rannte ich auf und davon, ver-
steckte mich über Stunden in
einem Heustadel oder sonst wo.
Meine Mutter suchte mich oft.
Wir redeten auch nach dem Tod
des Vaters nicht über den Miss-
brauch.“
So blieb Kathi mit ihren see-
lischen Problemen allein – bis
sie mit 20 Jahren an der
Schwelle des Todes stand. „Ich
hatte Krebs. Die Ärzte bereite-
ten mich darauf vor, dass sie
mich nicht retten könnten.“
Radikaler Wandel
„Als mich eine Verwandte be-
suchte, die ich das letzte Mal als
Volksschulkind gesehen hatte,
legte sie die Hand auf meine
und fragte mich, ob ich nicht
von meiner größten Last, die
sich laut ihren Worten in mei-
nen Augen andeutete, erzählen
In Holland fand Kathi G. eine neue Heimat.
Kathi G. achtet seit dem frühen Erwachsenenalter sehr auf ihre Gedanken.
Sie lässt seelischemUnterga