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REPORTAGE

PUSTERTALER VOLLTREFFER

JÄNNER/FEBER 2018

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Alles begann vor ca. 20 Jah-

ren – schleichend. Franz konnte

nicht einfach die Autotür hinter

sich zuschlagen und gehen,

nein, es musste der Klang pas-

sen. Dafür waren vier, fünf

Gänge zurück zum Auto not-

wendig. „Es kam immer darauf

an, wie schnell ich zuschlug.

Ich konnte erst damit aufhören,

bis mir mein Hirn das Okay

gab, dass der Klang nun passt.“

Dieses „Ritual“ konnte dann

bis zu einer Stunde dauern.

Dasselbe mit einem Buch. Es

„Meine Zwänge verfolgen mich

seit 20 Jahren“

Franz S. (50, gelernter

Gärtner) aus dem

Leisacher Raum leidet

an Zwängen. Dadurch

ging nicht nur seine

Partnerschaft in die

Brüche, sondern vieles

andere auch. Heute

befindet er sich

in Rehabilitation.

Franz S. aus dem Lienzer Talboden leidet an Zwängen. Durch seine

Erkrankung ging schon vieles in seinem Leben zu Bruch.

Nach dem Spitalsaufenthalt war

er ruhiger, die Zwänge werden

weniger. Aber seine Persönlich-

keit war eine andere. „Denn ich

erhielt etliche Medikamente.

Das ist jetzt fünf Jahre her.“

Die Medikamente nimmt er

bis heute. „Wenn ich sie ab-

setze, kommt alles noch viel

schlimmer“, weiß er. Er wohnt

allein in einer kleinen Wohnung

und ist in Rehabilitation. Er ar-

beitete bis vor einem dreiviertel

Jahr noch als Gärtner, doch sein

Chef meinte, dass er nichts wei-

terbringe. „Damals wusste er

nichts von meiner Krankheit.

Aber, wenn ich etwa eine

Wiese mähen musste, fuhr ich

fünf Mal den gleichen Weg mit

dem Traktor.“

Einvernehmliche

Trennung

Als sein Vorgesetzter erfuhr,

was mit ihm los ist, durfte er

nicht mit dem Dienstauto fah-

ren, lediglich mitfahren. „Das

musste auf dem Tisch richtig

positioniert sein. „Passend war

es, wenn das Hirn sagte, es

passt. Da ging es nicht um

schief oder gerade, sondern nur

um die Art, wie ich das Buch

angriff.“ Das Aufstellen einer

Waschmaschine wurde auch

zum Problem. „Mit einer

Wasserwaage musste ich die

Füße so lange einrichten, dass

sie für mich gerade standen. Da

ging es um unglaublich kleine

Maße.“

Er wurde nie fertig

Daheim hatte er einmal eine

Küche aufzustellen. Er war

nach einem Jahr immer noch

nicht damit fertig. Denn beson-

ders das Montieren der Griffe

wurde zur riesigen Herausfor-

derung. „Die gebohrten Löcher

passten mir nie, weil die Posi-

tion nie passte.“

Ähnliches Dilemma bei den

Arztbesuchen. Als die Untersu-

chung beendet war, schaffte er

es nicht gleich heim. „Ich

musste den Weg von der Ordi-

nation bis zur Bushaltestelle

immer wieder abgehen.“ Die

„Linie“, die er dabei ging, sagte

ihm einfach nicht zu.

Die Zwänge wurden von

Jahr zu Jahr schlimmer. „Im

Kaffeehaus hob ich 20 Mal die

Kaffeetasse von der Untertasse

zum Mund und zurück, bevor

ich ihn erstmals schaffte zu

trinken. Den richtigen ,Weg‘

zum Mund zu finden, war das

Problem.“

Zwei Tage beim Spielen

Ein Spieler war Franz eigent-

lich nie, aber er verlor trotzdem

innerhalb von zwei Tagen über

10.000 €. „Ich wollte nur ein-

mal spielen und dabei 50 € set-

zen. Aber ich konnte nicht mehr

mit dem Drücken aufhören. Es

musste beim letzten Drücker

einfach wieder der Ton passen.

Es ging nie um Gewinn oder

Verlust oder um das Spielen an

sich.“ So kam es, dass Franz

sogar in ein weiteres Gasthaus

wechseln musste, um weiter

spielen zu können, weil das

erste zugesperrt hatte. „Für

meine Familie war ich an die-

sen zwei Tagen nicht erreich-

bar. Diese furchtbaren Zwänge

waren dann irgendwann einfach

nicht mehr auszuhalten. Ich

ging freiwillig in eine Nerven-

heilanstalt, wo ich dann acht

Wochen war.“ In dieser Zeit

schmiss er haufenweise SIM-

Karten fürs Handy in die Toi-

lette, weil das „Hirn“ ihm „zu-

flüsterte“, dass er immer wieder

eine neue Nummer brauche.

Klospülen nicht möglich

Während seines Spitalsauf-

enthaltes musste er einmal kurz

nach Hause, um nach der Post

und anderem zu sehen. Als er

auf die Toilette ging, sah er, dass

er vor zwei Wochen nach sei-

nem letzten Klogang daheim

nicht hinuntergespült hatte.

„Auch diesmal tat ich es nicht,

weil ich genau wusste, wenn ich

mit dem Drücken anfange, kann

ich damit nicht mehr aufhören.“

war für mich sehr schlimm. Ich

gab meine Arbeit dann auf. Wir

trennten uns einvernehmlich.“

Heute verbringt er den Tag vor

allem mit Schlafen. „Bis zu 17

Stunden am Tag.“ Ansonsten

geht er ins Kaffeehaus oder

schaut fern. Sein Essen, das er

auswärts einnimmt, ist mono-

ton. „Ich esse immer Schnitzel

mit Pommes Frites sowie Scho-

kolade“, so Franz, der in sei-

nem Leben nur eine Freundin

hatte. „Ich kam mit ihr mit 18

Jahren zusammen. Wir waren

dann 16 Jahre lang ein Paar.“

Der Trennungsgrund waren

seine Zwänge. „Sie hielt das

nicht mehr aus.“ Aus der Part-

nerschaft gingen zwei Söhne

hervor, mittlerweile sind beide

junge Erwachsene. „Ich habe

Kontakt zu meinen Kindern.“

Schwieriges Aufwachsen

Franz wuchs in einem

schwierigen Familienumfeld

auf. „Es herrschte viel Gewalt,

verursacht durch den Alkoho-

lismus meines Stiefvaters.

Auch mein Vater war vom Al-

kohol abhängig.“ Dennoch war

Franz in jungen Jahren ein le-

benslustiger Mensch. „Obwohl

ich auf der anderen Seite immer

schnell von allem genervt war“,

so der eingefleischte Elvis Pres-

ley-Fan. „Ich bin wohl deshalb

ein so großer Fan, weil ich in

der Vergangenheit steckenblei-

ben will. Dort fühle ich mich

einfach aufgehobener als in der

heutigen Zeit.“ Martina Holzer

Vor rund 20

Jahren zeig-

ten sich bei

Franz die er-

sten Sym-

ptome. Er

konnte die

Autotür nicht

mehr einfach

hinter sich zu-

schlagen und

gehen, nein,

es musste der

Klang

passen.