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der Nordseite angebrachtes
Wappen, begleitet von der Jah-
reszahl 1532, gesichert. Eine
Inschrift mit dem Namen des-
selben Bauherren und der Jah-
reszahl 1532 ist an der Nord-
wand des Chores innen ver-
mauert. Wie M. Pizzinini
7
betonte, muß diese Tafel nicht
den Chor datieren, der wegen
der etwas geringeren Mauer-
stärke (knapp 0,80 m gegen-
über 0,90 m bei der Südwand
des Schiffes) und wegen seiner
bei einer einheitlichen Planung
nicht ohne weiteres verständli-
chen schwachen Einziehung
gegenüber dem Schiff nicht
gleichzeitig mit diesem ent-
standen erscheint. Der Gra-
bungsbefund hat allerdings
keine Indizien erbracht, die die-
se Vermutung erhärten würden.
Auf der Nordseite, wo der an
drei Seiten umlaufende Funda-
mentvorsprung des Triumph-
bogens und der Ansatz der
Chornordwand freigelegt wer-
den konnten (im Süden ist die
entsprechende Stelle vom
Kanzelaufgang
überlagert),
war keine Fuge zu erkennen.
Der zweiseitige Chorschluß
kann für eine Datierung nicht
herangezogen werden. Er ist in
der Gotik ebenso ungewöhnlich
wie in einer späteren Stilepo-
che. Es kann nicht grundsätz-
lich ausgeschlossen werden,
daß das Presbyterium, dessen
Innengestaltung auf das 17. Jh.
zurückgeht, im Kern älter ist.
Vielleicht sind zwei dicht auf-
einanderfolgende
gotische
Bauphasen anzunehmen.
Nach dem jetzt vorgenommenen Abbau
des nördlichen Seitenaltares wurde eine
später im Ostteil vermauerte, 0,25 m tiefe
Nische sichtbar (Abb. 2), die von einem äl-
teren Altar herrühren wird.
Die eingangs erwähnte Frage nach even-
tuellem Bestehen eines in vorchristliche
Zeit zurückgehenden Kultkontinuums war
durch die Grabung nicht definitiv zu beant-
worten. Zwar reicht die erste Kirche nur in
das 13. Jh. zurück, die Funde von wahr-
scheinlich älterer mittelalterlicher Keramik
und besonders die römischen Scherben zei-
gen jedoch an, daß dieser Platz schon früher
aufgesucht worden ist. Wegen der im 13.
Jh. erfolgten Planierung, bei der fast überall
ältere Kulturschichten bis auf den gewach-
senen Boden abgegraben wurden, sind ge-
nauere Aussagen über die frühere Ge-
schichte des Ortes jedoch unmöglich.
Wenn auch die römischen Funde mit einer
gewissen Wahrscheinlichkeit auf einen
Kultplatz zu beziehen sein werden, gibt es
für dessen eventuelle Übernahme in christ-
licher Zeit keinen archäologischen Beleg.
Ein Bau dieser Größe und an einer so
schlecht zugänglichen, abgelegenen Stelle
wird im 13. Jh. nicht von der Bevölkerung
der benachbarten Orte errichtet worden
sein. Es muß mit einem Stifter gerechnet
werden, der im Kreis des lokalen Adels, et-
wa der damals in Thurn angesessenen
Burggrafen von Lienz, oder gar in den Lan-
desherren, der Grafen von Görz, zu suchen
ist. In der oben erwähnten Gründungsle-
gende könnte deshalb, in tendenziöser Ver-
zerrung, ein historischer Kern stecken.
Auch die Kirchenpatronin, die hl. Helena,
ist eher der aristokratischen als der bäuerli-
chen Sphäre zuzurechnen. Dieser in Tirol
sehr selten verehrten Heiligen ist dort nur
noch eine weitere Kirche, die von Nußdorf,
geweiht. Vielleicht wird es kein Zufall sein,
daß dieses Patrozinium in Tirol auf die Um-
gebung von Lienz, der Residenz der Görzer
Grafen, beschränkt ist.
