Seite 2 - H_1994_06

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O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
62. Jahrgang — Nummer 6
realgeteilte Gebäude im Eigentum der Fa-
milie Mascher und der Familie Jungmann.
Schon seit Jahrzehnten war das Anraser
Pfleghaus ein besonderes Sorgenkind der
Tiroler Denkmalpflege. Der Bauzustand
des ansitzigen Objektes mit seinen gewal-
tigen Dimensionen, seiner wohlproportio-
nierten Außengliederung und seinen
prächtigen, größtenteils vertäfelten Innen-
räumen hat sich nämlich im Laufe der Zeit
dramatisch verschlechtert; an eine Restau-
rierung war jedoch aus finanziellen Grün-
den nicht zu denken. Immer wieder sind
seitens des Denkmalamtes Initiativen zur
Instandsetzung gesetzt worden, alle Ver-
suche waren zum Scheitern verurteilt. We-
der die Eigentümer noch die öffentliche
Hand sahen sich in der Lage, die enormen
Instandsetzungskosten aufzubringen.
Durch eine glückliche Fügung ist es im
Sommer 1990 gelungen, Herrn Dr. Hans
Heinrich von Srbik, den Vorsitzenden des
Vorstandes der Messerschmitt-Stiftung,
auf dieses einzigartige Denkmal aufmerk-
sam zu machen. Schon bei seinem ersten
Besuch in Anras war Dr. von Srbik von
der besonderen Qualität des Pfleghauses
überzeugt und stellte spontan die Bereit-
schaft der Messerschmitt-Stiftung in
Aussicht, bei den Erhaltungsmaßnahmen
behilflich zu sein. Als dann Frau Mascher
die Absicht äußerte, ihren Hausanteil zu
verkaufen, ging Dr. von Srbik auf ein kul-
turelles Abenteuer ein, indem er ein außer-
gewöhnlich großzügiges Angebot auf
den Tisch legte: Die Messerschmitt-Stif-
tung kauft den Mascher-Anteil, erwirbt für
den Jungmann-Anteil das Vorkaufsrecht,
restauriert das Haus, richtet es außen und
innen in bester Art und Weise her und ver-
mietet es dem Land Tirol, das über die
Nutzung verfügen kann und für die Be-
triebskosten aufkommt. Sämtliche Re-
staurierungskosten übernimmt die Stif-
tung, die lediglich zwei unumstößliche Be-
dingungen für ihr Engagement stellt: Zum
einen muß das Haus kulturell genutzt wer-
den und der Öffentlichkeit zugänglich
sein, zum anderen müssen alle Revitali-
sierungsmaßnahmen mit größter Sorgfalt
und Rücksichtnahme auf die alte Bausub-
stanz erfolgen.
Dieses geradezu märchenhafte Angebot
konnte natürlich niemand ausschlagen. So-
wohl mit den Eigentümern als auch mit
dem Land Tirol sind die diesbezüglichen
Verträge rasch abgeschlossen und unter-
zeichnet worden. Bereits 1991 ist mit den
Vorarbeiten zur Generalsanierung begon-
nen wurden. Daß es gelungen ist, Ing. Ro-
man Huter als verantwortlichen Bauleiter
zu gewinnen, hat sich als besonderer
Glücksfall herausgestellt, da Ing. Huter als
langjähriger Konsulent des Bundesdenk-
malamtes in Osttirol nicht nur mit den
denkmalpflegerischen Grundsätzen ver-
traut ist, sondern auch die örtlichen Gege-
benheiten kennt und mit den Restaurato-
ren, Handwerkern und Firmen bestens zu-
sammenarbeitet.
Inzwischen sind die Adaptierungsmaß-
nahmen am Anraser Pfleghaus bereits weit
fortgeschritten. Die bisherigen Restaurie-
rungsergebnisse sind überwältigend. Es ist
zu hoffen, daß nun auch die Gemeinde
Anras mit vollem Einsatz hinter dieser kul-
turellen Aktion steht und die einmalige
Chance nützt, die ihr die Messerschmitt-
Stiftung mit dem restaurierten Pfleghaus
bietet.
Dr. Hans Heinrich von Srbik, Vorsitzender
des Vorstandes der Messerschmitt-Stiftung.
