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Dabei war Resinger kein Sportler im
modernen Sinne, wie sie heute der Jugend
bisweilen als Idole gelten, und schon gar
nicht ein Gipfelstürmer, den sein Ehrgeiz
auf möglichst viele Berge getrieben hätte;
ihm lag jede Rekordsucht fern. „Er selber
war allerdings kein Sportler in dem Sinn,
ich glaub’ er ist sein Lebtag nie Ski ge-
fahren oder Schlittschuhe gefahren oder
‘was ähnliches, er war Bergsteiger und das
war er mit Konsequenz. Das war sein
Sport! Bergsteiger und ein Geher, Klette-
rer war er nicht, aber er war Gletscher-
gänger, er war – ich glaub’ 50mal am
Großglockner, an die 130 bis 140mal – das
hat er selber nicht genau gewußt – am
Großvenediger. [...] Das hat gestimmt, das
hat er gesagt und das ist von anderer Sei-
te nachgeprüft und zu seiner Zeit, wo wohl
viele Leute da waren, die es wissen konn-
ten, niemals angezweifelt worden.“
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Auch
das ist zweifellos ein Anzeichen dafür, daß
der Venediger „sein“ Berg war; er hat ihn
jedoch anderen nicht vorenthalten und
auch niemals den Eindruck erweckt, die
Bergwelt für sich alleine gepachtet zu ha-
ben, wovon die zahllosen Begleiter auf sei-
nen Touren zeugen. Resinger selber hat
dagegen nie viel Aufhebens um „seinen“
Berg gemacht und auch nicht darum, wie-
so er in die Berge und insbesonders warum
er so oft auf den Venediger gegangen ist, –
eine Frage, mit der er schon zu Lebzeiten
konfrontiert wurde. „Warum er so oft hin-
aufgestiegen sei, wurde Resinger oft ge-
fragt. „Muß denn alles einen Sinn haben?
Können wir es nicht mit Goethe halten –
Ich ging im Walde so für mich hin und
nichts zu suchen war mein Sinn. – Ist auch
falsch! Da oben bin ich halt daheim!“
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In einer anderen Überlieferung, bekennt
Resinger, daß ihm drei „B“ im Leben
etwas bedeutet hätten: „Berge, Bücher,
Buben.“
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Der Alpinist, der „Typus des
humanistischen Polyhistors, des Mannes,
der die gesamte geisteswissenschaftliche
Bildung und Literatur seiner Zeit um-
armt“
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und der Lehrer und Erzieher – sind
wohl die hervorstechendsten Begriffe,
welche die Person Resingers am deutlich-
sten charakterisieren. Und dennoch greifen
solche Zuordnungen zu kurz, denn sie
bleiben an der Oberfläche, lassen nur das
von außen Sichtbare erkennen. Die Berge
und ganz besonders der Großvenediger be-
saßen nämlich für Resinger eine weitaus
tiefergehende Bedeutung, wie er gegen-
über Franz Josef Kofler einmal einbe-
kannte:
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„Daß ich’s mit mir leichter hätte,
gab mir Gott die Berge. Sie liebe ich am
meisten, mehr als die Bücher und viel
mehr als die Menschen.“ Mit dieser Be-
merkung gab Resinger einen kleinen Ein-
blick in sein Inneres, doch ließ er nicht er-
kennen, warum er es offenbar mit sich so
schwer hatte und warum ihm die Berge da-
bei so wichtig waren. Diese Frage wird
wohl offen bleiben müssen; zumindest ist
aber von Resinger ein kleiner Beleg dafür
erhalten geblieben, aus dem klar hervor-
geht, daß der Venediger für ihn nicht nur
ein Berg unter vielen, sondern vielmehr
Sinnbild und Leitmotiv für sein Leben
war. Auf einer Fotografie des Venediger-
gipfels hat er selbst handschriftlich die Be-
deutung dieses Berges für ihn in folgende
Worte gefaßt:
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„Mein Berg.