Für die Anliegen der bäuerlichen Be-
völkerung, die mit Bitten um Gesundheit
für das Vieh und nach allgemeiner
Fruchtbarkeit an diesen Ort wallfahrtete,
war eher der Nebenpatron, der hl. Vitus,
zuständig. Wohl in Entsprechung zu einem
seiner Attribute, dem Hahn, wurde dem
Heiligen am Ort Geflügel dargebracht. Die
Wahl der hl. Helena als Hauptpatronin er-
klärte F. Kollreider aus deren Verbindung
mit dem Wasser. Im speziellen Fall sei
diese Heilige zum Schutz vor Wasserka-
tastrophen angerufen worden, denen der
große Schwemmkegel des Schleinitzba-
ches ebenso wie der Mündungsbereich des
Debantbaches in besonderem
Maße ausgesetzt war. Allgemei-
ner wurde die hl. Helena um
Schutz vor Blitz und Donner an-
gerufen. Ein Bezug zu diesen Na-
turgewalten ist auch durch die
sehr alte Wetterglocke (um
1300) gegeben.
Zum Standort der Kirche sei
noch angemerkt, daß diese nicht
das Zentrum des Gipfelplateaus
einnimmt, sondern so weit an des-
sen westliche Kante gesetzt ist,
daß für die gotische Vorhalle auf-
wendige Substruktionen nötig
wurden. Anscheinend wollte man
den östlichen Abschnitt des Pla-
teaus freihalten. An diesem Platz
versammeln sich die Gläubigen
nach dem Karsamstag-Gottes-
dienst zu einem Fest. Vielleicht
war das auch schon im 13. Jh. so.
Unter den spärlichen Kleinfun-
den sticht ein über dem Ausriß-
graben der südlichen Chormauer
gefundener, aus einem Stück Ei-
senblech geschmiedeter Hohl-
schlüssel (Abb. 5) hervor. Nach
dem kreisförmigen, flachen Griff
zu urteilen, handelt es sich um ei-
nen Vertreter des ältesten, vom 9.
bis in das 13. Jh. belegten Typ
8
.
Sehr ähnliche, in das 12./13. Jh.
datierte Vergleichsstücke sind
etwa von der Burg Schiedberg
(Graubünden) bekannt
9
. Von den
Scherben lagen fünf (Abb. 4,
2.3.5.7.8) unter dem romani-
schen Estrich im Chor, drei wei-
tere (Abb. 4, 4.6.9) wurden im
Schiff und eine (Abb. 4, 1) im
Abschnitt zwischen älterer und
gotischer Westwand gefunden.
O s t t i r o l e r H e i ma t b l ä t t e r
Nummer 12 –– 64. Jahrgang
IMPRESSUM DER OHBL.:
Redaktion: Univ.-Doz. Dr. Meinrad Pizzinini.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
Anschrift des Autors dieser Nummer: Dr.
Wilhelm Sydow, Bodendenkmalpfleger am
Landeskonservatorat Tirol (Bundesdenkmal-
amt), A-6020 Innsbruck, Burggraben 31.
Manuskripte für die „Osttiroler Heimat-
blätter“ sind einzusenden an die Redaktion
des „Osttiroler Bote“ oder an Dr. Meinrad
Pizzinini, Albertistraße 2a, A-6176 Völs.
Abb. 6: Blick vom Presbyterium in das Kirchenschiff von
St. Helene; Aufnahme von 1970.
Foto: M. Pizzinini
Anmerkungen:
1
F. Kollreider, Lienzer Buch, 98. Schlern-Schriften (1952)
22 ff.
2
A. B. Meyer – A. Unterforcher, Die Römerstadt Aguntum
bei Lienz in Tirol (1908) 117 mit Hinweis auf ein Manu-
skript von A. Roschmann (1756) in der Universitätsbiblio-
thek Innsbruck.
3
So Kollreider, a. O., 22.
4
Als Nullpunkt für das Nivellement wurde die Schwelle
des Westportals gewählt.
5
H. Stadler, Archäologische Grabungen in St. Justina,
Gem. Assling, Osttirol, Archäologisches Korrespondenz-
blatt 24, 1994, 95 ff., bes. 100 Abb. 3/2; 4/7.
6
Der gewachsene Boden stand dort mit 33 bis 39 cm Tie-
fe etwas höher als im Chor an.
7
M. Pizzinini, Osttirol. Der Bezirk Lienz. Seine Kunst-
werke, historischen Lebens- und Siedlungsformen (1974)
269, datierte den Chor versuchsweise in das 17. Jh.
8
G. P. Fehring, Unterregenbach. Kirchen. Herrensitz. Sied-
lungsbereiche. Forschungen und Berichte der Archäologie
des Mittelalters in Baden-Würtemberg 1 (1972) 160 f., Beil.
44/UF 337.
9
O. P. Clavadetscher – W. Meyer, Das Burgenbuch von
Graubünden (1984) Abb. auf S 38.