Mit dem Ankauf des Mascher Teiles,
das sind ca. zwei Drittel des Anraser Pfleg-
hauses, durch die Messerschmitt-Stiftung
konnten die finanziellen Voraussetzungen
geschaffen werden, das zum Teil über 20
Jahre leerstehende und desolate Gebäude
zu sanieren und somit vor dem Verfall zu
retten. Nach Ausschreibung und Vergabe
der Baumeister- sowie Zimmermanns- und
Dachdeckerarbeiten an die Baufirma
Weiler in Mittewald und Firma Pondorfer
Walter in Dölsach, konnten praktisch die
Bauarbeiten am 21. April 1992 in Angriff
genommen werden.
Grundvoraussetzung einer erfolgrei-
chen Sanierung war die Trockenlegung der
Grundmauern. Nach Herstellen eines ent-
sprechenden Entfeuchtungsgrabens ent-
lang der Außenmauern, Sanieren der Fun-
damentmauern, sowie Verlegen der Drai-
nage
konnte
eine
bestmögliche
Trockenlegung des Steinmauerwerks er-
reicht werden. Gegen die aufsteigende
Feuchtigkeit – wegen fehlender Horizon-
talisolierung – wurde zusätzlich eine Elek-
tro-Osmose, System ELKINET eingebaut.
Parallel zur begonnenen Sanierung des
Mauerwerkes liefen die vom Bundes-
denkmalamt durchgeführten Bauuntersu-
chungen und ebenfalls vom Denkmalamt
geleiteten archäologischen Grabungen im
südöstlichen Bereich des Pfleghauses.
(Siehe OHBl. 10/1992)
Dabei wurde festgestellt, daß der Pfleg-
hof auf einen annähernd quadratischen
Bau des frühen 14. Jahrhunderts zurück-
geht, von dem auch noch aufgehendes
Mauerwerk erhalten ist.
Als sich im Laufe der archäologischen
Grabungsarbeiten herausstellte, daß die äl-
teste Kirche sich in dem Bereich der heu-
tigen Kriegerkapelle – östlich des Pfleg-
hauses – fortsetzte, konnten mit Zustim-
mung des Herrn Pfarrers und des
Bürgermeisters in diesem Teil die Gra-
bungen weitergeführt werden.
Die Messerschmitt-Stiftung hatte sich
großzügig bereit erklärt, auch in der Fried-
hofskapelle die archäologischen Gra-
bungsarbeiten einschließlich Trockenle-
gung des Mauerwerkes zu finanzieren. Da-
mit konnte der Kirchenbau bis in das 5.
Jahrhundert zurück nachgewiesen werden.
Ursprünglich war vorgesehen, die vor-
handene Innenraumfärbelung in der
Friedhofskapelle nur zu reinigen, jedoch
mit dem Vorsatz, im Bereich der vorhan-
denen Fresko-Malerei – „Steinigung des
hl. Stephanus“, um 1600 datiert – einige
Sondierungsfenster anzulegen. Schon
bald konnte man überraschend feststellen,
daß verschiedene Malschichten unter der
derzeitigen Färbelung, insbesondere im
Bereich des Triumphbogens, zu vermuten
waren.
Dem großen Kunstverständnis und der
finanziellen Großzügigkeit der Messer-
schmitt-Stiftung ist es zu verdanken, daß
daraufhin die Freilegung der Fresken im
Inneren der Friedhofskapelle, der Kreuzi-
gungsgruppe neben dem südlichen
Eingang und der nordseitigen St. Christo-
phorus-Darstellung, sowie die Gesamtre-
staurierung der Friedhofskapelle durchge-
führt werden konnten.
Die Restaurierungsarbeiten der Fried-
hofskapelle sind nun bereits abgeschlos-
sen. Die Gesamtbaukosten dieser Sanie-
rung betragen 1,910.000 S.
Der liegende Pfettendachstuhl mit Krüp-
pelwalm beim Pfleghaus war bereits um
1947 teilweise schwer beschädigt. Durch
Einziehen von drei provisorischen Bund-
gesperren wurde damals der Einsturz des
Roman Huter
Renovierung des Pfleghauses und der
Friedhofskapelle in Anras
Baubericht