Du Herrlichster der Berge,
mir sollst du Mahner sein,
wie du zu stehn auf Erden
so stark, so grad, so rein!“
Dieses Bekenntnis, das Resinger hier
zum Ausdruck brachte, korrespondiert mit
einem weiteren Zeugnis, das in seiner Aus-
sage deutliche inhaltliche Parallelen zu dem
Text der erwähnten Fotografie besitzt. Ein
Primizbildchen, das Resinger zur Erinne-
rung an seine erste Meßfeier im August
1898 ausgewählt hat, könnte schon auf sein
späteres priesterliches Wirken hinweisen
bzw. auf ein Leitbild, das ihm besonders als
Erzieher zeitlebends eine Orientierung
war: Die Jugend! Der auf diesem
Bildchen angeführte Auszug aus dem Staf-
felgebet (Psalm 42) deutet darauf hin:
„Hintreten will ich zum
Altare Gottes, zu Gott,
der meine Jugend erfreut.“
In Johannes Berchmans, der auf der
Rückseite dieses Primizbildchens
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abge-
bildet ist, sah Resinger ohne Zweifel ein
Ideal der Jugend, wird jener doch charak-
terisiert „durch seine Eingezogenheit,
Frömmigkeit und durch seine Liebe zur
Reinheit,“
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– Eigenschaften, die sich auch
bei Resinger alle finden. Besonders die
Parallele in der Charakteristik dieses
Jesuiten mit der beinahe metaphysisch
überhöhten Bedeutung des Großvene-
digers für Resinger, die besonders in der
Hervorhebung der „Reinheit“ zum Aus-
druck kommt, liegt auf der Hand. Nicht zu
vergessen ist in diesem Zusammenhang
auch, daß das Namensfest des hl. Johannes
Berchmans am 13. August begangen wird,
an dem Tag also, an dem 1894 Resinger in
Bergnot geraten ist!
Daß der Venediger und dessen Versinn-
bildlichung Resingers Verhalten in den
Bergen und gegenüber der Natur prägten,
hat er vielfach bewiesen; ob sie ihm auch
in den Niederungen des Alltags ein Leit-
motiv waren, wird eine eigene Unter-
suchung zu zeigen haben. Auf jeden Fall
aber deuten die erhaltenen Zeugnisse dar-
auf hin, daß der Großvenediger mehr als
nur ein Berg für Resinger war.
Es sollte jedoch bei aller Interpreta-
tionskunst ebenso nicht außer Acht ge-
lassen werden, daß es auch eine andere,
möglicherweise ganz banale Erklärung für
die ungezählten Aufenthalte Resingers im
Defregger-Haus und am Großvenediger
gab: er soll es im Sommer im Tal nicht
ausgehalten haben, und zwar deshalb, weil
er an Heuschnupfen gelitten hat.
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Die Aufnahmen haben Josef Dichtl
(Abb. 14) und Dr. H. Alexander
(Abb. 15) zur Verfügung gestellt.
Literatur:
64 Interview Wiesflecker (1987). Den Beinamen „Vene-
diger-Papst“ hat Resinger nicht etwa deshalb erhalten,
weil er so oft auf dem Gipfel des Großvenedigers war;
da hätte es schon andere gegeben, wie beispielsweise
den Senior der Bergführer Osttirols, den Matreier
Tobias Kröll, der 84jährig im Jahre 1942 gestorben ist
und insgesamt 807 (!) Mal den Großvenediger erstiegen
haben soll; vgl. dazu: Innsbrucker Nachrichten, Nr. 108
vom 9.5.1942.
65 Weingartner, Der Esel S. 165.
66 Walder, „Der Resinger“ S. 3.
67 Hermann Wiesflecker, Monsignore Dr. Resinger als
Lehrer, in: Osttiroler Heimatblätter 16/14 (1948).
68 Kofler, Dem Menschen Resinger, S. 8.
69 Im Besitz von Josef Dichtl, Obersonnberg, Virgen.
70 Es befindet sich in der Bibliothek des Priesterseminars
in Brixen. Ein anderes Primizbild, das Resinger ausge-
wählt hatte, zeigt die hl. Familie in Nazareth.
71 Kleine Heiligenlegende. Das Leben der Heiligen und Se-
ligen Gottes auf alle Tage des Jahres. Für Volk und Jugend
kurz dargestellt von P. Paulinus Schöning aus dem Orden
der unbeschuhten Karmeliten. Regensburg 1919, S. 231.
72 Darauf wies Josef Troyer, ein ehemaliger Schüler Re-
singers aus Virgen, den Verfasser in einem Gespräch
am 10.11.1988 hin.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 9 – 64. Jahrgang
Helmut Alexander
(2)
Der „Venediger-Papst“
Abb. 15: Das Gipfelkreuz am Großvene-
diger Richtung Süden (6. 9. 1986).
Abb. 14: Mons. Prof. Dr. Josef Resinger,
etwa zweite Hälfte der 1940er Jahre.